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Medizin: Den Wehen die Spitze nehmen

Das Einatmen von Lachgas kann die Schmerzen unter der Geburt lindern. Der Vorteil gegenüber der PDA: Die Frau kann die Dosis des Schmerzmittels selbst regulieren

„Du sollst unter Schmerzen Kinder gebären“, soll Gottvater Eva mitgegeben haben, als er sie und ihren Mann aus dem Paradies vertrieb. Frauen aller Zeiten und Räume teilen die Erfahrung der Urmutter. Die lustvolle „orgasmische Geburt“, von der in den letzten Jahren vermehrt die Rede ist, kann jedenfalls nicht als Normalfall gelten. „Schmerzen unter der Geburt sind in allen Kulturen verbreitet“, sagte der Anästhesist Thorsten Annecke vom Klinikum der Universität München in der letzten Woche beim 26. Kongress für Perinatale Medizin im Berliner ICC. Inzwischen sei weitgehend akzeptiert, dass diese Schmerzen keine wichtige biologische Funktion besitzen, stattdessen für Mutter und Kind eher negative Auswirkungen haben könnten. „Heute erhält auch bei normalen Entbindungen jede zweite Frau eine medikamentöse Schmerzerleichterung“, berichtete Babett Ramsauer von der Klinik für Geburtsmedizin des Vivantes-Klinikums in Berlin-Neukölln.

Der Weg dahin war weit, aus medizinischen, zum Teil aber auch aus religiösen Gründen. Erst als die sittenstrenge englische Königin Victoria sich bei der Geburt ihres Sohnes Leopold 1853 Chloroform verabreichen ließ, wurde die Narkose gesellschaftsfähig.

Ist heute von Schmerzlinderung während der Entbindung die Rede, dann fällt schnell die Abkürzung PDA: In Internetforen wird unter Schwangeren heftig darüber diskutiert, ob und unter welchen Umständen man sich für eine Periduralanästhesie entscheiden sollte, also für das Legen eines Katheters in den Zwischenraum der Wirbel und des Rückenmarkkanals, durch den Medikamente fließen können, die die Nerven blockieren und den Schmerz ausschalten. Einer der großen Vorteile: Stellt sich später heraus, dass doch ein Kaiserschnitt nötig ist, dann kann die Dosis erhöht werden, die Operation kann ohne weitere Narkose stattfinden. Die PDA sei der Standard, wenn es um Schmerzbekämpfung im Kreißsaal gehe, hob Annecke hervor.

Für einige Frauen kommt sie allerdings aus medizinischen Gründen nicht infrage, etwa wegen einer Blutgerinnungsstörung. Viele Frauen wünschen sich außerdem, ohne diesen starken Eingriff in den Ablauf der Entbindung auszukommen. „Wir haben eine Verantwortung, den Frauen das Geburtserlebnis zu ermöglichen“, meint Ramsauer.

Auf jeden Fall sei es wichtig, mit jeder werdenden Mutter schon vorher über ihre Wünsche und die Schmerzbekämpfung zu sprechen. Paare haben sich oft gut auf die Geburt vorbereitet und dabei auch über die Quellen des Schmerzes nachgedacht. Sie wissen, dass schlechte Erfahrungen, Angst und körperliche Verspannungen dazu beitragen können, ihn zu vergrößern. Wie stark die Schmerzen sind, ist allerdings auch abhängig von Unwägbarkeiten, die sich ihrem Einfluss entziehen: Es kommt darauf an, wie heftig die Wehen sind, wie schnell sich der Muttermund öffnet und nicht zuletzt, wie groß der kindliche Kopf im Verhältnis zu den „Geburtswegen“ der Mutter ist.

Viele klassische Schmerzmittel wirken in der Entbindungssituation nicht gut. Inzwischen kommt eine unkompliziertere Methode zu neuen Ehren, die in Deutschland aus der Mode gekommen war – und deren Namen nicht nach Hochleistungsmedizin klingt: Lachgas, chemisch Distickstoffmonoxid, gemischt mit Sauerstoff. „Das ist das Mittel, mit dem meine Generation in der Geburtshilfe groß geworden ist“, kommentierte der Kongresspräsident Klaus Vetter, bis vor kurzem Chefarzt der Geburtsmedizin bei Vivantes Neukölln. Während des Kongresses widmeten sich zwei Sitzungen dem wiederentdeckten Gasgemisch, das heute in Flaschen angeboten wird, die in den Kreißsaal gefahren werden können.

Der große Vorteil: Die Schwangere hält die Atemmaske oder das Mundstück selbst, sie hat die Regie in der Hand. „Eine festgelegte Mischung aus 50 Prozent Lachgas und 50 Prozent Sauerstoff verhindert, dass die Mutter bewusstlos wird und das Baby zu wenig Sauerstoff bekommt“, erläuterte Ramsauer. Ein solches geschlossenes System, das die Frau, von einer Hebamme überwacht, selbst bedienen kann, produziert in Deutschland etwa die Firma Linde unter dem Namen Livopan. International sind die Gasgemische als Entonox bekannt.

Probleme beim Mischungsverhältnis und beim Abführen der ausgeatmeten Luft waren es, die die Methode für einige Zeit in Misskredit gebracht haben. Zumindest hierzulande, denn in Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Kanada, Australien oder Finnland erfreute sie sich stets großer Beliebtheit, um den Wehen die Schmerzspitzen zu nehmen. Leanne Jones von der Uni Liverpool und ihre Kollegen vom unabhängigen Cochrane-Zentrum kamen in ihrer Auswertung von Studien zur Schmerzlinderung unter der Geburt zu dem Ergebnis, dass die Atemmasken empfehlenswert sind, wenn eine PDA nicht infrage kommt. Lachgas könne zwar im Einzelfall zu Übelkeit und Benommenheit führen, beeinflusse aber die Kontraktionen der Gebärmutter nicht und lasse die Gebärende selbst die Dosierung durch die Tiefe ihrer Atemzüge bestimmen. Auch Trudy Klomp von der Uni Amsterdam stellt der Methode nach einer Analyse von 36 Studien ein gutes Zeugnis aus.

Im Universitäts-Perinatalzentrum Franken der Uni Erlangen-Nürnberg wurde das Lachgasgemisch in einer kleineren Untersuchung von Frauen getestet, die direkt nach der Geburt ihres Kindes noch wegen einer unangenehmen Verletzung behandelt wurden, etwa eines Risses im oberen Teil der Scheide. Mit gutem Erfolg, wie Sven Kehl, Oberarzt der Klinik, berichtete. Auch die Schmerzen einer äußeren Wendung, bei der ein falsch im Bauch liegendes Baby vor der Geburt mit gezielten Handgriffen in die richtige Geburtsposition gebracht wird, kann Lachgas lindern. In der Neuköllner Geburtsklinik wird die Maske dafür angeboten. In Vetters Augen eine praktikable Methode für die moderne Geburtshilfe. „Sofern die Frau wünscht, dass der Schmerz bekämpft wird“, sagte der Geburtshelfer.

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