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Kaiserschnitt-Geburt
© picture alliance / dpa

Perinatalkongress 2015: Operation Leben

Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt? Das muss nicht sein, sagen Geburtsmediziner. Zwei Drittel der betroffenen Frauen können das nächste Kind auf natürlichem Weg zur Welt bringen.

Als Adelir Carmen Lemos de Goes zum dritten Mal schwanger war, hegte sie einen Wunsch: Ihre ersten beiden Kinder hatte sie per Kaiserschnitt bekommen, das dritte sollte auf natürlichem Weg das Licht der Welt erblicken. Die Ärztin der 29-jährigen fand das zu gefährlich. Weil sie mit ihren Argumenten nicht durchdrang, bestellte sie ihre Patientin schließlich per Haftbefehl in die Klinik.

Der Vorfall ereignete sich Anfang 2014 in Brasilien – einem Land, in dem die Kaiserschnittrate über 50 Prozent, in Privatkliniken bei fast 90 Prozent liegt. Zur selben Zeit startete in Irland, Italien und Deutschland die von der EU finanzierte Studie „OptiBirth“. Sie soll klären, ob sich mit Beratung der Anteil der Frauen, die bereits einen Kaiserschnitt hatten und danach auf natürlichem Weg ihr zweites Kind auf die Welt bringen, merklich erhöhen lässt – also jenen Weg wählen, den die Ärztin der Brasilianerin versperrte. Sein offizieller Name: „Vaginal Birth after Cesarian“ (VBAC).

Die betreuenden Gynäkologen haben Vorbehalte

„Wir wollen die VBAC-Rate an unserer Klinik von 25 auf 40 Prozent erhöhen“, sagte Simone Hungbauer vom Bürgerhospital in Frankfurt am Main beim 27. Deutschen Kongress für Perinatale Medizin in Berlin. Im deutschen Durchschnitt liegt die Rate bei etwa 30 Prozent. „In den Niederlanden, in Schweden und Finnland wird dagegen jede zweite Geburt nach einem Kaiserschnitt als natürliche Geburt durchgeführt“, sagte die Hebammenwissenschaftlerin Mechthild Groß von der Medizinischen Hochschule Hannover. Das sei in vielen Fällen möglich und erfolgversprechend, heißt es auch in einer Leitlinie der Fachgesellschaften zum Thema, die derzeit überarbeitet wird.

Die Teilnehmerinnen der OptiBirth- Studie werden gemeinsam mit ihren Partnern zu Infoveranstaltungen und Einzelgesprächen eingeladen. Zudem werden die Gynäkologen, die die Frauen während der Schwangerschaft betreuen, in die Klinik gebeten. Denn bei ihnen treffen die Kliniker auf Vorbehalte. „Die niedergelassenen Kollegen beeinflussen die Schwangeren stark in Richtung zweiter Kaiserschnitt“, sagte Franz Edler von Koch vom Krankenhaus des Dritten Ordens in München. „Wir haben darauf wenig Einfluss. Das steuern die Frauenärzte in der Praxis, die Hebammen und die Medien“, bestätigte Karl-Theo Schneider vom Münchner Klinikum rechts der Isar. Was die Hebammen betrifft, so dürften sie ihren Einfluss umgekehrt in Richtung natürliche Geburt geltend machen.

Die natürliche Geburt hat für Mutter und Kind Vorteile

Für die vaginale Entbindung spricht nach Ansicht vieler Frauen das Geburtserlebnis und die Aussicht, schneller auf die Beine zu kommen als beim ersten Mal. Nicht zuletzt fallen die Vorteile für das Kind in die Waagschale, etwa ein verringertes Risiko, Asthma oder Allergien zu bekommen.

Rund zwei Drittel dieser Frauen können ihr zweites Kind auf natürlichem Weg auf die Welt bringen. Die Chancen stehen vor allem dann gut, wenn es beim ersten Mal einen Grund für den Kaiserschnitt gab, der beim zweiten Mal wegfällt, etwa eine ungünstige Lage des Kindes im Bauch der Mutter. Wenn die Mutter ein besonders enges Becken hat, sieht es dagegen schlechter aus. Für den Kaiserschnitt sprechen zudem eine falsche Lage des Mutterkuchens (die nach einem Kaiserschnitt wahrscheinlicher ist), eine schwere Schwangerschaftsvergiftung (Eklampsie), eine Querlage des Kindes, komplizierte Mehrlingsschwangerschaften und eine drohende Unterversorgung des Babys mit Sauerstoff.

Vaginaler Ultraschall hilft, das Narbengewebe zu beurteilen

Was die Frauen betrifft, die schon ein- oder mehrmals einen Kaiserschnitt hatten, gibt es noch eine Befürchtung – die möglicherweise die brasilianische Ärztin zu ihrem rigorosen Vorgehen getrieben hat: Die Narbe an der Gebärmutter könnte bei starken Wehen reißen. Ein Notfall, der Studien zufolge bei 0,7 Prozent der VBAC eintritt und Kind wie Mutter gefährdet. Der vaginale Ultraschall hilft jedoch, das individuelle Risiko vor der Geburt abzuschätzen, zeigten Mediziner vom Imperial College in London. Schon in der ersten Hälfte der Schwangerschaft konnten sie so die Beschaffenheit des Narbengewebes gut beurteilen. Über das Restrisiko, das trotz verfeinerter Diagnostik bleiben wird, müssen Ärzte mit den Schwangeren offen sprechen. „Patientinnen, die einen Kaiserschnitt hinter sich haben, sind sehr informiert und selbstbestimmt. Wir müssen uns Zeit für gute Beratung nehmen“, forderte Alexander Strauss vom Universitätsklinikum Kiel.

Kaiserschnitterfahrene Frauen bilden eine große Gruppe, schließlich sind Schnittentbindungen weltweit die häufigsten Operationen. Viele planen ein weiteres Kind. Die amerikanische Gesellschaft für Geburtshilfe hat sich dafür ausgesprochen, dass Ärzte vor allem die Entscheidung für eine erste Schnittentbindung zurückhaltend treffen sollten.

Nur zwei Prozent "wünschen" sich von vornherein einen Kaiserschnitt

Befragungen zufolge „wünschen“ sich allenfalls zwei Prozent aller Schwangeren von vornherein einen Kaiserschnitt. „Umgekehrt ist es für viele der größte Stolz, ihr Kind auf natürlichem Weg zu bekommen“, sagte Hungbauer. Nach der Erfahrung bei der ersten Geburt haben aber auch viele Frauen Angst davor.

Angst sei ohnehin „das häufigste Grundgefühl rund um die Geburt“, sagte Wolf Lütje vom Evangelischen Amalie-Sieveking-Krankenhauses in Hamburg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie. Er meinte nicht nur die Angst der werdenden Mütter, sondern auch der Ärzte und grenzte Angst dabei vom angemessenen Respekt gegenüber dem Vorgang der Geburt ab. Lütje plädiert dafür, dass Mütter den schwierigen, enttäuschenden oder besonders schmerzhaften Verlauf einer Entbindung danach im Gespräch mit Ärzten oder Psychologen verarbeiten – „um den Kopf für die nächste frei zu haben“.

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