Forschung zur Kernfusion mit "Wendelstein 7-X": Das 100-Millionen-Grad-Experiment
Nach neun Jahren Bauzeit ist „Wendelstein 7-X“ startklar. Die Versuchsanlage in Greifswald soll den Weg zur Kernfusion ebnen. Kritiker halten dagegen: Derartige Forschungen sind überflüssig, weil Kraftwerke - wenn überhaupt - zu spät kommen.
Für das Kernfusionsexperiment „Wendelstein 7-X“ wird die Luft immer dünner. Aus Sicht der Physiker ist das eine gute Nachricht, denn ihre Versuche erfordern ein extrem reines Vakuum, sprich extrem wenige fremde Atome in der Reaktorkammer. Nur so können die Forscher aus Wasserstoffatomen ein bis zu 100 Millionen Grad Celsius heißes Plasma herstellen und dessen Eigenschaften untersuchen – um so dem Traum eines Fusionskraftwerks vielleicht etwas näher zu kommen.
Der Weg in diese Richtung ist noch sehr lang und beschwerlich, doch eine wichtige Etappe ist nun geschafft. Neun Jahre nach dem Baubeginn ist die Wendelstein-Versuchsanlage des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifswald weitgehend fertiggestellt. Vor einigen Tagen wurde der Reaktor verschlossen, nun wird die enthaltene Luft abgepumpt, um ihn auf die Experimente vorzubereiten. Am Dienstag soll der Abschluss der Bauarbeiten gefeiert werden, Ministerpräsident Erwin Sellering hat sich angekündigt, ebenso Bundesforschungsministerin Johanna Wanka und EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Kritiker bezeichnen das gut eine Milliarde Euro teure Projekt als Geldverschwendung.
Magnetfelder halten das Plasma in der Schwebe
Thomas Klinger sieht das natürlich anders. Der Projektleiter von Wendelstein ist sich sicher, dass die Kernfusion – das Verschmelzen von Wasserstoff- zu Heliumkernen – eines Tages funktionieren wird und mit der Technik Strom erzeugt werden kann. Die Blaupause dafür könnte die Greifswalder Anlage sein, von den Forschern als „Stellarator“ bezeichnet. Bei dieser Bauart ist das Reaktorgefäß unregelmäßig geformt, es erinnert an ein deformiertes Wollknäuel. Dahinter steckt nicht der Gestaltungswille eines Architekten, sondern komplizierte Physik. „Damit die Kernfusion gelingt, sind drei Dinge wichtig“, sagt Klinger. „Ich benötige eine hinreichend große Dichte an Wasserstoffatomen in einem bestimmten Volumen, eine Temperatur von rund 100 Millionen Grad und eine gute Wärmeisolation, damit das Plasma seine Temperatur behält und nicht zu stark auskühlt.“ Das erreichen die Physiker mithilfe starker Magnetfelder: Sie halten das Plasma in der Schwebe und damit fern von der kalten Reaktorwand.
Um so einen Magnetkäfig zu schaffen, gibt es zwei wesentliche Konzepte. Das einfachere Modell heißt „Tokamak“ und gleicht einem Donut, in dem das Plasma wie in einem Ring eingeschlossen ist. Es wird durch Magnetfelder von außen stabilisiert sowie durch einen Strom, der im Plasma selbst fließt. Dazu sind jedoch Energiepulse von außen nötig. An dieser Technik wird seit Jahrzehnten gearbeitet, sie soll auch beim Großversuch namens Iter in Südfrankreich eingesetzt werden.
Der komplizierte Aufbau der Anlage erfordert aufwändige Berechnungen
Der Stellarator hingegen ist ein relativ junges Konzept. Er nutzt ausschließlich Magnetfelder von außen und könnte einen Dauerbetrieb ermöglichen. Die Magnetfelder müssen dafür aber kompliziert geformt sein, was durch die knäuelartige Anordnung der Spulen erreicht wird. „Die dafür nötigen Berechnungen konnte man erst in den achtziger Jahren mit den damals verfügbaren Supercomputern vornehmen“, sagt Klinger. Um Wendelstein 7-X zu errichten, waren Physiker und Ingenieure oft am Limit ihrer Kunst, viele Detaillösungen mussten während des Baus erst entwickelt werden, das Projekt wurde immer wieder zurückgeworfen.
Teil zwei: Wann ein erstes Kraftwerk laufen könnte
Ob sich die Mühe lohnt und der Stellarator tatsächlich das bessere Konzept ist, diese Frage soll die Forschungsanlage beantworten helfen. Ab 2015 soll darin je 0,1 Gramm Wasserstoff mithilfe von Mikrowellenstrahlung auf mehrere Millionen Grad erhitzt werden. In ihren Experimenten wollen die Physiker überprüfen, wie sie das Plasma beeinflussen können, wie sie die Temperatur steuern können, seine Dichte. „Es geht darum, die Maschine zu verstehen, herauszufinden, wo die Berechnungen stimmen und wo wir unsere Modelle nachbessern müssen“, sagt Klinger. Genug Arbeit für mindestens zehn Jahre, schätzt er.
