Bertelsmann-Studie: Mehr Inklusion an Schulen - aber nur langsam
Das deutsche Schulsystem wird inklusiver - aber nur in kleinen Schritten, ergibt eine Studie. In Berlin besuchen nur noch wenige Kinder eine Sonderschule.
Die Inklusion an Schulen in Deutschland kommt voran – allerdings nur langsam. So gehen inzwischen weniger Schülerinnen und Schüler mit Handicaps auf eine Förderschule außerhalb des Regelschulsystems als noch vor zehn Jahren. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hervor.
Demnach lag der Anteil der Kinder, die auf separaten Schulen lernen, bundesweit im Jahr 2008/09 noch bei 4,9 Prozent. Damals wurde die UN-Konvention ratifiziert, in der sich auch Deutschland zur Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet. Im Schuljahr 2016/17 – aktuellere Daten liegen noch nicht vor - war die Quote auf 4,3 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen bedeutet das: Gingen vor zehn Jahren noch 360.000 Schülerinnen und Schüler auf Förderschulen, waren es 2016/17 rund 40.000 weniger, nämlich 318.000. Die Gesamtschülerzahl in Deutschland liegt aktuell bei 7,3 Millionen.
Immer noch große Unterschiede zwischen den Ländern
„Die Chancen von Förderschülern, eine Regelschule zu besuchen, hängen allerdings immer noch sehr vom Wohnort ab“, heißt es kritisch in der Studie, die der Bildungsforscher Klaus Klemm erstellt hat. Zwar hätten sich die Unterschiede zwischen den Bundesländern verringert. 2008/09 betrug der Abstand zwischen dem Land mit dem höchsten Anteil von Schülern an einer Förderschule (Mecklenburg-Vorpommern, 8,8 Prozent) und dem mit dem niedrigsten (Schleswig-Holstein, 3,1 Prozent) noch 5,7 Prozentpunkte. Inzwischen ist die Differenz auf 4,8 Prozentpunkte gesunken. Die geringste Quote hat nun Bremen mit 1,2 Prozent, während Mecklenburg-Vorpommern (sechs Prozent) das Land bleibt, das die anteilmäßig am häufigsten Kinder auf Förderschulen schickt.
Dennoch zeigt dieser Wert, dass die Unterschiede zwischen den Ländern nach wie vor groß sind. In Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist der Anteil der „Exklusionsschüler“ sogar gegen den Trend gestiegen. Anders sieht es in Ostdeutschland aus, wo der Anteil von Kindern an Förderschulen überdurchschnittlich stark zurückging. Dort besuchten früher aber auch besonders viele diese Schulform. Neben Bremen sind auch Berlin, Hamburg sowie Niedersachsen und Schleswig-Holstein besonders weit mit der Inklusion.
Nun bedeutet ein geringerer Anteil von Kindern an Förderschulen nicht, dass der gemeinsame Unterricht an Regelschulen automatisch klappen muss. Über die Qualität des inklusiven Unterrichts sagt die Studie allerdings nichts aus. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, hebt gleichwohl die Leistung der Lehrkräfte heraus. Diese würden vielerorts aber noch zu wenig dabei unterstützt, mit der immer heterogeneren Schülerschaft umzugehen. Das erkläre auch, warum es in vielen Lehrerzimmern ein Unbehagen gegenüber der Inklusion gibt.
In Bremen klagte eine Direktorin gegen Inklusion
Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Streit des Landes Bremen mit der Rektorin eines Gymnasiums, die keine geistig behinderten Schüler aufnehmen wollte und dafür sogar vor Gericht zog. Die Klage wurde dann aber abgewiesen.
Dräger fordert mehr sonderpädagogische Kompetenz und Fortbildungen für Lehrkräfte, damit diese den unterschiedlichen Schülern besser gerecht werden können. Der Studie zufolge sind es vor allem Schüler mit Lernschwierigkeiten, die zunehmend an Regelschulen aufgenommen werden. Daher müsse auf diese Gruppe auch der pädagogische Fokus gelegt werden, erklärt Dräger. Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen kommen dagegen auch heute genauso selten an Regelschulen wie vor zehn Jahren. Das gelte praktisch für alle Bundesländer: „Deutschland hat sich bei diesen Förderschwerpunkten noch von der Vorgabe der UN-Konvention entfernt“, resümiert die Studie.