Evolution: Mannsgroße Pinguine
Vor 55 Millionen Jahren lebten vor der Küste Neuseelands riesige Verwandte der Wasservögel.
„Für einen Pinguin ist dieser Knochen einfach zu riesig, vermutlich handelt es sich um die uralten Reste einer Meeresschildkröte.“ So grübelte der Forscher Alan Tennyson, als er sich im Jahr 2004 den längst versteinerten Knochen anschaute, der sich an der Oberfläche eines Felsblocks abzeichnete. Der Wirbeltier-Spezialist des Nationalmuseums Te Papa in Neuseelands Hauptstadt Wellington und sein Kollege Paul Scofield vom Canterbury Museum in Christchurch hatten den Fund an einem Strand der Südinsel des Landes entdeckt. Dort tauchen immer wieder kleine Knochen von Vögeln auf, die vor 55,5 bis 59,5 Millionen Jahren gelebt hatten. Erst 2015 aber konnte der spezialisierte Präparator Al Mannering aus Christchurch den Knochen in einer wahren Meisterleistung Millimeter um Millimeter aus dem Stein befreien. „Wir hatten den größten Knochen in der Schulter eines offensichtlich riesigen Pinguins gefunden“, sagt Alan Tennyson.
"Kumi manu", der Monstervogel
Solche Giganten hatten Forscher zwar schon früher gefunden, nur lebten diese Riesen-Pinguine viel später vor 25 bis vor 40 Millionen Jahren. Um herauszubekommen, wie der neue, viel ältere Fund in diese Reihe passt, bat Alan Tennyson einen Spezialisten für die Evolution von Vögeln um Hilfe: Gerald Mayr vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main. Im Frühjahr 2017 reiste der Paläontologe dann um den halben Globus, um den riesigen Schulterknochen und weitere Überreste des Tieres zu untersuchen, die Al Mannering inzwischen aus dem Stein herauspräpariert hatte.
„Offensichtlich war dieser Pinguin viel urtümlicher als die bisher gefundenen Riesen-Exemplare“, sagt Mayr. Der Oberarmknochen war zum Beispiel noch deutlich schlanker als bei heute lebenden Pinguinen. Im Laufe der Evolution haben die Vögel ihre Flügel zu einer Art breitem Paddel umgebaut, mit dem sie im Wasser pfeilschnell schwimmen und tauchen können. Die Wände der Knochen sind heute relativ dick und verleihen so den Paddeln die nötige Stabilität für den kraftstrotzenden Antrieb. Auch der jetzt entdeckte Riesenpinguin hatte bereits solche dicken Knochenwände.
Fliegen konnten die Riesen allein schon aufgrund des Gewichts mit Sicherheit nicht mehr. 101 Kilogramm schwer dürfte der Vogel gewesen sein, schätzen die Forscher im Fachblatt „Nature Communications“. Das Element des von der Schnabelspitze bis zu den Füßen 177 Zentimeter großen Kumimanu biceae war eher das Wasser. Der Artname aus den Worten „kumi“ und „manu“ steht in der Sprache der Maori, der Ureinwohner Neuseelands, für „Monstervogel“, „Bice“ ist die Kurzform des Vornamens von Alan Tennysons Mutter.
Dinosaurier waren keine Konkurrenz mehr, Wale noch nicht
An Land sind die Tiere allerdings ein wenig kleiner: „Sie erreichten auf den Füßen stehend vielleicht 160 Zentimeter Höhe“, schätzt Mayr. Nur ein anderer, viel jüngerer Vertreter dieser aufs Unterwasserleben spezialisierten Vogelfamilie war vielleicht ein paar Zentimeter größer. „Offensichtlich gab es die ersten Riesen also bereits kurz nachdem die ersten Mitglieder der heutigen Pinguin-Familie vor rund 61 Millionen Jahren auftauchten“, sagt der Senckenberg-Forscher. Vor rund 23 Millionen Jahren verschwanden die Pinguin-Giganten dann wieder von der Südhalbkugel der Erde, auf die sich diese Vogel-Familie anscheinend immer weitgehend beschränkt hat.
Weshalb aber entstanden die Riesenpinguine damals so rasch? Die Forscher vermuten einen Zusammenhang mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren: „Gleichzeitig verschwanden auch riesige Meeresreptilien und damit wichtige Konkurrenten und mögliche Feinde“, überlegt Gerald Mayr.
Vor 23 Millionen Jahren wiederum tauchten im Meer so langsam andere Riesen auf, die Pinguinen auch heute noch durchaus gefährlich werden können: Große Zahnwale und gefräßige Robben. Gegen solche Feinde haben kleinere und daher vermutlich wendigere Pinguine bessere Chancen als die Giganten. Außerdem konkurrieren Pinguine mit den Robben auch um Plätze an Land, an denen sie ihren Nachwuchs aufziehen können. Kleinere Pinguine graben für ihre Nester heute daher gerne Höhlen in den weichen Untergrund oder wandern wie die Kaiserpinguine weit in das Inlandeis hinein, um dort ihre Eier ungestört von solcher Konkurrenz legen zu können. „Die Riesenpinguine waren dafür vielleicht zu groß“, vermutet Gerald Mayr. Und zogen daher wohl den Kürzeren.