Fusionsforschung: Die Sonne auf Erden
In Südfrankreich entsteht für 15 Milliarden Euro ein Reaktor, der das Sternenfeuer bändigen soll. Über Verheißungen und Fehlschläge der Fusionsforschung.
Das größte nukleare Experiment aller Zeiten wird in einem kleinen Ort im Süden Frankreichs gebaut. In Saint-Paul-les-Durance, einer Gemeinde mit knapp 1000 Einwohnern, befindet sich das Kernforschungszentrum Cadarache und hier entsteht Iter, ein riesiger 15 Milliarden Euro teurer Reaktor in dem ab 2020 wie in der Sonne Wasserstoffatome zu Helium verschmelzen und dabei Energie erzeugen sollen.
Wissenschaftler versuchen seit mehr als einem halben Jahrhundert, die Kraft der Sterne zu bändigen. Die Verheißungen der Fusionsforschung sind riesig: billige, fast unbegrenzte Energie ohne Verschmutzung, Treibhausgase oder Atommüll, der Jahrtausende strahlt. Nun bauen sie einen Reaktor, der zeigen soll, dass das tatsächlich geht. Gebäude entstehen, Arbeiter gießen das Betonfundament für den Reaktor und wichtige Bauteile der Maschine sollen im Laufe des Sommers angeliefert werden.
Doch mit den fortschreitenden Bauarbeiten steigen die Ausgaben – und damit auch die finanzielle Belastung für die Geldgeber: die EU, die USA, China, Indien, Japan, Russland und Südkorea. Und das Projekt steht massiv in der Kritik. Die geschätzten Kosten für das Projekt haben sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Und ein unabhängiger Untersuchungsbericht kam im Februar zu einem vernichtenden Urteil darüber, wie schlecht das Projekt geleitet wird.
Selbst die größten Befürworter können nicht versprechen, dass die Kernfusion funktionieren wird. Oder dass es möglich sein wird, ein zuverlässiges, wirtschaftlich arbeitendes Kraftwerk zu bauen. Selbst wenn alle Probleme gelöst werden, dauert es noch Jahrzehnte bis so ein Reaktor gebaut ist. Sollten Regierungen, die noch unter den Folgen der Finanzkrise leiden, ausgerechnet jetzt Geld in so ein riesiges Projekt investieren, das am Ende scheitern könnte? Wäre es nicht besser, das Projekt zu beenden, bevor sie noch mehr Geld ausgegeben? Das sind Fragen, die in den Hauptstädten vieler Mitgliedsländer gestellt werden.
Warum also ist Kernverschmelzung so schwierig und warum müssen Fusionsreaktoren so groß und teuer sein? Auf das wesentliche reduziert, funktioniert ein Fusionsreaktor wie jedes andere Kraftwerk: Ein Treibstoff wird erhitzt, bis er brennt, die Hitze bringt Wasser zum Kochen und der Dampf treibt eine Turbine an, die Strom erzeugt. Die Kernfusion ist deswegen so verlockend, weil ihr Treibstoff, Wasserstoff, weit verbreitet und billig ist und seine Asche, Helium, harmlos. Das Problem, das Wissenschaftler schon lange umtreibt, ist, wie sie den Treibstoff so heiß bekommen, dass er brennt.
Der Treibstoff eines Fusionsreaktors sind schwere Wasserstoffatome, Deuterium und Tritium genannt. Damit sie miteinander reagieren muss ein Deuteriumkern sehr nah an einen Tritiumkern gebracht werden. Nur dann verschmelzen die beiden zu einem Heliumkern und es wird Energie freigesetzt (und ein Neutron, ein ungeladenes Teilchen). Aber alle Atomkerne haben eine positive Ladung und stoßen sich deshalb ab wie zwei gleichgepolte Magnete. Fusionskraftwerke versuchen diese Abstoßung zu überwinden, indem sie den Treibstoff erhitzen: Je heißer der Treibstoff, umso schneller bewegen sich die Kerne. Je schneller die Kerne sich bewegen, umso stärker prallen sie aufeinander. Und je stärker sie aufeinander prallen, umso näher kommen sich die Kerne. Ab einer bestimmten Temperatur bewegen sich die Kerne so schnell, dass sie bei einer Kollision miteinander verschmelzen. Im Inneren der Sonne sind dafür 15 Millionen Grad Celsius nötig. In einem Kraftwerk auf der Erde, wo viel geringerer Druck herrscht als im Inneren der Sonne, muss es noch viel heißer sein: 150 Millionen Grad.
