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Die dreifache Landung von Philae
© Abb.: Esa, Rosetta, Navcam, TSP

Forschungssonde "Philae": Komet "Tschuri" überrascht die Forscher

Steinharte Kruste, seltsame Schleifspuren, ein wahrer Baukasten organischer Verbindungen: Die Sonde „Philae“ enthüllt überraschende Geheimnisse des Himmelskörpers Tschuri.

Was hätte alles schiefgehen können. Nach zehn Jahren Anflug landete im November 2014 erstmals eine Forschungssonde mehr oder weniger sanft auf einem Kometen, um ihn genau zu erkunden. Bereits die ersten Bilder überraschten: „67/P Tschurjumow-Gerassimenko“ entsprach so gar nicht dem Bild, das Forscher vor ihrem inneren Auge hatten. Der drei mal fünf Kilometer große Körper erinnerte an eine Badeente, deren Oberfläche mit Bergen, Kratern und Ebenen ausgesprochen abwechslungsreich ist. Rund 60 Stunden arbeitete die Landeeinheit namens Philae ihr Forschungsprogramm ab, bevor ihr der Saft ausging. In einer Sammlung von sieben Artikeln im Fachmagazin „Science“ stellen die beteiligten Wissenschaftler nun eine Fülle neuer Erkenntnisse vor. Wieder gibt es einige Überraschungen, etwa Funde organischer Moleküle, die prinzipiell als Grundbausteine für Leben gelten, oder neue Erkenntnisse zur steinharten Oberfläche.

Darüber hinaus haben Raumfahrtingenieure die Landung aus Messdaten und Labortests rekonstruiert. Ihr Bericht bestätigt, was viele damals ahnten: Es war ein wahres Weltraumabenteuer, das sich seinerzeit auf „Tschuri“ abspielte – und dass tatsächlich noch einiges mehr hätte schiefgehen können.

Philae landete nur 122 Meter vom Ziel entfernt. Dann klemmten die Harpunen

Da die Experten auf der Erde viel zu weit entfernt waren, konnten sie Philae nicht steuern. Der Roboter musste im richtigen Moment von der Muttersonde „Rosetta“ ausgeklinkt werden, um sachte im Zielgebiet „Agilkia“ aufzusetzen. Mit rund einem Meter pro Sekunde – in etwa Fußgängergeschwindigkeit – erreichte Philae die Oberfläche und landete nur 112 Meter vom Ziel entfernt, wie das Team um Jens Biele vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) berichtet, das für den Lander verantwortlich ist. Doch die beiden Harpunen, die Philae auf der Oberfläche fixieren sollten, lösten nicht aus. Wie in Zeitlupe sprang Philae zurück in Richtung Weltraum.

Auch wenn die geringe Schwerkraft des Kometen den auf der Erde 100 Kilogramm wiegenden Lander dort gerade einmal ein Gramm schwer sein lässt, genügte diese Kraft doch, um Philae zurückzuholen. Die Rekonstruktion zeigt, dass der Roboter erst beim dritten Touchdown endgültig zum Stehen kommt. Eine Stunde und 57 Minuten nach dem ersten Aufsetzen. Zudem haben einige Sensoren ein viertes Ereignis registriert, welches die Forscher als „Kratzen am Kraterrand“ interpretieren, was zwischen dem ersten und zweiten Aufsetzen geschah.

"Vielleicht steckt er zwischen zwei Eisbrocken"

Anders als auf den vorab verbreiteten Computergrafiken dargestellt, steht Philae nicht elegant auf drei spinnenähnlichen Beinen. Nur zwei Füße meldeten Bodenkontakt, vermutlich lehnt der Roboter an einer Eiswand und steht so recht schief auf der Weltraumkartoffel. „Vor und hinter dem Lander scheint eine Wand zu sein, vielleicht steckt er zwischen zwei Eisbrocken“, erläutert Tilman Spohn vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin, das an der Mission beteiligt ist. Da Philae keinen eigenen Antrieb hat, kommt er aus dieser Klemme nicht mehr raus. Dummerweise erreicht in dieser Schieflage viel weniger Sonnenlicht als vorgesehen die Solarzellen. Die Energiereserven waren bald aufgebraucht. Am 15. November fiel die Sonde in einen tiefen Winterschlaf.

Wo genau sie sich befindet, wissen die Forscher nicht, vermutlich an einem Ort namens Abydos. „Wir hätten wohl nie gewagt, eine Landung in einem so rauen Gelände zu versuchen“, sagt Philae-Projektleiter Stephan Ulamec vom DLR in Köln.

Am endgültigen Landeort ist der Boden steinhart

Glück im Unglück: Nun haben die Wissenschaftler Daten von zwei Punkten auf „Tschuri“, denn einige Messgeräte waren bereits vor dem ersten Aufsetzen eingeschaltet. Sie lassen vermuten, dass die Oberfläche am ersten Landepunkt Agilikia von einer rund 20 Zentimeter dicken Staubschicht bedeckt ist, deren Festigkeit etwa der von Neuschnee oder der Daunenfüllung eines Federkissens entspricht.

