Energie: Kernfusion im Kiez-Reaktor
Lockheeds Miniatur-Sonnenfeuer soll in zehn Jahren in Serie gehen. Aber Experten sind skeptisch, ob die Technik hält, was der Konzern verspricht.
Die Kernfusion verspricht, eines Tages eine unermessliche, klimaverträgliche und niemals versiegende Energiequelle zu sein. Aber einer Fata Morgana gleich rückt der Fusionsreaktor stets in eine nebulös schimmernde Zukunft, je näher man ihm zu kommen scheint. Immer sind es noch zehn, 20 oder 30 Jahre bis zum ganz großen Durchbruch. Doch jetzt hat völlig unerwartet der amerikanische Rüstungskonzern Lockheed Martin die Fusionsbühne betreten und verspricht rasche Lösungen.
In fünf Jahren will Lockheed einen Prototyp für einen Reaktor im Miniformat vorstellen, fünf Jahre später soll es dann ein erstes käufliches Produkt geben. Ganze sieben mal 13 Meter soll dieser Minireaktor messen, auf LKW und Schiff (oder Raumschiff) passen, 100 Megawatt Leistung erbringen und damit als Kiez-Kraftwerk 80000 US-Haushalte rund um die Uhr mit Strom versorgen. Lediglich 25 Kilogramm Brennstoff pro Jahr soll die handliche Fusionsanlage verbrauchen. So jedenfalls berichtet das Magazin „Aviation Week“, dem der Konzern erstmals exklusiven Zugang zu seinen bislang geheimen Planungen gewährte.
Kernfusion - eine Reaktion, wie sie im Innern der Sterne abläuft
Ein Fusionsreaktor nutzt die gleiche Reaktion, die im Innern von Sternen wie unserer Sonne abläuft. Hier verschmelzen unter ungeheuren Temperaturen Atomkerne. Dabei wird ein Teil der Materie in Energie umgewandelt. Benutzt man für die Kernfusion die Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium, dann liefert ein einziges Gramm Brennstoff 90000 Kilowattstunden Energie, wie sie in der Verbrennungswärme von elf Tonnen Kohle enthalten ist.
Soweit die Theorie. Damit die Kernfusion funktioniert, muss der Brennstoff als dünnes, elektrisch geladenes (ionisiertes) Gas vorliegen, als Plasma. Und um das „Sonnenfeuer“ dann zu zünden, benötigt man eine Temperatur von 100 Millionen Grad. Das aufgeheizte Plasma darf nicht mit der Reaktorwand in Kontakt kommen, da es sich sonst sofort abkühlt. Es wird deshalb mit Magnetfeldern in der Schwebe gehalten.
Gelingt die Kernfusion, dann brennt das Sonnenfeuer im Reaktor von allein und heizt sich selbst an. Aus dem Plasma werden Neutronen freigesetzt, die in der Reaktorhülle aufgefangen werden und ihre Energie hier als Wärme abgeben. Diese wiederum soll Turbinen treiben.
Am weitesten verbreitet sind heute Tokamak-Versuchsanlagen, in denen ein ringförmiges Plasma („Torus“, „Donut“) erzeugt wird. Der gigantische, im Bau befindliche internationale Fusionsreaktor Iter im französischen Cadarache ist ein Tokamak. Der Iter-Reaktor wird 90 mal 130 Meter messen. Alternativ werden Stellaratoren erforscht. Sie erzeugen ein in sich verdrehtes, ebenfalls ringförmiges Magnetfeld. Zu den Stellaratoren gehört die Wendelstein 7-X-Anlage in Greifswald.
"Wie Luft aus dem Reifen" - Lockheed spottet über herkömmliche Fusionsforschung
Lockheeds Forschergruppe „Skunk Works“ im kalifornischen Palmdale weicht radikal von dieser Ring-Konvention ab. Für ihr „T4“-Projekt planen die Wissenschaftler um Thomas McGuire, in einer ovalen Brennkammer eine Art Plasmawurst zu erzeugen. Sie wird mit Magnetringen in Form gehalten, die den Wurstzylinder umfassen. McGuire spricht von einem selbstregulierenden Rückkopplungs-Mechanismus, der das Plasma umso stärker in Zaum halte, je weiter es nach außen strebe. Während bei der konventionellen Ringform Plasma „wie Luft aus dem Reifen“ entweiche, gleiche das Plasma in Lockheeds „Kompaktreaktor“ CFR eher einer „Röhre, die sich in eine immer stärkere Wand ausdehnt“.
Bei gleicher Größe könne der CFR zehn Mal mehr Energie erzeugen als ein Tokamak, versichert McGuire. Bei gleicher Leistung könne man also zehn Mal kleiner sein. Das vereinfache Entwicklung und Produktion. Aber natürlich gebe es noch viel zu tun. In fünf Jahren soll der Reaktor eine anhaltende Fusionsreaktion ermöglichen und mehr Energie erzeugen, als hineingesteckt wurde.
Möglicherweise waren Patentanträge der Grund, nun an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn McGuires „grandioser Plan“ (so das Fachblatt „Nature“) aufgeht, dann ist ihm ein Nobelpreis sicher. Obwohl sie sich über öffentliche Aufmerksamkeit und das Engagement eines großen Konzerns für die Fusionstechnik freuen, begegnen Fachleute den Ankündigungen mit Zurückhaltung.
Bislang hält sich der Konzern bedeckt, was die technischen Details angeht
„Es gibt sehr viele Fragen zu lösen, wenn man von einem kleinen Experiment zu einem Kraftwerk gelangen will“, zitiert „Nature“ den Fusionsenergie-Lobbyisten Stephen Dean, Präsident von Fusion Power Associates. „Man muss extrem skeptisch sein, ob sich das Ganze aufrechterhalten lässt, wenn man die Details kennt.“ Aber Einzelheiten hat Lockheed bislang nicht preisgegeben.
Deutlicher als Stephen Dean wird Isabella Milch, Sprecherin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching. „Unsere Wissenschaftler halten die Idee für ausgeschlossen“, sagt Milch. Lockheed greife auf alte Konzepte zurück, die man in der Forschung ad acta gelegt habe. <SB190,65,140>Aus Sicht der Max-Planck-Forscher besteht bei dem Lockheed-Reaktor die Gefahr, dass geladene Teilchen aus dem Plasma entweichen, etwa über die „Zipfel“ der Plasmawurst. Auch das Einsetzen von Magnetspulen in die Plasmakammer sei ein Problem, da sich Teilchen an den Spulen abkühlen. Zudem müssen diese gegen Neutronenstrahlung abgeschirmt werden.
Diese Hindernisse seien mit Tokamak- und Stellarator-Konzepten überwunden, heißt es in einer Stellungnahme des Instituts. Trotzdem könne man keine kleinen, transportfähigen Kraftwerke bauen, wie Lockheed offenbar glaubt. Das liegt daran, dass das Plasma extrem gut wärmeisoliert werden muss. Im Plasma-Zentrum sind 100 bis 200 Millionen Grad nötig, an den Reaktorwänden seien nicht mehr als 1000 Grad zu verantworten. Diese extremen Temperaturunterschiede führen zu Turbulenzen im Plasma, die die Isolation schwächen. Das wiederum erfordert ein größeres Volumen.
Gut möglich, dass der Phönix, den Lockheed aus der Asche der etablierten Fusionsforschung aufsteigen lassen will, sich am Ende als Ente erweist.