Position: Neue Professuren schaffen, neue Forschungsfelder gewinnen
Der Bund muss auf fehlende Perspektiven und Forschungsfelder reagieren - mit einem neuen Programm für 1000 Professuren, fordert unser Gastautor.
Selten ist ein Sachverhalt so eindeutig skandalös und in der Öffentlichkeit dennoch weitgehend beschwiegen worden: Es besteht ein eklatantes Missverhältnis von inzwischen fast explodierenden 188 000 wissenschaftlichen Mitarbeitern zu in etwa stabilen 37 000 Hochschullehrenden. Das hat zu einem engen Flaschenhals für den Professorennachwuchs geführt – und zu einem kurz bevorstehenden kollektiven Verzweiflungsausbruch unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern. Deren Teilzeit-Verträge sind in aller Regel auf wenige Jahre befristet. Im Bundestagwahlkampf 2017 spielte dieser Skandal keine Rolle, im Koalitionsvertrag auch nicht und in den Tarifvertragsvorbereitungen der öffentlichen Arbeitgeber und Gewerkschaften erst recht nicht.
Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Wissenschaftsrat kümmern sich nicht ernsthaft um das Problem. Über Schulpolitik wird gestritten, über Hochschulen geschwiegen. 2,8 Millionen Studierende sind ein schlafender Faktor. Seit zehn Jahren haben sich Studierende in Kreuzbravheit geübt – so als ob der Bachelor eher verdummt als urteilsfähig macht.
Höchste Zeit für Nachwuchsförderung
Angesichts der Grundgesetzänderung von 2014, die es dem Bund ermöglicht, dauerhaft in die Grundfinanzierung der Hochschulen zu investieren, ist es überfällig, dies auch zu tun. Doch die Unentschlossenheit und sogar Unwilligkeit, die Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) von ihren Vorgängerinnen offensichtlich geerbt hat, erstreckt sich auf die Chance, endlich das Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden nachhaltig zu verbessern. Anstatt sich hier mit konstruktiven Vorschlägen und Initiativen zu Wort zu melden, vertraut Karliczek wohl darauf, dass in Zukunft Lehrstühle vorrangig von Lidl, der Deutschen Bank und Volkswagen bezahlt werden.
Wie wäre es dagegen mit einem Bundesprogramm für 1000 Vollzeit- und Teilzeit-Professuren für neue Forschungsfelder und Nachwuchsförderung? Es könnte den eklatanten Missstand ansatzweise politisch angehen und zumindest mildern. Das bereits laufende Programm für 1000 Tenure-Track-Professuren hat eine vollkommen andere Ausrichtung und kommt dem hier entwickelten Vorschlag nicht ins Gehege.
Zur Verkehrswende und zu Fluchtursachen forschen
Wer sich umtut, auf welchen gesellschaftlich höchst relevanten Forschungsfeldern öffentlich finanzierte Forschung nicht stattfindet, wird Peinliches feststellen. Die Automobilindustrie steckt 45 Milliarden Euro in die Forschung schmucker Autos – und die Universitäten haben kein einziges wirklich unabhängiges Institut zur Mobilitäts-(Verkehrswende-)Forschung. Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) etwa hat die internationale Automobilforschung eingestellt und die Experten, die uns öfters im Fernsehen begegnen, sind oft nahe bei einem Automobilkonzern. Das gilt leicht eingeschränkt auch für die internationale Migrationsforschung und die Demokratieforschung. Über die Lächerlichkeit der Afrika-Forschung wollen wir nicht sprechen. Von wegen Fluchtursachen bekämpfen.
Wie groß der Leidensdruck des wissenschaftlichen Nachwuchses inzwischen ist, zeigen die Aktivitäten eines 2017 gegründeten Netzwerks des Mittelbaus. Es ringt um Strategien, den offenkundigen Skandal sowohl auf der Ebene der Tarifverhandlungen als auch mit einem Bündnis mit Studierenden zu einem exemplarischen Streik zum Sommersemester 2019 zu entwickeln. Dass sich dieser Initiative auch die 4000 Privatdozenten anschließen, liegt bei deren „Lehre zum Nulltarif“ auf der Hand.
Chancen der Teilzeit-Professur
Mit einem Programm für Vollzeit- und Teilzeit-Professuren könnte die Ministerin auch ein spannendes Projekt für die Zukunft der Arbeit leisten. Die Hochschulen brauchen nicht nur selbstbezogene Männer, brav Habilitierende und Angepasste, sondern Menschen mit vielfältigen Qualifikationen. Bundesweit 150 Kolleginnen und Kollegen, die Teilzeit-Professur-Modelle zumeist auf Basis einer Zwei-Drittel-Stelle seit über 30 Jahren praktiziert haben, könnten gut erklären, warum das Dasein als überlastete, forschungszerriebene Hochschullehrende kein Schicksal sein muss.
Vielmehr können sie ihre Bedürfnisse nach mehr Forschung oder mehr Lehre ausleben – und nach ihrer individuellen Work-Life-Balance. Auch ein Mitarbeiterleben in Festanstellung, aber ohne Professur muss mehr Menschen an den Hochschulen ermöglicht werden. Hier hat Deutschland gegenüber Kanada, Schweden, Norwegen, der Schweiz und den Niederlanden erheblichen Nachholbedarf. Die Studierenden jedenfalls akzeptieren solche Modelle, in denen ihre Profs bei durchgehender Zwei-Drittel-Bezahlung im Zyklus „Zwei Jahre voll – ein Jahr frei“ arbeiten.
Den brodelnden Kessel befrieden
Die Bildungsministerin sollte ihre Chance wahren, den brodelnden Kessel zu befrieden – und nicht auf die Professorenschaft zu hören, die weitgehend nur auf sich und Ihren Forschungsumsatz starrt. Verkünden könnte Anja Karliczek ihr progressives Professoren-Programm im überfüllten Audimax der Berliner Humboldt-Universität – das wäre doch mal ein wirkungsvoller Aufschlag.
Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin und war selbst von 1985 bis 2007 Teilzeit-Hochschullehrer im Trio mit den Kollegen Wolf-Dieter Narr und Bodo Zeuner – sowie Mitinitiator des Bildungsstreiks 2008/09. Zu seinen Forderungen nach einem Bundesprogramm für 1000 Professuren hat Grottian der Bundesforschungsministerin unlängst einen Brief geschrieben.
Peter Grottian