Tschuri ist insgesamt ziemlich porös

Ganz anders sieht es am endgültigen Landeort Abydos aus, dort ist der Grund steinhart. Das „Kometenthermometer“ namens „Mupus“, das unter Führung des Berliner Planetenforschers Spohn gebaut wurde, sollte ursprünglich 40 Zentimeter tief in den Boden getrieben werden, um Temperaturänderungen zu messen. Dreieinhalb Stunden lang schlug der Hammer immer stärker auf das Gerät, eingedrungen ist die Sonde jedoch nicht. „Vielleicht kann man es als die größte Überraschung des Kometen bezeichnen, dass Abydos einen so harten Boden hat“, sagt Spohn. Er hat eine Vermutung, wie diese harte Oberfläche entstanden ist: „Die Sonnenstrahlung könnte immer wieder Eis verdampfen. Ein Teil dieses Gases kondensiert dann am restlichen Schnee und backt dabei das Ganze zu einer festeren Masse zusammen.

Philae auf Tschuri
Theorie und Praxis. So stellten sich die Forscher die Landung von Philae vor.
© Abb.: dpa

Das Innere des Kometen ist offenbar sehr gleichförmig aufgebaut, zumindest der Kopf der „Badeente“, wo Philae steht. Das berichten Forscher um Wlodek Kofman von der Universität Grenoble. Sie hatten das „Consert“-Gerät gebaut, das Radiowellen aussendet. Diese durchquerten den Kern des Kometen und wurden auf der gegenüberliegenden Seite von der Muttersonde Rosetta aufgezeichnet. Die Daten zeigen, dass das Innere homogen und Tschuri insgesamt ziemlich porös ist – wie es sich für einen Himmelskörper aus Eis und Staub gehört.

Kieselsteine und seltsame Schleifspuren

Mit den Nahaufnahmen, die Philae während des Anflugs, der Hüpfer und aus dem Stand gemacht hat, können die Wissenschaftler die Kometenoberfläche mit bisher unerreichter Genauigkeit erkunden. Statt des erwarteten schmutzigen Schneeballs fanden sie eine Art Kies auf der Oberfläche. „Zwischen einem Zentimeter und bis zu fünf Meter groß sind diese Kieselsteine“, sagt der DLR-Wissenschaftler Stefano Mottola. Den Analysen zufolge bestehen sie aus einer Mischung aus festem Wasser, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und reichlich Weltraumstaub. Das erklärt auch, warum sie ziemlich dunkel sind.

Schwieriger zu erklären ist der Kometenschutt, der sich hinter einem fünf Meter großen Brocken befindet. Das Bild erinnert an Wüstensand, der sich im Windschatten eines Felsens abgelagert hat. Allerdings gibt es auf Tschuri keine nennenswerte Atmosphäre und daher weder Wind noch Windschatten. Die Forscher vermuten, dass diese Struktur mit der Aktivität des Kometen zu tun hat: Nähert sich der Komet der Sonne, verdampft aus dem Inneren immer wieder Material, das Brocken herausschleudert, die anschließend wie Philae auf den Kometen zurückfallen und über die Oberfläche schleifen. Das würde nicht nur den Kometenschutt erklären, sondern auch die seltsamen Schleifspuren, die Mottola und Kollegen auf den Bildern entdeckt haben.

Ein wahrer Baukasten organischer Verbindungen

Eine der wichtigsten Fragen lautete: Woraus besteht Tschuri? Schließlich gelten Kometen als mögliche Lieferanten für Moleküle, aus denen vor Jahrmilliarden auf der Erde Leben hervorging. Zwei Instrumente an Bord von Philae haben chemische Analysen erstellt. Insgesamt 16 organische Moleküle hat das „Cosac“-Team um Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen gefunden. Dazu gehören Alkohole, Amine und Nitrile, die bereits in der Gashülle anderer Kometen nachgewiesen wurden. Neu entdeckt wurden Moleküle wie Methylisocyanat, Aceton, Propanal und Acetamid. „Es handelt sich um einen wahren Baukasten organischer Verbindungen, von denen viele als Ausgangspunkt für biochemische Reaktionen dienen können“, sagt Goesmann. Handfeste Lebensbausteine wie Aminosäuren, Peptide oder Nukleotide konnte das Cosac-Team jedoch nicht nachweisen. Eine weitere Forschergruppe hat mithilfe des „Ptolemy“-Geräts zudem längerkettige organische Moleküle gefunden. Aromatische Kohlenwasserstoffe, die vermutet wurden, seien jedoch nicht dabei gewesen.

Die Hoffnung, dass Philae erwacht und weiterforscht, hat sich bisher nicht erfüllt. Zwar meldete sie sich zurück, doch seit dem 9. Juli herrscht Funkstille.

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