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Außenansicht des Hauses der Wannee-Konferenz.
© Stephanie Pilick dpa/lbn

Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz: Neue Blicke auf Täter und Opfer

Die Vernichtungsmaschinerie erklären: Der Ort, an dem der Massenmord an den Juden geplant wurde, präsentiert sich mit einer neuen Dauerausstellung.

Der „Tisch“ ist weg. Standen Besucher im Haus der Wannsee-Konferenz früher an einer langgezogenen Glasvitrine im Konferenzsaal, mögen sie gedacht haben: So war es wohl, um einen Tisch mit solchen Abmessungen saßen und standen die 15 Herren, die hier am 20. Januar 1942 besprachen, wie der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden, die sogenannte „Endlösung“, zu organisieren sei.

„Dieses Bild der Besprechung, das der ,Tisch‘ wachgerufen hat, wollten wir nicht mehr. Denn wir wissen bis heute nicht genau, wie das Setting ausgesehen hat“, sagt Elke Gryglewski, die stellvertretende Direktorin der Gedenkstätte. Sie ist Projektleiterin der neuen Dauerausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz, die ab dem kommenden Montag öffentlich zugänglich ist.

Es liegt zwar nahe, dass der große Speise- und Konferenzsaal der Villa am Großen Wannsee tatsächlich der Besprechungsraum für die 15 Vertreter von Reichs- und Besatzungsbehörden sowie von der SS und der Polizei war, sagt auch Gedenkstättenleiter Hans-Christian Jasch.

Doch Fotos von der Zusammenkunft gibt es nicht. Und auch in dem aus dem Auswärtigen Amt überlieferten Protokoll der Wannsee-Konferenz, das Adolf Eichmann, Referent für „Judenangelegenheiten“, in Absprache mit seinem Chef Reinhard Heydrich erstellte, fehlen solche Hinweise.

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Das Protokoll, das in der früheren Ausstellung in der Tisch-Vitrine zu sehen war, findet sich jetzt in einen Ausstellungsmöbel an der Wand des Konferenzsaals sowie in einem speziellen Raum für die „Akte Endlösung“.

Die neue Präsentation soll künftig ein breiteres Publikum anziehen und den Prozess der Verfolgung und den Völkermord an den Juden im Nationalsozialismus verständlich machen. D
Die neue Präsentation soll künftig ein breiteres Publikum anziehen und den Prozess der Verfolgung und den Völkermord an den Juden im Nationalsozialismus verständlich machen. D
© epd

Sätze wie dieser verdeutlichen die kalte Sprache der Bürokraten des Holocaust: "Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit (...) die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten."

Weniger textlastig und akademisch als bisher

So unfassbar die verbrecherischen Dimensionen und das Ausmaß der Inhumanität der Ausbeutungs- und Tötungsmaßnahmen, die bei der Wannsee-Konferenz geplant wurden, heute sind: Zum neuen Konzept der Ausstellung gehört es, sie weniger textlastig und akademisch als bisher, sondern allgemeinverständlich zu präsentieren. „Die neue Ausstellung ist im ,Design für alle‘ gestaltet und damit fast durchgängig barrierefrei“, sagt Elke Gryglewski,.

Die Texte sind in „klarer Sprache“ verfasst und nehmen Rücksicht auf die Bedarfe von Menschen mit Lernschwierigkeiten und Einschränkungen beim Bewegen, Sehen oder Hören.

Die modernen Ausstellungsmöbel sind jeweils mit dem Rollstuhl unterfahrbar und es gibt neben Texten in Brailleschrift die Möglichkeit, Erklärungen in einfacher Sprache mit einem Multimediaguide abzurufen. Die Ausstellung soll gleichzeitig Schülerinnen und Schüler aller Schularten, Studierende, Angehörige von Bundesministerien und internationale Gäste ansprechen – also alle Gruppen, die regelmäßig Führungen und Workshops im Haus der Wannseekonferenz buchen.

Ausstellungsflächen mit Bildschirmen im Haus der Wannsee-Konferenz.
Ein Blick in die neue Dauerausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz.
© Svea Hammerle/GHWK Berlin

Ein Spagat, der dem Kuratorenteam und dem Berliner Gestaltungsbüro Franke und Steinert, das unter anderem die auf ein junges Publikum abgestimmte neue Ausstellungsarchitektur des Berliner Anne Frank Zentrums entworfen hat, gelungen ist. Die auf die Ausstellungsflächen gedruckten Haupt- und Nebensätze lesen sich gut. Und an zahlreichen Audiostationen sowie auf herausziehbaren zusätzlichen Texttafeln lassen sich die Basisinformationen bei Bedarf vertiefen.

Die Ausstellung habe auch für andere Gedenkstätten Pilotcharakter, die einen "breiten Bildungsauftrag in einer vielfältigen Gesellschaft" wahrnehmen, sagt Ko-Kurator David Zolldan. Die Kosten für die Neukonzeption liegen bei 2,1 Millionen Euro inklusive der Kuratorenstellen, finanziert wurde sie aus Mitteln der Lottostiftung und des Bundes.

