Je höher oder nördlicher, umso weniger Artenvielfalt: Polarforschung am Kilimandscharo
Am höchsten Berg Afrikas studieren Bienenforscher, warum in rauerem Klima die Artenvielfalt abnimmt.
Ein paar gelbliche Grasbüschel recken sich zwischen den unzähligen graubraunen Steinen der Schotterebene in den Himmel. Die karge Hochfläche auf dem höchsten Gebirgsmassiv Afrikas sieht nicht gerade nach einem Brennpunkt der Artenvielfalt aus. Tatsächlich holt Alice Claßen von der Universität Würzburg auf dem Kilimandscharo aus ihren in 4550 Metern über dem Meeresspiegel aufgebauten Insektenfallen auch nur eine einzige Wildbienenart. Weiter unten findet die Biologin erheblich mehr Spezies dieser Insekten. Das überrascht sie kaum, schließlich leben in den Tropen viel mehr Arten von Tieren und Pflanzen auf der gleichen Fläche als in kühleren Regionen der Erde bis hin zu den Polen.
Je höher, umso Pol-ähnlicher
Diesen Zusammenhang kennen Ökologen schon lange. Warum das so ist, konnten sie dagegen bisher nicht vollständig klären. Mit ihren Insektenfallen am Kilimandscharo beleuchten Claßen und ihre Kollegen um den Würzburger Bienenspezialisten Steffan-Dewenter die Hintergründe dieser Unterschiede genauer. Sie machen sich dabei die geografischen Besonderheiten des mit 5895 Metern höchsten Bergs Afrikas zunutze: Am Fuße herrschen tropische Bedingungen, mit zunehmender Höhe wird das Klima rauer. So müssen die Biologen nicht tausende Kilometer voneinander entfernte Regionen erforschen, sondern können sich auf einen relativ kleinen Raum beschränken.
Warum die Artenvielfalt von den Tropen zu den Polen abnimmt, erklären Ökologen mit zwei Mechanismen. Zum einen sprießt die Vegetation in den warmen Regionen meist recht üppig. Es gibt daher reichlich Blüten, die mehr Nahrung für Wildbienen bieten. Je mehr Tiere leben, umso kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Art ausstirbt. Mit der Zeit bleiben in den warmen Regionen daher mehr Arten übrig als in kühleren Gebieten.
Weniger Zeit zur Vermehrung
Zum anderen verteilt sich die Blütenpracht in den Tropen oft über das ganze Jahr. Wildbienen finden viele Blüten und in zwölf Monaten können einige Bienengenerationen heranwachsen. Bei jedem Zyklus können kleine Veränderungen im Erbgut entstehen, die wiederum die Grundlage für die Entwicklung zu einer neuen Art sein können. Ganz anders ist die Situation in höheren Breiten. In Mitteleuropa konzentrieren sich die Blüten auf wenige Monate im Jahr, weiter im Norden verkürzt sich die Blühperiode noch weiter. Den Wildbienen bleibt also viel weniger Zeit für ihre Vermehrung. Damit gibt es weniger Generationen und so auch weniger Veränderungen im Erbgut. Kurzum, neue Arten entstehen in den kühleren Regionen langsamer, auch deshalb ist dort die Artenvielfalt geringer. Und das keineswegs nur bei Wildbienen, sondern auch bei anderen Spezies.
Insgesamt eineinhalb Jahre hat Claßen am Kilimandscharo verbracht und hat in 60 verschiedenen Gebieten Wildbienen gefangen. Zurück in Würzburg sortierte sie die Tiere nach ihrem Äußeren und kalkuliert so die Anzahl der Arten in den einzelnen Klimaregionen des Bergmassivs. Selbst hart an der Vegetationsgrenze fand sie noch Wildbienen, allerdings nur von einer Art. Je tiefer die Studienflächen lagen, umso mehr Arten waren in die Fallen gegangen. Das gilt auch für die landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Bienen haben in Höhenlagen nur wenig Zeit zum Bestäuben
Dieses Ergebnis bestätigt die Behauptung, dass in den Tropen das Leben brummt und die Artenvielfalt besonders hoch ist. Die Daten liefern auch Hinweise, dass an beiden Mechanismen etwas dran ist, mit denen die Abnahme der Artenvielfalt mit wachsender Entfernung zu den Tropen normalerweise erklärt wird.
Claßen fand aber auch einen dritten Mechanismus, der den Artenreichtum über die Temperatur beeinflusst: „Wenn die Sonne kräftig scheint, wird es selbst auf den Hochflächen mit den zahlreichen Strohblumen recht warm“, berichtet die Forscherin. Solch hohe Temperaturen gibt es aber allenfalls für wenige Stunden am Tag. Sonst hängen die Hochlagen in Wolken, nachts gibt es oft Frost. Dann können Bienen nicht fliegen. Und auch tagsüber müssen sie erst einmal ihre Flugmuskeln einige Zeit zittern lassen, damit ihr ausgekühlter Leib auf Betriebstemperatur kommt. So blieben nur wenige Stunden, in denen die Bienen Blüten anfliegen und Nahrung finden könnten, erläutert die Biologin.
Mehr Nahrung in wärmeren Regionen
In den wärmeren Regionen brauchen die Bienen viel weniger Energie und es bleibt mehr Zeit für die Nahrungssuche. Daher können sie viel mehr Energie in ihren Nachwuchs investieren und steigern so die Artenvielfalt. Und das nicht nur bei den wechselwarmen Insekten, sondern auch bei Vögeln und Säugetieren, die ihren Organismus normalerweise immer auf relativ hohen Betriebstemperaturen halten und so auch bei Eis und Schnee noch handlungsfähig sind. Viele dieser Tiere fressen schließlich Insekten und andere wechselwarme Organismen. Dieses Nahrungsangebot wächst bei höheren Temperaturen deutlich. Damit hat Claßen ein weiteres Steuerelement aufgedeckt, das die Artenvielfalt in den Tropen erklären hilft.