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Ein Lehrer steht vor einigen Schülern an der Tafel und gestikuliert mit einem Kreidestück.
© Britta Pedersen/picture alliance/dpa
Update

Zuwanderer in der Schule: Lehrer sind schlecht auf Vielfalt vorbereitet

Lehrkräfte werden nicht auf die sprachliche und kulturelle Vielfalt im Klassenzimmer vorbereitet. Eine Studie sieht Defizite an Hochschulen und in der Weiterbildung.

Wohl kein Lehrer und keine Lehrerin in Deutschland kommt durch den Schulalltag, ohne sich mit den sprachlichen und kulturellen Besonderheiten von Schülern auseinanderzusetzen. Jedes dritte Schulkind stammt mittlerweile aus einer Familie mit Migrationsgeschichte. Die 325.000 Flüchtlingskinder, die bislang unterrichtet werden, machen zwar nur zwei Prozent der deutschen Schülerschaft aus. Doch mit diesen Neuankömmlingen sind die Herausforderungen für Lehrkräfte noch einmal gewachsen – und damit ihre Überforderung.

"Interkulturelle Bildung" sollen Schulen schon seit 20 Jahren leisten

Denn eine Mehrheit ist nicht oder nur unzulänglich auf die Heterogenität im Klassenzimmer vorbereitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an der Universität Köln und des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Weder in der Lehrerausbildung an den Hochschulen, noch im Referendariat und in der Weiterbildung sind Deutsch als Zweitsprache oder Sprachbildung der Studie zufolge flächendeckend verankert. Dabei gibt es eine entsprechende Selbstverpflichtung der Länder schon seit 20 Jahren – durch den Beschluss der Kultusminister von 1996 zu „Interkultureller Bildung und Erziehung in den Schulen“.

Höchste Zeit, umzudenken

„Es wird höchste Zeit, dass wir umdenken: Der Umgang mit kultureller Vielfalt im Klassenzimmer darf nicht mehr Sache einiger weniger Spezialisten sein“, sagte Cornelia Schu, Forschungsdirektorin des Sachverständigenrats, am Dienstag in Berlin. Für die Studie über „Lehrerbildung in der Einwanderungsgesellschaft“ wurden die aktuellen Schulgesetze, Studien- und Prüfungsordnungen sowie Modulhandbücher aus den Bildungswissenschaften von 70 lehrerausbildenden Hochschulen analysiert.

Sprachbildung ist nur in fünf Ländern gesetzlich verpflichtend

Nur fünf Länder – Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – verpflichten demnach angehende Lehrkräfte gesetzlich dazu, mindestens einen Kurs in Sprachbildung zu absolvieren. An 63 Prozent der 70 untersuchten Hochschulen sind Seminare und Übungen zur gezielten Sprachentwicklung im Grundschullehramt obligatorisch, im Gymnasiallehramt sind es nur 38 Prozent. An 25 Prozent der Hochschulen ist Sprachbildung eine komplette Fehlanzeige: Dort gibt es weder die Möglichkeit noch die Pflicht, solche Lehrveranstaltungen zu besuchen.

Neben Berlin, wo Deutsch als Zweitsprache seit 2007/08 in allen Lehramtsstudiengängen verpflichtend ist und ab dem Wintersemester 2015/16 alle neuen Studierenden das Modul Sprachbildung absolvieren müssen, gilt Hamburg als vorbildlich. Trotz fehlender gesetzlicher Vorgaben gibt es dort die bundesweit umfangreichsten Angebote zur Sprachbildung und der Umgang mit heterogenen Schülergruppen gehört zum Curriculum der Fachdidaktikkurse.

Lehrkräfte müssen interkulturell sensibel sein

Lehrkräfte auf die Einwanderungsgesellschaft vorzubereiten, verlangt aber viel mehr, als sie für die Sprachförderung fit zu machen. Grundsätzlich sollten Lehrer „die sprachlichen und kulturellen Unterschiede in der Schülerschaft als Normalität anerkennen“, wird in der Studie betont. Studium und Fortbildungen müssten auch bei den Grundhaltungen der Pädagogen ansetzen, sagte Studienleiter Michael Becker-Mrotzek, Deutschdidaktiker an der Uni Köln und Direktor des Mercator-Instituts.

Eine „interkulturell sensible Grundhaltung“ bedeute, etwa „Sprachschwierigkeiten nicht automatisch als Lernschwierigkeiten (zu) interpretieren“, heißt es. Zudem ziele Sprachbildung auch auf Kinder aus bildungsfernen deutschsprachigen Elternhäusern. Viele bräuchten eine durchgängige Sprachförderung von der ersten bis zur letzten Klasse – und zwar in allen Fächern. Alle Lehrkräfte, auch die für Mathematik und Naturwissenschaften, müssten lernen, zunächst sprachdiagnostisch herauszufinden, wer welche Förderung braucht. Dann gelte es, die Textkompetenz der Schülerinnen und Schüler systematisch auszubauen und ihnen Grammatik und Wortschatz der Bildungssprache zu vermitteln.

Basiswissen "in allen Phasen der Lehrerbildung"

„Daher sollten sämtliche Lehrkräfte in allen Phasen der Lehrerbildung Grundkompetenzen im Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt erwerben“, lautet eine zentrale Forderung, die die Stiftungen aus der Studie ableiten.

Auch im Referendariat sehen sie große Defizite. Nur in der Hälfte der Länder werde der Umgang mit kultureller Vielfalt in der Referendars-Ausbildung vermittelt. Sprachbildung werde in den Dokumenten noch seltener erwähnt. Wiederum ist Berlin mit seinem DaZ-Modul für alle Lehramtsanwärter eine der wenigen Ausnahmen.

Das gesamte Kollegium muss mitziehen

Schlechte Noten bekommt auch die Lehrerfortbildung. In den Katalogen der Landesinstitute fänden sich meist nur „halb- bis eintägige Veranstaltungen, die sich an Einzelpersonen richten“, kritisiert Becker-Mrotzek. Die Angebote seien „zu kurz und zu punktuell“. Die Länder müssten Freiräume für längerfristige Fortbildungen für Teams von Lehrkräften schaffen. Angemessen mit sprachlicher und kultureller Vielfalt umzugehen, sei eine „Aufgabe der Schulentwicklung“, bei der das gesamte Kollegium mitziehen müsse.

Immerhin sieben Länder planen mehr Fortbildung

Zu den Ländern, in denen der Anteil der Fortbildungen zu sprachlicher und kultureller Vielfalt niedrig ist, zählen Brandenburg, Hessen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Derzeit zeichne sich aber angesichts der vielen Flüchtlingskinder ein Aufbruch ab, sagte Simon Morris-Lange, einer der Autoren der Studie. Sieben Länder planten mehr Fortbildungsveranstaltungen zu Deutsch als Zweitsprache – und zum Umgang etwa mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen.

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