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Flüchtlinge und Helfer sitzen und stehen zusammen an einem Tisch.
© M. Hitij/dpa

Studie zu Ehrenamtlichen: Für Flüchtlinge engagieren sich vor allem Frauen

Zwei Drittel der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe wird durch Frauen gestemmt. Was die Helfenden motiviert und warum sie dabei bleiben, zeigt eine Berliner Studie.

Sie standen an Bahnhöfen und in Erstaufnahmestellen und verteilten Essen oder Kleidung an die Neuankömmlinge. Wenn die Behörden mit der Registrierung der Flüchtlinge überfordert waren, versuchten sie, die Not zu lindern. Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe wurde im Sommer 2015 zu einer Massenbewegung. Wer diese Helferinnen und Helfer sind, was sie motivierte und wie sie sich bis heute organisieren, zeigt eine am Donnerstag vorgestellte Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität (hier die gesamte Studien).

"Die Chancen des ,Sommers des Willkommens' nutzen"

Zwei Drittel der bundesweit 2291 im November und Dezember vergangenen Jahres befragten Ehrenamtlichen engagieren sich erst seit dem Sommer 2015, sind aber bereit, kontinuierlich dabeizubleiben, sagen die Studienleiter Serhat Karakayali vom BIM und Olaf Kleist von der Universität Osnabrück. Damit das Engagement aber tatsächlich nachhaltig ist, sollten die Ehrenamtlichen von staatlicher Seite und von Stiftungen gezielt gefördert werden. „Die Chancen des ,Sommers des Willkommens‘ müssen genutzt werden, solange die geschaffenen Projekte und Initiativen noch bestehen“, fordern die Flüchtlingsforscher. Staat und Stiftungen sollten ihnen mit Know-how und Geld unter die Arme greifen.

Frauen helfen, Männer zieht es wohl eher zu den Rechtspopulisten

Von der Not der Geflüchteten bewegt wurden und werden überwiegend Frauen. Drei Viertel der Ehrenamtlichen sind weiblich, bei den unter 50-Jährigen sind es sogar 80 Prozent. Dieses Geschlechterverhältnis hatte sich bereits in einer Vorgängerstudie gezeigt, für die Ende 2014 einige hundert Helfende befragt wurden. Womöglich würden Frauen in Deutschland zu größeren Teilen die Willkommenskultur für Flüchtlinge unterstützen, vermutet Karakayali. Dagegen hätten rechtspopulistische Parteien, die sich für eine restriktive Flüchtlingspolitik aussprechen, einen deutlich höheren Zulauf von Männern.

Weniger Junge und mehr aus der mittleren Generation engagieren sich

Doch während in der Befragung von 2014 einerseits die jungen Frauen und insgesamt Studierende sowie andererseits deutlich Ältere dominierten, sei es jetzt zu einer demografischen „Normalisierung“ gekommen, heißt es. Zwar bleibt es bei dem hohen Frauenanteil, der einem allgemeinen Trend beim Ehrenamt widerspricht, nach dem sich zunehmend Männer auch sozial engagieren, wie Karakayali erklärte. Nach der jetzt vorgestellten Umfrage sank der Anteil der unter 30-Jährigen und der Studierenden um die Hälfte, dafür stieg der Anteil der mittleren Generation der über 50-Jährigen und insgesamt der Erwerbstätigen.

Weil die Flüchtlingsforscher lediglich ehrenamtlich Tätige über deren Initiativen und E-Mail-Verteiler ansprachen, ist die Studie nicht repräsentativ. Begründet wird dies damit, dass eine groß angelegte Telefonumfrage, die die Gesamtheit der Bevölkerung einbeziehen würde, vor allem finanziell zu aufwendig wäre. Regionale Schwerpunkte der Umfrage liegen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern, aber auch andere Bundesländer sind beteiligt. Unterschiede in der Intensität und Art des Engagements zwischen West und Ost habe man nicht ausmachen können, sie lägen eher zwischen Stadt und Land, heißt es. Gerade die Landgemeinden mit unter 20 000 Einwohnern, in denen Ehrenamtliche nach der ersten Befragung unterrepräsentiert waren, haben aufgeholt. Der neuen Studie zufolge stieg ihr Anteil in Landstädten von knapp vier auf 16 Prozent und in Kleinstädten von elf auf 19 Prozent der Befragten. In größeren Städten ist das Engagement von 23 auf 14 Prozent zurückgegangen, in Millionenstädten blieb es aber mit 24 beziehungsweise 23 Prozent stabil.

Die meisten geben Sprachkurse und helfen bei Behördengängen

Spitzenreiter bei der Art des Engagements sind Sprachkurse, gefolgt von Behördengängen sowie Geld- und Sachspenden. Für den hohen Aufwand, den die Initiativen für ihre Selbstorganisation etwa bei der Einteilung von Diensten bei regelmäßig stattfindenden Sprachangeboten betreiben, spricht die ebenfalls häufige Nennung von „Unterstützung anderer Ehrenamtlicher“.

Doch was treibt die Helferinnen und Helfer an? Sie wollen die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitgestalten – das sagen 97 Prozent. 90 Prozent sehen in ihrem Engagement ein Statement gegen Rassismus. Bei den Jüngeren verstehen immerhin 60 Prozent ihre Arbeit auch als Protest gegen Defizite in der staatlichen Flüchtlingspolitik. Insgesamt aber haben nur neun Prozent den Eindruck, dass sie „auf jeden Fall staatliche Aufgaben“ übernehmen. Gut die Hälfte der Befragten ist überzeugt, dass ihr Engagement für die Geflüchteten teils in den Aufgabenbereich des Staates fallen würde und teils in den der Zivilgesellschaft. Ein wichtiger Motivator ist indes das Gemeinschaftsgefühl im Kreise der Helfenden: 92 Prozent stimmen dem zu. Die „Dankbarkeit der Flüchtlinge“ ist für jüngere Engagierte unter 30 Jahren relevanter als für ältere.

Hohe zeitliche Belastung - aber vom Einsatz erfüllt

Die Einsatzbereitschaft ist hoch: Ein Viertel der Befragten war zumindest Ende 2015 mehr als zehn Stunden pro Woche tätig. Eine Überarbeitung und Überforderung oder starke Frustrationen der Helfer, wie sie sich zeitweise am Berliner Lageso gezeigt haben, können Karakayali und Kleist nicht für die Masse der Engagierten bestätigen: Trotz der hohen Belastung seien fast drei Viertel von ihrem Einsatz erfüllt; 60 Prozent zögen neue Motivation aus ihrem Engagement.

Abschreckung durch Anschläge? Helfende könnten hartnäckig bleiben

Wie sich die Ereignisse der Kölner Silvesternacht und die Anschläge, die junge Flüchtlinge in den vergangenen Wochen in Deutschland verübt haben, auswirken, soll ein dritter Durchlauf der Studie zeigen. Die Forscher rechnen „mit einer gewissen Hartnäckigkeit“ der Helfenden: Jetzt könnte ihre Arbeit mit den Geflüchteten erst recht wichtig sein.

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