Ein Problem stellte sich Forschern bei solch enormen Temperaturen von Anfang an: Wie verhindert man, dass der Treibstoff den Behälter schmilzt, in dem er sich befindet? Wissenschaftler mussten ein Verfahren finden, um den Treibstoff von den Wänden fernzuhalten. Bei so hohen Temperaturen ist der Treibstoff weder ein Feststoff noch eine Flüssigkeit. Selbst ein Gas übersteht die Hitze nicht. Durch die heftigen Kollisionen zwischen den Gasatomen werden ihre Elektronen weggestoßen, so dass ein Gas geladener Teilchen, Elektronen und Kerne, übrig bleibt, ein Plasma. Das ist hilfreich, denn im Gegensatz zu ungeladenen Atomen, können geladene Teilchen durch magnetische und elektrische Felder beeinflusst werden.
In den 40er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts versuchten Wissenschaftler erstmals einen Fusionsreaktor zu bauen und sie entwickelten viele komplizierte Anordnungen von Magneten und Elektroden, um das heiße Plasma in der Schwebe zu halten: kugelrunde, zylindrische, oder doughnut-förmige. Doch sie hatten unterschätzt, wie schwierig es ist, mit dem Plasma zu arbeiten.
Erstens, lässt sich Plasma nur schwer von Magnetfeldern beherrschen. Manche vergleichen es mit dem Versuch, einen Wackelpudding mit Gummibändern zusammenzuhalten. Das Plasma wand und wölbte sich und beschädigte die Reaktoren, wenn es gegen die Wände stieß.
Das andere Problem waren Turbulenzen: Das Plasma wirbelte herum und dadurch mischte sich der heißeste Teil des Plasmas in der Mitte immer wieder mit dem kälteren Plasma außen. Die Hitze entwich schneller aus der Mitte als Wissenschaftler vermutet hatten. Das erschwerte es, jene Temperaturen zu erreichen, die für eine Kernverschmelzung nötig sind.
1969 zeigten russische Wissenschaftler, dass ein Reaktor in der Form eines Doughnuts, Tokamak genannt, Plasma besser stabil halten konnte, als jedes andere Design und sie erreichten Temperaturen von über einer Million Grad Celsius, damals ein Rekord. Fusionslabore in der ganzen Welt begannen, ihre eigenen Tokamaks zu bauen.
Eine Sache wurde schnell klar: Je größer ein Tokamak ist, desto besser funktioniert er. Ein Grund dafür ist, dass die Hitze im Zentrum einer großen Menge Plasma einen weiteren Weg nach außen hat, darum bleibt es im Kern länger heiß. Mitte der 70er Jahre planten Forscher bereits Reaktoren so groß wie Häuser. Diese Maschinen würden endlich mehr Energie produzieren als hineingesteckt werden musste, um das Plasma zu erhitzen, glaubten sie.
Doch als die Maschinen wie der TFTR in den USA oder der Jet in England in den 1980ern in Betrieb genommen wurden, überraschte das Plasma die frustrierten Forscher aufs Neue. Die großen Reaktoren konnten das Plasma zunächst tatsächlich sehr gut beherrschen. Doch sobald die Forscher einen Strahl ungeladener Teilchen auf das Plasma schossen, um es zu erhitzen, brach das System zusammen. Die Forscher verbrachten das nächste Jahrzehnt damit, die Reaktoren umzubauen, bevor sie die Maschinen wirklich testen konnten. Als es schließlich so weit war, verfehlten die Reaktoren ihr Hauptziel: Keiner von ihnen produzierte mehr Energie als hineingesteckt wurde.
Damals, Mitte der 90er Jahre, waren die Pläne für das nächste große Fusionsprojekt bereits fortgeschritten. Wissenschaftler hatten einiges aus TFTR und Jet gelernt. Sie waren zuversichtlich, dass es dieses Mal gelingen würde. Das neue Projekt, der Internationale thermonukleare experimentelle Reaktor (Iter), war so groß und so teuer, dass er eine weltweite Zusammenarbeit nötig machte. Zunächst waren die Europäische Union, Japan, Russland und die USA dabei. Später kamen Indien, Südkorea und China dazu. Immer noch der Regel folgend, dass größer besser ist, verlangte das Design von Iter, das 1997 vorgestellt wurde, einen Plasmabehälter mit einem Durchmesser von 22 Metern. Die riesige Plasmawolke darin würde 1,5 Gigawatt Hitze produzieren, berechneten die Forscher. 100 mal mehr als die höchste Ausbeute, die Jet erreicht hatte.
