Genomchirurgie: Keine Experimente an der Keimbahn!
Am Erbgut des Menschen zu basteln, ist nicht per se gut oder schlecht. Es komme auf Kontext und Ziel an, ob Genomchirurgie ethisch vertretbar ist, schreibt die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht in einer Analyse. Für die Keimbahntherapie sollte es jedoch ein Moratorium geben.
Das Erbgut menschlicher Embryonen zu verändern, war bis vor Kurzem tabu. Umso lauter war der Ruf nach einem Moratorium, als chinesische Forscher im April berichteten, dass sie dies mithilfe der Genomchirurgie (Crispr) versucht hatten. Die Technik sei viel zu unsicher, um damit in die Keimbahn des Menschen einzugreifen, schrieben daraufhin Forscher aus aller Welt. Die Gesellschaft müsse zuerst ethische Fragen diskutieren.
Um diesen Diskurs zu erleichtern, legte die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nun eine Analyse vor. Die Autoren befürworten, das Potenzial der Genomchirurgie für die Medizin auszuloten. Sie sprechen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber eindeutig gegen Experimente an der menschlichen Keimbahn aus und unterstützen somit die Forderung nach einem Moratorium.
Die ethische Vertretbarkeit der Genchirurgie hänge davon ab, in welchem Kontext und mit welchem Ziel sie verwendet werde. Unbeabsichtigte Folgen sollte die Grundlagenforschung untersuchen, um eine Bewertung der Risiken zu ermöglichen. Es solle unterschieden werden zwischen der Forschung an menschlichen Körperzellen in der Petrischale, der Gentherapie als Behandlung von Patienten (sofern die Technik ausgereift und angemessen ist) sowie der Keimbahntherapie, die prinzipiell zur Diskussion stehe.
Fragen nach Würde und Identität der menschlichen Gattung
Die Verbote des deutschen Embryonenschutzgesetzes seien angesichts des technischen Fortschrittes weder klar noch konsistent. So sei zum Beispiel fraglich, ob der Begriff „Keimzelle“ für Ei- und Samenzellen gilt, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen hergestellt wurden. Auch wenn das Erbgut einer Körperzelle manipuliert und dann in eine entkernte Eizelle eingesetzt werde, sei das kein Verstoß gegen geltende Gesetze. Die Intention des Embryonenschutzgesetzes sei zudem, Keimbahnexperimente zu unterbinden, deren Ergebnis nicht hinreichend vorhersagbar ist. Sollte es irgendwann eine sichere Keimbahntherapie geben, fiele also die Begründung weg.
Zu den medizinischen Motiven für die Keimbahntherapie gehöre die Korrektur gestörter Genfunktionen und damit die Beseitigung schwerer Krankheitsrisiken. Die „Künstlichkeit“ des Verfahrens allein sei kein Argument, da sonst jede Medizin abgelehnt werden müsste. Allerdings greife die Veränderung der Keimbahn in die Existenz eines zukünftigen Menschen und aller seiner Nachkommen ein – ohne deren Einverständnis und ohne eine Möglichkeit, die Therapie rückgängig zu machen. Damit werde möglicherweise deren Recht auf körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit sowie ihre Würde verletzt. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich auch Fragen der Identität und der Würde der menschlichen Gattung stellen, „falls die menschliche Keimbahn in technische Verfügung käme“. Andererseits gehöre technische Selbstgestaltung zum historischen Erbe des Menschen.
Jana Schlütter