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Hilfe im Labor. Bei der Kinderwunschbehandlung werden Ei- und Samenzelle im Labor miteinander verschmolzen. Bei dieser Gelegenheit könnte künftig auch ins Erbgut eingegriffen werden.
© dpa

Eingriffe ins menschliche Erbgut: Wir sollten endlich über Gen-Tuning beim Menschen diskutieren

Die Crispr-Technik ermöglicht weitreichende Eingriffe ins Erbgut. Damit könnte beispielsweise das Krebsrisiko verringert werden. Wollen wir das? Darüber muss dringend diskutiert werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Wieder einmal debattiert die Welt, ob das Erbgut menschlicher Keimzellen verändert werden soll, die „Keimbahn“. Das ist eine der großen Fragen auf dem soeben eröffneten „Human Gene Editing Summit“, zu dem die Wissenschaftsakademien der USA, Chinas und Großbritanniens nach Washington geladen haben. Anlass sind jüngst entwickelte „Gen-Scheren“, Crispr genannt. Sie können vergleichsweise einfach, günstig und zielgenau Genmutationen korrigieren, die Erbkrankheiten auslösen. Eine Gruppe von Forschern hat jedoch kürzlich dazu aufgerufen, Experimente an der menschlichen Keimbahn zu unterlassen, solange nicht Risiken und Möglichkeiten abgewogen, Grenzen definiert und über Regeln diskutiert wurde. Ein sinnvolles Moratorium.

Warum also aufwendig eine Eizelle „reparieren“, wenn gleich daneben in der Petrischale eine intakte liegt?

Doch die Frage ist, warum nur die Keimbahntherapie derart in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt wird. Damit wird suggeriert, dass es über den Einsatz der neuen genchirurgischen Methoden bei Tieren und Pflanzen keiner neuen Debatte bedarf.

Es stimmt, dass die „Gen-Scheren“ deutlich besser sind als alle Gentechniken zuvor. Dadurch wird eine Keimbahntherapie überhaupt denkbar. Aber Crispr ist nicht perfekt. Das Risiko besteht, dass sie im Erbgut einer Eizelle nicht im anvisierten Gen, sondern auch an anderen Stellen im Erbgut schnippeln. Solange das nicht ausgeschlossen werden kann, bleibt eine Keimbahntherapie eine Zukunftsvision. Selbst wenn es eine technische Lösung für diese „Off-Target-Effekte“ geben sollte – bei der Eizellreifung entstehen bei fast allen Erbkrankheiten neben den Eizellen, die einen Gendefekt haben, auch solche ohne Mutation. Warum also aufwendig eine Eizelle „reparieren“, wenn gleich daneben in der Petrischale eine intakte liegt? Eine Debatte darüber lohnt sich nicht, zumal es sich um wenige Fälle handelt.

Schweine mit doppelter Muskelmasse oder als Organspender für Menschen

Viel dringender ist ein Diskurs über den schon sehr realen Einsatz der Technik jenseits des Menschen. Die Crispr-Gen-Scheren könnten die Tier- und Pflanzenzucht drastisch verändern. Welche Grenzen soll die Gesellschaft dem Erbgutschnippeln setzen? Ist alles machbar, solange es nur sicher ist? Ist es beispielsweise wünschenswert, wie in Südkorea bereits geschehen, Schweine mit doppelter Muskelmasse zu züchten, indem die Gen-Scheren eine entsprechende Mutation nachstellen, wie sie bei den massigen Rindern der Rasse „Belgian Blue“ natürlicherweise vorkommt? Sollte das Schweineerbgut so „humanisiert“ werden dürfen, dass Herzen und andere Organe der Tiere zur Transplantation in sterbenskranke Menschen taugen? Ist es angesichts des Klimawandels eine gute Sache, essenziell wichtige Nutzpflanzen genetisch so zu frisieren, dass sie mit weniger Wasser, weniger Land und mehr Hitze zurechtkommen?

Wenn wir darüber nicht reden wollen, sondern über die Keimbahntherapie, dann sollten wir Letzteres richtig tun. In Wirklichkeit geht es doch gar nicht um das Ausmerzen von ein paar exotischen Gendefekten. Wenig spräche dagegen, wenn das technisch sicher möglich wäre. Die Ursache für die neu entbrannte Debatte ist die durch Crispr realer gewordene Option, das Humangenom zu optimieren – das Tunen des Menschen.

Zusatzgene werden aktiviert und führen den Tod der Tumorzellen herbei

Die Möglichkeiten sind vielfältig. Mit Crispr könnten beispielsweise schon vor der Geburt krebsfördernde Genvarianten entschärft werden, um das Krankheitsrisiko zu verringern. Man könnte auch eine Gen-Kassette mit gezielt steuerbaren, zusätzlichen Genen ins menschliche Erbgut einschleusen. Wer an Krebs erkrankt, bräuchte nur eine Pille einzuwerfen, deren Wirkstoff in den wuchernden Zellen die Zusatzgene aktiviert und den programmierten Selbstmord der Tumorzellen auslöst. Oder wie wäre es mit einer Gen-App, die sich im Alter einschaltet und dem altersbedingten Verfall des Zellstoffwechsels entgegenwirkt? Und wer die Erbgut-Apps nicht mag, die ihm die Eltern mit auf den Lebensweg gegeben haben, schluckt mit 18 eine andere Pille, die dafür sorgt, dass die Zusatzgene wieder aus dem Erbgut herausgeschnitten werden.

Manche dieser Ideen sind gängige Praxis bei Mäusen, Fliegen und anderen Modellorganismen der Forschung. Wollen wir, dass Eltern ihren zukünftigen Kindern solche Gen-Apps wohlmeinend ins Erbgut einspielen? Und wenn nicht – wie ließe es sich überhaupt verhindern? Darüber zu diskutieren, würde sich wirklich lohnen.

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