Eine echte Fusion von Wasserstoff zu Helium, wie sie zukünftig einmal in Kraftwerken ablaufen soll, wird es übrigens nicht geben. „Es wäre sehr aufwendig gewesen, die entsprechende Technik einzubauen und ist nicht Ziel der Versuche – die sind auf die Eigenschaften des Plasmas gerichtet“, sagt Klinger. Darüber hinaus würde Wendelstein 7-X niemals als „Minikraftwerk“ arbeiten können. Die große Herausforderung besteht nämlich darin, am Ende mehr Energie herauszuholen, als man anfangs hineingibt. Und das wiederum erfordert ein heißes, dichtes Plasma, das genug Abstand zur Wand hat. Dafür ist das Greifswalder Reaktorgefäß mit 30 Kubikmeter Volumen zu klein.
2050 könnte das erste Kraftwerk laufen
Wozu dann der Aufwand? Klinger macht einen Vergleich: Wenn ein Reeder ein hochmodernes Schiff bauen will, dann lässt er zunächst ein kleines Modell davon anfertigen, das im Wellentank ordentlich hin und her geworfen wird, um zu schauen ob die neue Konstruktionsweise überhaupt funktioniert. Erst später widmen sich die Ingenieure Motor, Steuerung und Decksaufbauten. So sei es auch in der Fusionsforschung und Wendelstein sei eines der Modelle. Das erste Demonstrationskraftwerk könnte nach Ansicht von Experten vielleicht nach 2050 laufen, der erste kommerzielle Einsatz der Technik bräuchte noch mal einige Jahre mehr.
„Vorausgesetzt, das gelingt überhaupt, so kommt die Technik trotzdem viel zu spät“, sagt Sylvia Kotting-Uhl, Sprecherin für Atompolitik bei der Bundestagsfraktion der Grünen, die zu den vehementesten Kritikern der Fusionsexperimente zählt. Sie glaubt, dass die erneuerbaren Energien bis dahin weltweit sowohl in der Verbreitung als auch von den Kosten her viel besser abschneiden als die Kernfusion. „Wir brauchen das nicht, die aktuelle Forschung ist herausgeworfenes Geld, das besser in die Erneuerbaren oder in Speichertechniken investiert werden sollte.“ Vor allem für das immer teurer werdende Projekt Iter fordert sie, dass Deutschland sofort aussteigen müsse.
Deutschland begrenzt die Ausgaben für die Fusionsforschung
Das wird von der Regierung zurückgewiesen, Kernfusion solle im Rahmen der Grundlagenforschung weiter verfolgt werden, lautet der Koalitionskompromiss. Gleichwohl ist Deutschland zurückhaltend. Für Iter, wo Deutschland über die EU beteiligt ist, sei der europäische Beitrag auf 6,6 Milliarden Euro (das sind 45 Prozent der geplanten Baukosten) gedeckelt, teilt das Bundesforschungsministerium mit. Selbst für die nationale Fusionsforschung, zu der auch Wendelstein gehört, sinken die Beiträge; Mehrausgaben seien nicht geplant, heißt es.
Die Zurückhaltung, insbesondere was Iter betrifft, könnte sich als Fehler erweisen, sagt Stefan Kaufmann, Mitglied des Bundestagssausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. „In China wurde erst kürzlich die Kernfusion als Zukunftsthema erkannt und ein zehn Milliarden Euro schweres Forschungsprogramm aufgelegt“, sagt der CDU-Abgeordnete. Er fürchtet, dass Europa und gerade auch Deutschland die Technologieführung verlieren könnten. „Es geht nicht allein um die Energiefrage, die Forschung bringt auch anderweitig Nutzen, etwa in Bezug auf neue Hochleistungsmaterialien.“ Sollte die Kernfusion tatsächlich in Zukunft eine Stromversorgung ermöglichen, so gebe es in jedem Fall Bedarf. „Weniger in Deutschland, wo wir die Energiewende schon früher geschafft haben wollen, aber in aufstrebenden Ländern wie China und Indien“, sagt Kaufmann. „Ich glaube nicht, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die erneuerbaren Energien den weltweiten Strombedarf allein decken werden.“
Anm: In einer früheren Fassung war der Beitrag zu Iter in Höhe von 6,6 Milliarden Euro fälschlicherweise allein der Bundesrepublik zugeschrieben worden. Tatsächlich handelt es sich um den europäischen Anteil, in dem auch deutsches Steuergeld enthalten ist. Wir bitten um Entschuldigung.