zum Hauptinhalt
Mahlzeit. 35 Kilo Schweinefleisch verzehrt der Durchschnittsdeutsche im Jahr. Im Moment ist Fleisch billig, doch das wird sich ändern, wenn das Virus Schlachthöfe stilllegt.
© imago/Westend

Corona im Schlachthof: Wenn das Kotelett knapp wird

In den Schlachthöfen gibt es viele Covid-19-Infektionen. Betroffen sind vor allem osteuropäische Werkvertragsarbeiter.

Ende dieser Woche werden wir wissen, wie es um die Fleischversorgung aussieht: Wird es Engpässe geben? Was machen die Bauern, deren Tiere nicht mehr geschlachtet werden können? Fallen die Preise oder steigen sie?

Am Sonntag hat das Unternehmen Westfleisch begonnen, die gesamte Belegschaft auf Corona zu testen. Westfleisch beschäftigt in vier Schweine-Schlachthöfen (Coesfeld, Hamm, Gelsenkirchen, Erkenschwick) und zwei Rinder-Schlachtbetrieben 2000 Mitarbeiter sowie gut 1500 Werkvertragsarbeitnehmer. Coesfeld war von der Landesregierung in Düsseldorf letzte Woche geschlossen worden, nachdem Tests sehr viele Infektionsfälle ergeben hatten: Unter den 1200 Beschäftigten in Coesfeld wurden bis Montagmittag rund 230 positiv getestet.

Arbeitsschutz allein reicht nicht

Westfleisch, der viertgrößte Schlachter hierzulande, bemüht sich nach Angaben der zuständigen Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) seit Wochen um Arbeitsschutz: In den Betrieben wurden kleine Teams gebildet, die immer zusammen arbeiten, zusammen Pausen machen und wenn möglich auch gemeinsam den Arbeitsweg in Fahrgemeinschaften zurücklegen, damit die Zahl der Kontaktpersonen gering bleibt. Masken seien vorhanden und an den Bändern gebe es Abstand zwischen den Akkordarbeitern, lobt Thomas Bernhard von der NGG die Bemühungen von Westfleisch. Als in Erkenschwick 33 Beschäftigte positiv getestet wurden, „hat das Unternehmen gut reagiert und die Betroffenen in Hotels untergebracht und isoliert“, berichtet der Gewerkschafter.

30 000 Schlachter aus Osteuropa

Westfleisch hat es trotz Arbeitsschutz voll erwischt, weil eben vor allem die aus Rumänien, Bulgarien und Polen stammenden Werkvertragsarbeitnehmer in Gemeinschaftsunterkünften leben und in der Freizeit eng zusammen hocken. Das gilt jedoch für den ganz überwiegenden Teil der 30 000 osteuropäische Werkvertragsarbeiter, die in den rund 500 Schlachthöfen hierzulande Tiere töten und zerlegen. Allein beim Marktführer Tönnies arbeiten in dessen Hauptbetrieb in Rheda-Wiedenbrück mehr als 6000 Personen, ein Großteil davon Osteuropäer. Wie diese Schlachter untergebracht sind, weiß kaum jemand. Vom Ein- bis Acht-Bett-Zimmer ist alles vertreten, sagt der NGG-Gewerkschafter Bernhard.

Jetzt beginnen die Tests bei Tönnies

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat am Montag den Kreis Gütersloh angewiesen, die Mitarbeiter von 16 Schlachtbetrieben in der Region auf das Coronavirus zu testen. „ Los geht es bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück“, teilte der Kreis mit. „ Die Teststrategie ist risikoorientiert, von den Großen zu den Kleinen.“ Aber warum erst jetzt? Bereits vor drei Wochen war bei Müller Fleisch in Birkenfeld bei Pforzheim fast ein Viertel der 800 Personen umfassenen Belegschaft positiv getestet worden. Und in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg) wurden in einem vergleichsweise kleinen Schlachthof von Vion 128 Coronafälle festgestellt, weshalb die Kieler Landesregierung vergangene Wochen Tests in allen Schlachthöfen des Bundeslandes verordnete.

Angeblich kaum Coronafälle

Beim Marktführer Tönnies gibt es das Problem nicht. „Lediglich vier Mitarbeiter aus der Unternehmensgruppe wurden im Laufe der vergangenen Wochen positiv auf das neuartige Virus getestet“, teilte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage mit. „Die Ansteckung lag aber außerhalb des Unternehmens und die Infektionsketten konnten frühzeitig erkannt werden.“ Am Montag seien erste Tests im riesigen Schlachtbetrieb Rheda-Wiedenbrück durchgeführt worden. „Ziel ist es, in den kommenden Tagen je 500 Beschäftigte pro Tag im Werk in Rheda zu testen“, sagte der Tönnies-Sprecher.

Schweinefleisch ist günstig

Was auch immer dabei rauskommt: Der Markt hat schon reagiert. Der Kilopreis für Schweinfleisch liegt schon länger bei 1,70 Euro und ist damit so niedrig wie seit vielen Monaten nicht mehr. Erst drückte die Schließung der Gastronomie den Preis, jetzt sind es die Bauern, die ihre Schweine so schnell wie möglich schlachten lassen wollen, weil sie weiterer Schlachthofschließungen befürchten. Das schickt den Preis noch weiter in den Keller. Doch der Trend kann schnell drehen, wenn die Schlachtkapazitäten sinken, und die Verbraucher aus Sorge um ihr Kotelett zu Hamsterkäufen an den Fleischtheken auftauchen. Mehr als 35 Kilo Schweinfleisch verzehrt der Durchschnittsdeutsche jedes Jahr.

Im Sektor Vieh und Fleisch der Ernährungswirtschaft arbeiten hierzulande gut 400 000 Personen, der größte Teil davon im Fleischerhandwerk, aber auch rund 100 000 in den Bereichen Schlachtung, Zerlegung sowie Groß- und Außenhandel. Ein deutscher Facharbeiter im Schlachthof verdient nach Angaben der Gewerkschaft NGG ungefähr 15 Euro die Stunde; die osteuropäischen Werkvertragsarbeiter kommen mit dem deutschen Mindestlohn sowie einer Akkordzulage auf maximal zwölf Euro.

Aktuelle Stunde im Bundestag beantragt

Die Arbeitsbedingungen im Schlachthof sind ebenso wie die Unterbringung der Rumänen, Bulgaren und Polen seit vielen Jahren umstritten. Im Rahmen einer Selbstverpflichtung hat die Branche 2017 Besserung versprochen, doch nur in Niedersachsen gibt es für Behörden die Möglichkeit, die Unterkünfte zu überprüfen.  Die Grünen haben für diese Woche eine aktuelle Stunde im Bundestag zu den Arbeitsbedingungen beantragt.

Haltung und Mast der Tiere, Transport und Schlachtung sind geprägt vom Preisdiktat. „Die deutsche Besonderheit, möglichst wenig für Produkte zahlen zu wollen, prägt den gesamten Kreislauf von der Aufzucht bis in die Verkaufstheken“, heißt es im Branchenbericht Schlachten und Fleischverarbeitung der NGG.

Zur Startseite