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Gesunde Nervenzellfortsätze (links) sind von speziellen Hüllen, sogenannten Myelinscheiden, umgeben. Sie beschleunigen die Reizübertragung. Bei Multipler Sklerose zerstört das Immunsystem diese Hüllen.(rechts).
© imago/Science Photo Library

Fehlgeleitetes Immunsystem umtrainiert: Mit RNA gegen Multiple Sklerose

Zwei Impfstoffe gegen Covid-19 basieren auf RNA - und funktionieren prächtig. Bei Mäusen wirken die Moleküle auch gegen Autoimmunerkrankungen wie MS.

Dass man mit RNA impfen und vor Infektionskrankheiten wie Covid-19 schützen kann, das hat das Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci, beide forschen an der Universität Mainz, der Welt bewiesen.

Doch mit den Molekülen, von Molekularbiologen als Boten-RNA (kurz: mRNA) bezeichnet, lassen sich womöglich noch andere, bisher unbehandelbare Krankheiten lindern oder heilen.

Dazu gehören verschiedene Formen von Krebs, aber auch Autoimmunkrankheiten wie Rheuma oder das Nervenleiden Multiple Sklerose. So wie die mRNA das Immunsystem lehren kann, gegen Sars-CoV-2 vorzugehen, kann es auch an gegen Tumorzellen und wohl auch – wie jetzt von Sahin und Kollegen im Fachblatt "Science" beschrieben – gegen Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose (MS).

Wenn sich die Immunabwehr gegen den eigenen Körper richtet

Bei solchen Erkrankungen richten sich die Abwehrkräfte nicht gegen Krankheitserreger oder Tumorzellen, sondern attackieren die Zellen und Organe des eigenen Körpers. Im Fall der MS sind es die Hüllen von Nervenfasern im Gehirn und im Rückenmark, die schließlich absterben und Sehstörungen und Muskelschwäche auslösen.

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Bisher können Ärzte das Voranschreiten der Krankheit nur verlangsamen, mit Medikamenten, die das Immunsystem hemmen, aber eine Therapie, die die fehlgeleitete Immunreaktion korrigiert, gibt es noch nicht. Eben dies gelang Sahins Forschungsteam nun an Mäusen.

Sahins Team nutzt dafür eine mRNA, die die Bauanleitung für ein Protein aus der Hülle von Nervenfasern enthält. Allerdings ist die mRNA (anders als etwa beim Impfstoff gegen Covid-19) auf besondere Art verändert: Während in natürlicher mRNA der Baustein Uridin verwendet wird, ersetzen es die Forscherinnen und Forscher stattdessen mit „Pseudouridin“.

Diese „Pseudo“-mRNA (im Fachsprech m1Y-mRNA genannt) aktiviert im Immunsystem nur ganz bestimmte Immunzellen, nämlich jene, die Autoimmunreaktion, also Angriffe auf Zellen des eigenen Körpers verhindern sollen.

Regulatorische Immunzellen trainieren, damit sie die Körperabwehr wieder zähmen

Wenn diese regulatorischen T-Zellen (Treg) fehlen oder nicht richtig funktionieren dann schießt das Immunsystem über das Ziel hinaus und greift die eigenen Zellen an. Normalerweise halten die Treg-Zellen, die mit dem Blut zu diesen Entzündungsherden transportiert werden, die überschießenden Abwehrzellen recht zuverlässig in Schach.

Doch bei Diabetikern in der Bauchspeicheldrüse, bei Rheumatikern in den Gelenken und bei MS-Patienten in Gehirn und Rückenmark scheint dabei offenbar etwas schief zu gehen. Die Treg-Zellen versagen.

Sahins Impfung mit Pseudo-mRNA macht sie hingegen wieder fit - aber offenbar ohne dabei die aggressive, angreifende Komponente des Immunsystems zu schwächen. Die Immunzellen, die sich gegen die Nervenhüllen richten, werden nicht abgetötet, sondern nur unterdrückt.

„Es handelt sich offensichtlich um eine relativ sanfte Methode, bei der die nützlichen Immunreaktionen intakt bleiben“, sagt Thomas Kerkau von der Universität Würzburg. Der Immunbiologe erforscht ebenfalls Autoimmunkrankheiten, war aber an der Studie aus Mainz nicht beteiligt. Die Arbeit zeige mit vielen Versuchen auf, wie die Impfung mit Pseudo-mRNA auf das Immunsystem wirkt - offenbar so gut, dass die behandelten Tiere viel geringere Krankheitssymptome als die nicht geimpften entwickeln.

Noch ein langer Weg zur MS-Impfung - aber vielversprechend

Bis diese Impfung mit Pseudo-mRNA auch zur Behandlung von Menschen eingesetzt werden kann, liegt allerdings noch ein langer Weg vor den Forschern. Ihn dennoch zu gehen, scheint aber lohnenswert.

Denn die Produktion von Pseudo-mRNA ist vergleichsweise preiswert und schnell möglich. Das bedeutet, dass für jeden Patienten genau die Impfung hergestellt werden könnte, die exakt jene Proteine aus der Hülle seiner Nervenfasern widerspiegelt, die seine Multiple Sklerose auslösen.

Und was gegen Multiple Sklerose funktioniert, könnte auch bei anderen Autoimmunkrankheiten funktionieren.

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