Reproduktionswert laut RKI weiter über 1: Neuinfektionen nähern sich einem Plateau - wie ist das zu bewerten?
Die Zahl der täglichen Corona-Neu-Infizierten verringert sich in Deutschland kaum noch. Ein "geglätteter R-Wert" soll längerfristige Trends abbilden.
Das Robert Koch-Institut (RKI) bewertet den Wiederanstieg der sogenannten Reproduktionszahl über die Schwelle von 1 zurückhaltend. Sie könne auch künftig um 1 herum schwanken, der Verlauf müsse beobachtet werden, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade bei einem Briefing am Dienstag.
Ursache sei, dass sich die Zahl täglicher Neuinfektionen kaum mehr verringere und sich einem Plateau nähere. Es sei daher umso wichtiger, die Hygieneregeln weiter einzuhalten. „Das Virus ist nicht weg“, betonte Schaade. Die Gefährdung sei aber deutlich geringer als noch vor vier Wochen.
Inzwischen beeinflussten einzelne große Ausbrüche wie zuletzt in Schlachthöfen den Wert stärker als bei insgesamt höheren Infektionszahlen, erklärte Schaade. „Wir können abschätzen, dass diese jüngsten Ausbrüche die Reproduktionszahl angehoben haben.“ Seien die Ausbrüche unter Kontrolle, könne der R-Wert wieder sinken.
Dauerhaft solle der R-Wert nicht deutlich über 1 bleiben, sonst nähmen die Fallzahlen zu. Bei Werten von zum Beispiel 1,2 oder 1,3 über längere Zeit müsse man sehr genau hinschauen und sich über das Gegensteuern Gedanken machen, sagte Schaade.
Das RKI will künftig zusätzlich einen sogenannten geglätteten R-Wert mitteilen, bei dem Schwankungen besser ausgeglichen würden. Dies sei besser geeignet, um längerfristige Trends abzubilden. Aus diesem sind die Schwankungen durch einzelne Hotspots noch einmal herausgerechnet.
Wie dieser Wert berechnet wird, soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden, teilte das RKI auf Nachfrage des Tagesspiegels mit. Die zusätzliche Angabe soll die bislang kommunizierte Reproduktionszahl nicht ersetzen, sondern ergänzen: kurzfristige und geringe Schwankungen der Reproduktionszahl können mit einem weniger feinfühligen Wert verglichen werden, der für längerfristige Veränderungen aussagekräftig ist.
„In der vergangenen Woche lag dieser stabile R-Wert an keinem Tag über eins“, sagte Schaade. Die normale R-Zahl könne auch künftig um den Wert von eins liegen.
Statistische Glättungsverfahren kommen standardmäßig dort zum Einsatz, wo Trends erkannt werden sollen, die von kurzfristigen Schwankungen überdeckt werden können.
In der vergangenen Woche seien dem RKI zwischen 700 und 1300 neue Corona-Infektionen pro Tag übermittelt worden, am Montag dann knapp 1000 Fälle. „Die Zahlen bleiben also in etwa vergleichbar mit den Zahlen der letzten Woche.“ Geringere Werte an Wochenenden gelten etwa wegen Meldeverzugs durch die Gesundheitsämter und geschlossener Arztpraxen als üblich.
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Wie Schaade ausführte, muss es keinen Widerspruch darstellen, wenn die Tendenz der aktuell berichteten Neuinfektionen sinkend ist, die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, gleichzeitig aber etwas steigt. Der R-Wert bilde jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab: der am Montag gemeldete Wert von 1,07 zum Beispiel die Situation in der Zeit vom 28. April bis 3. Mai. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel etwas mehr als eine andere Person ansteckt.
Anteil der positiven Tests sinkt auf 4,5 Prozent
Die Neuerkrankungen der vergangenen drei Tage würden in die Schätzung nicht einberechnet, da es dabei erfahrungsgemäß noch Nachmeldungen und somit starke Schwankungen gebe. Der R-Wert sei auch nur einer von mehreren Parametern in der Beobachtung der Epidemie, bekräftigte Schaade.
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Das Testverhalten beeinflusse den R-Wert nur bei abrupten Veränderungen, sagte Schaade. In der Kalenderwoche 18 seien etwa 330.000 Corona-Tests bundesweit durchgeführt worden, der Anteil der positiven Ergebnisse sei dabei weiter gesunken, auf nun etwa 4,5 Prozent. Dies deute auf das gewünschte sensitive Testen hin.
Der RKI-Vizechef erneuerte seinen Appell an die Bevölkerung: „Helfen Sie mit, das Virus auch weiter in Schach zu halten.“ Es gelte unter anderem, weiter so weit wie möglich zu Hause zu bleiben, Kontakte zu beschränken und Abstand zu anderen Menschen zu halten.
Trotz der aktuell geringen Neuinfektionszahlen in manchen Regionen dürfe man die Dunkelziffer unerkannter Fälle nicht außer Acht lassen, gab Schaade zu bedenken. Auch diese wenigen Infizierten könnten das Geschehen wieder aufflackern lassen, wenn man sich nicht an die Regeln halte und zum Beispiel enge Kontakte auf einer Party habe. (dpa)