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Heimtückisch. Bei Lungenkrebs gibt es keine frühen Warnzeichen. Starke Raucher könnten deshalb von einer Reihenuntersuchung profitieren.
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Screening: Lungenkrebs früher erkennen

Eine Reihenuntersuchung von starken Rauchern könnte Leben retten. In Amerika wird das bereits empfohlen. Deutsche Krebsspezialisten zögern noch.

Lungenkrebs kommt nicht nur häufig vor, er ist auch besonders heimtückisch. Es gibt keine frühen Anzeichen, die die Patienten rechtzeitig alarmieren. Dementsprechend niederschmetternd ist die Statistik: Nicht einmal jeder Sechste lebt fünf Jahre nach der Diagnose noch. Wird sie dagegen ganz früh gestellt, sind es immerhin 70 Prozent.

Die frühe Diagnose muss kein Zufall sein. Man könnte viele Menschenleben retten, wenn man die Risikogruppe älterer Raucher und Exraucher regelmäßig untersuchen würde. Denn an Lungenkrebs erkranken in der überwältigenden Mehrheit der Fälle Menschen, die jahrelang viel geraucht haben.

Könnte? Würde? „Jetzt ist es an der Zeit, ein Lungenkrebs-Screening in Europa einzuführen“, sagt der Lungenkrebsspezialist John Field vom Cancer Research Center der Universität Liverpool. Und er wird noch deutlicher: „In jedem Jahr, das wir abwarten, opfern wir dem größten Killerkrebs der Welt unnötig zehntausende Menschenleben.“

In einem flammenden Plädoyer setzt sich Field in der Fachzeitschrift „Nature“ dafür ein, allen Bürgern zwischen 60 und 75 Jahren, die mindestens 30 „Packungsjahre“ – also zum Beispiel 30 Jahre lang jeden Tag eine Schachtel oder 15 Jahre zwei Schachteln geraucht – auf dem Buckel haben, jährlich oder zumindest alle zwei Jahre eine Mehrschicht-Computertomografie (CT) mit niedriger Strahlenbelastung anzubieten.

Die amerikanischen Fachgesellschaften befürworten die Reihenuntersuchung

Er argumentiert mit den Ergebnissen des „National Lung Screening Trial“ in den USA, die 2011 im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden. An dieser Studie hatten mehr als 55 000 starke Raucher und Ex-Raucher zwischen 55 und 74 Jahren teilgenommen. Die Hälfte von ihnen bekam jedes Jahr ein CT, die andere eine konventionelle Röntgenaufnahme der Lunge. Der Vergleich wurde vorzeitig abgebrochen, weil in der CT-Gruppe ein Fünftel weniger Todesfälle auftraten als in der Röntgengruppe. Mehrere amerikanische Fachgesellschaften befürworteten daraufhin die Einführung einer solchen Reihenuntersuchung von Rauchern.

Europäische Fachgesellschaften dagegen zögern. „Es sind noch viel zu viele Fragen offen, als dass man zur Tat schreiten könnte“, sagt der Epidemiologe Nikolaus Becker vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Einige davon werden derzeit in mehreren nationalen Studien untersucht, die zu einem großen europäischen Datenpool zusammengeführt werden sollen.

Deren deutscher Part, die Lungenkrebs-Interventionsstudie (LUSI), läuft seit 2007 unter der Leitung von Becker. Rund 4000 starke (Ex-)Raucher aus dem Raum Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen wurden als Teilnehmer gewonnen und zwei Gruppen zugewiesen: jährliches CT oder fünf Jahre lang keine entsprechende Untersuchung. Im Jahr 2012 wurden erste Ergebnisse im „Journal of Cancer Research and Clinical Oncology“ veröffentlicht.

Die Früherkennung rettet Leben - führt aber auch zu unnötiger Angst und Überdiagnosen

Auch diese Studie lieferte Hinweise darauf, dass die Früherkennung Leben retten kann: Vier von fünf Krebserkrankungen wurden in den Stadien I und II entdeckt. Der Preis dafür sind allerdings unnötige Ängste und Überdiagnosen.

Bei jedem fünften Untersuchten wurde ein Karzinom-Verdacht geäußert, der sich nicht bewahrheitete. Klarheit bekommen die Untersuchten allerdings erst Monate später durch eine Kontrolluntersuchung, bei der man sieht, ob das verdächtige Gewebe gewachsen ist. Oder durch einen nicht völlig harmlosen Eingriff, bei dem eine Probe entnommen wird – was weit schwieriger ist als zum Beispiel bei der weiblichen Brust. Selbst wenn es sich um Krebszellen handelt, ist damit nicht gesagt, dass sie den Menschen krank machen würden. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass mittels Mehrschicht-CT überproportional viele langsam wachsende Adenokarzinome entdeckt werden. Solche Unsicherheiten sollen die derzeit laufenden Studien nach Möglichkeit beseitigen. „Wir brauchen längere Beobachtungszeiten. Wir müssen einfach warten“, wirbt Epidemiologe Becker um Geduld.

Den Rauchern wurde zu Beginn der Studie Blut abgenommen

Die Studien sollen ebenfalls bei der Entscheidung helfen, welche Untersuchungsabstände sinnvoll wären und welche Altersgruppe in eine Reihenuntersuchung einbezogen werden sollte. Zusätzlich geht es darum, ob Bluttests die Diagnose unterstützen können. Allen Teilnehmern von LUSI war zu Beginn Blut abgenommen worden. „Das Gebiet der Biomarker entwickelt sich sehr rasch. Aber im Moment können wir noch keine klaren Aussagen machen“, sagt Becker.

Ein häufig geäußertes Argument gegen die Reihenuntersuchung von Rauchern auf frühe Stadien von Lungenkrebs ist übrigens nicht stichhaltig: dass die Existenz regelmäßiger Untersuchungen Raucher beruhigen und im schlechten Sinn bei der Stange halten würde oder dass sie gar Ex-Raucher ermutigen könnte, wieder zur Zigarette zu greifen, berichtet Becker: „Das wurde in verschiedenen Untersuchungen widerlegt.“

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