Den Zugang zum verwaltungsmäßigen Charakter der Wannsee-Konferenz erleichtern soll ein neuer Fokus auf die Verwicklung der beteiligten Ministerien. „Früher mussten sich die Besucher durch alle acht Ausstellungsräume bewegen, um zu verstehen, welche Behörde wann und in welcher Weise in die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden einbezogen war“, sagt Elke Gryglewski.

Jetzt erschließe sich in den 450-Quadratmetern Ausstellungsfläche an verschiedenen Stellen unmittelbarer, wie sie aktiv wurden.

Ausstellungsraum im Haus der Wannsee-Konferenz vor der Neugestaltung mit einer langgezogenen Vitrine in der Mitte des Raums.
Das frühere Speisezimmer, in dem die Besprechung stattgefunden haben soll. Hier ein Blick in die alte Ausstellung mit der Vitrine in "Tisch"-Form.
© Thilo Rückeis

Diskutieren, was Fotos aus der Täterperspektive ausmacht

„Partizipativ“ sind auch Stationen der Ausstellungen, an denen Besucher etwa über Bilder vom Holocaust diskutieren können. Jüdische Männer werden beim Novemberprogrom von 1938 durch die Straßen Baden-Badens getrieben: Was fehlt ist ihre eigene Perspektive, weil es die Täter waren, die die Bilder schossen, um die Demütigung ihrer Opfer auszustellen.

[Die neue Ausstellung in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Am Großen Wannsee 56-58, 14109 Berlin) ist ab 20. Januar montags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet; Eintritt frei.]

Auf Biografien Verfolgter und Ermordeter, die die Ausstellung zuvor durchlaufend begleitet haben, verzichtet die Gedenkstätte jetzt weitgehend. Neu sind "Stationen des personalisierten Erzählens", an denen das "Narrativ der Verfolgerperspektive durchbrochen wird", wie Hans-Christian Jasch sagt. Ein Beispiel ist der mutige Protest des Ladeninhabers Richard Stern, der beim April-Boykott von 1933 in Köln vor seinem Geschäft ein Flugblatt an Passanten verteilte.

Ausführlicher als früher erzählt werden auch die Werdegänge der 15 Teilnehmer an der „Besprechung mit anschließendem Frühstück“. „Unser Ausgangspunkt ist die Wannsee-Konferenz“, sagt Elke Gryglewski. Andere Institutionen der Berliner Erinnerungslandschaft haben einen anderen Fokus, die Biografien der Opfer etwa stehen im Mittelpunkt des Ortes der Information des Holocaust-Mahnmals.

Mitwisserin: Ingeburg Werlemann, Sekretärin Eichmanns

Der Blick auf die Täter am Großen Wannsee indes geht heute über die 15 unmittelbar beteiligten Männer hinaus. „Wir wollen zunehmend auch Frauen und ihre ganz alltägliche Mitwisserschaft in den Blick nehmen“, sagt die Projektleiterin. Gemeinsam mit ihrem Mann Marcus Gryglewski hat sie die mutmaßliche Rolle von Ingeburg Werlemann, der Sekretärin Eichmanns, untersucht.

Mehrere hintereinanderliegende, neu gestaltete Ausstellungsräume im Haus der Wannsee-Konferenz.
Blick in die neugestalteten Ausstellungsräume.
© Svea Hammerle/GHWK Berlin

Sie sagte als Zeugin bei einem Prozess in den 1960er Jahren aus, bei der Besprechung am Großen Wannsee stenografiert zu haben. Das Stenogramm ist nicht erhalten, aber wer Ingeburg Werlemann war und wie sie mit ihrer Mitwisserschaft umgegangen ist, soll demnächst in der neuen Ausstellung auf einer der „Flextafeln“, die für neue Erkenntnisse vorgesehen sind, ergänzt werden.

Eine Station wird noch vor der Eröffnung wieder abgebaut

Eine Station der Ausstellung, die beim Presserundgang am Donnerstag noch präsentiert wurde, werde nach kritischen Nachfragen von Journalisten nicht in Betrieb genommen, teilte Gedenkstättenleiter Jasch im Anschluss mit.

Im letzten Raum sollten Bilder etwa mit einer Verbotstafel für junge, männliche Geflüchtete vor einem Schwimmbad aus dem Sommer 2016 oder vom Kundenandrang vor der Filiale einer (fiktiven) Billigbekleidungs-Kette zum Nachdenken über das "Zuschauen und Wegsehen" in heutiger Zeit anregen, wie Elke Gryglewski erläuterte.

Um einen Vergleich zur Ausgrenzung von Juden im Nationalsozialismus habe es ausdrücklich nicht gehen sollen; das wurde auch im Einführungstext so erklärt. Jasch betonte in seiner Mitteilung, diese Station sei ohnehin schon länger hausintern diskutiert worden.

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