Ärzte wollen engagierter gegen Klimawandel agieren: Mehr Einfluss auf gesundheitsförderliche Klimapolitik nehmen
Klimawandel macht krank. Das wollen Ärzte jetzt deutlicher in Öffentlichkeit und Politik vertreten. Und in die Medizinerausbildung integrieren.
Die Vorsitzenden der Bundesärztekammer, des Berlin/Brandenburger Marburger Bundes, des Weltärztebundes und des World Health Summit wollen die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels künftig deutlicher kommunizieren. Die Einflussnahme der Ärzteschaft auf eine gesundheitsförderliche Klimapolitik soll verstärkt und die Ausbildung von Ärzten in Klima- und Umweltfragen verbessert werden.
„Gesundheit ist ein so wichtiges Gut und der Klimawandel ein so wichtiger Risikofaktor, dass wir eine Vorreiterrolle übernehmen müssen“, sagte Detlev Ganten, Präsident des World Health Summit, bei einem Treffen in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Montagabend.
„Wir haben das Thema Klimawandel als Ärzteschaft bisher nicht so besetzt, wie wir es hätten besetzen müssen“, sagte Peter Bobbert, der Landesvorsitzende des Marburger Bundes in Berlin/Brandenburg. „Würde es in Deutschland in einem Jahr 2000 Maserntote geben, würde die Ärzteschaft sich laut äußern, dass das nicht sein darf. Aber wenn es eine Hitzeperiode mit 2000 Toten gibt, und die hatten wir, dann ist die Resonanz dazu bislang relativ gering.“
Im Sinne einer globalen Gesundheit, „Planetary Health“, sei die Ärzteschaft der gesundheitlichen Prävention sowie der Schaffung und dem Erhalt aller gesundheitsfördernden und gesundheitserhaltenden Umweltbedingungen verpflichtet, heißt es in einem Papier des Marburger Bundes „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz – die besondere Verantwortung der Ärzteschaft“.
Schon jetzt "verheerende" gesundheitliche Auswirkungen
Der globale Temperaturanstieg, Hitzewellen, Dürren und Überflutungen zeigten schon jetzt weitreichende und zum Teil verheerende gesundheitliche Auswirkungen, heißt es darin. Besonders in Ländern des globalen Südens werde es zu einer noch stärkeren Zunahme von Infektionserkrankungen wie Malaria oder Dengue-Fieber kommen, aber auch von nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
In Deutschland sei mit mehr hitzebedingten Erkrankungen zu rechnen, aber auch mit mehr Allergien, Atemwegs- oder Krebserkrankungen sowie bislang in nördlichen Breiten unbekannten Infektionserkrankungen wie Malaria. Doch bislang sei das Thema „Klima und Gesundheit“ in der Ärzteschaft weder explizites Thema in der Ausbildung oder in der Praxis noch wurde es politisch ausreichend vorangetrieben.
„Das liegt auch an uns, dass das aktuell noch nicht so im Fokus ist“, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. „Dabei wäre die Akzeptanz in der Bevölkerung, sich mit dem Klimawandel zu beschäftigen und das Verhalten entsprechend zu ändern, vor dem Hintergrund der Gefahr für die eigene Gesundheit oder die seiner Kinder sicher größer.“
Ganzheitliche Berücksichtigung der Umwelt und ihres Einflusses auf Gesundheit vernachlässigt
„Die Ausbildung von Medizinern ist weitgehend bestimmt von der Biologie des Menschen“, sagte Ganten, der an der BBAW die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Zukunft der Medizin – Gesundheit für alle“ ins Leben gerufen hat. In Bezug auf eine bessere, personalisierte Medizin sei das auch richtig. „Was aber zu sehr vernachlässigt wird, ist eine holistische Berücksichtigung der Umwelt und ihres Einflusses auf die Gesundheit, und zwar sowohl die sozioökonomische Umwelt der Menschen als auch die Ernährung und das Klima.“
Auch das Verhalten der Menschen, etwa die Wahl der Nahrungs- oder Fortbewegungsmittel, werde nicht als essenzieller Teil der ärztlichen Ausbildung begriffen oder als Aufgabe für den Arzt, darauf Einfluss zu nehmen. „Bislang überlassen wir die Sorge um unsere Umwelt zu oft den Politikern, weil wir als Mediziner meinen, das wenig beeinflussen zu können“, sagte Ganten.
Dass medizinisch sinnvolles Handeln nicht nur Verschreiben von Medikamenten bedeutet, machte der Vorsitzende des Weltärztebundes mit einem Beispiel deutlich: „Mediziner haben in Frankfurt verhindert, dass in einem Vorort ein riesiger Hochhausblock gebaut wird, weil sie nachweisen konnten, dass der vom Taunus herunterziehende Luftstrom, der die Stadt durchlüftet, blockiert würde und Lungenerkrankungen und Hitzestau zu erwarten wären“, sagte Frank Ulrich Montgomery.
Im sozialen Kontext dürften Ärzte nicht nur die Menschen behandeln, sondern müssten sich auch einmischen, um die gesundheitlichen Folgen etwa von Flugverkehr zu mindern – oder auch die Klimapakete der Bundesregierung kritisieren, wenn mit gesundheitlichen Konsequenzen zu rechnen ist. „Klar ist: Das Krankheitsspektrum wird sich in Deutschland durch den Klimawandel ändern“, sagte Montgomery. „Wir werden etwa australische Dimensionen von Hautkrebsfällen bekommen.“
Auch die Befürchtungen, dass sich Malaria in einem klimaverändert heißeren Deutschland etablieren könnte, hält er nicht für unbegründet: „In Hamburg gab es vor 20 Jahren einen kleinen Malaria-Ausbruch“, erzählte der Arzt. „Eine Shell-Raffinerie hatte in einem heißen Sommer Arbeiter aus Nigeria eingeladen und ausgebildet, die mit Malaria infiziert waren. Sie sind von den Mücken der Hamburger Region gestochen worden und plötzlich hatten wir bei drei, vier Deutschen, die noch nie außerhalb von Deutschland waren, Malaria-Erkrankungen.“ Das Potenzial für solche Szenarien bestehe bei einer klimawandelbedingten Erwärmung durchaus.