Allerdings sollte der Reaktor fast 10 Milliarden Euro kosten. Die Mitgliedsländer sträubten sich gegen den hohen Preis und die Planer mussten noch einmal zurück ans Reißbrett. 2001 stellten sie einen kleineren, günstigeren Entwurf vor: 16,4 Meter Durchmesser, ein Drittel der Hitze und der halbe Preis. Die Pläne überzeugten die Partner und 2006 unterzeichneten sie ein Abkommen, in dem sie sich verpflichteten den Reaktor zu bauen. Doch in den folgenden Jahren wurde klar, dass die Kosten deutlich unterschätzt wurden. Zurzeit steht der vermutliche Endpreis bei mehr als 15 Milliarden Euro. Deutschland soll davon etwa 1,3 Milliarden Euro übernehmen.
Ein Grund für die explodierenden Kosten ist die Tatsache, dass alle Länder in dem Projekt einen Teil der Bauarbeiten ausführen wollen, damit ihre Industrien die wichtigen neuen Fertigkeiten lernen. So werden etwa die supraleitenden Kabel für die Magneten nicht alle in einer Fabrik hergestellt sondern in sechs verschiedenen auf der ganzen Welt. Das macht sie teurer und birgt die Gefahr, dass die Komponenten am Ende nicht zusammenpassen.
Selbst wenn Iter ein Erfolg wird und in einigen Jahren wie geschmiert läuft, gibt es weitere Hürden. Iter ist kein Kraftwerk sondern ein wissenschaftliches Experiment. Es soll zeigen, dass Fusionsenergie möglich ist. Doch um zu einem kommerziellen Kraftwerk zu kommen, müssen noch andere Fragen beantwortet werden.
Eine davon ist wie man den Reaktor dauerhaft laufen lassen kann. Tokamaks sind auf einzelne Pulse ausgerichtet, zunächst nur einige Millisekunden lang, doch später soll das Plasma in Iter acht Minuten lang Fusionskraft liefern. Solche Pulse sind für ein Kraftwerk nicht ideal. Darum wollen die Wissenschaftler am Iter verschiedene Ideen ausprobieren, wie der Reaktor kontinuierlich betrieben werden könnte.
Ein weiteres Problem ist, welche Materialien für zukünftige Reaktoren verwendet werden sollen. Die energiereichen Neutronen die bei der Kernverschmelzung entstehen, zersetzen mit der Zeit Stahl und andere Metalle. Ein Reaktor würde darum nur eine begrenze Lebenszeit haben. Bisher wissen Wissenschaftler nicht, wie sie einen Reaktor bauen können, der dem ständigen Bombardement stand hält. Diese und andere Fragen zu beantworten, kostet Zeit. Darum sagen Fusionsforscher, dass es mehrere Jahrzehnte dauern wird, ehe die Technik für kommerzielle Kraftwerke bereit ist. Kritiker entgegnen, dass die Probleme womöglich niemals gelöst werden und dass eine Maschine, die so komplex und teuer ist wie Iter, für keinen Stromkonzern der Welt interessant wäre.
Ist Iter also die Mühen und Kosten wert? Man kann die Fusionsforschung mit der Entwicklung von Flugzeugen vergleichen. Viele Pioniere arbeiteten im 19. Jahrhundert daran, den Traum vm Fliegen zu verwirklichen. Andere hielten das für unmöglich. Das US-Militär zahlte 50 000 Dollar, 1898 eine riesige Summe für ein Flugzeug, das Langley Aerodrome hieß und ein absoluter Fehlschlag war. Die Gebrüder Wright absolvierten 1903 den ersten erfolgreichen Flug. Aber kaum jemand hätte auf dem instabilen und gefährlichen Gefährt ein Passagier sein wollen und niemand konnte sich damals moderne Maschinen wie den Airbus A380 oder eine Boeing 747 vorstellen. Das riesige Experiment, das zurzeit in dem kleinen Ort in Frankreich gebaut wird, ähnelt diesen frühen Flugversuchen. Sollte es gelingen, wäre es so etwas wie der Moment des ersten Abhebens. Nicht mehr und nicht weniger.
Dan Clery ist ein britischer Journalist. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch über Fusionsforschung „A Piece of the Sun“ (Overlook Press, 320 Seiten). Text übersetzt und bearbeitet von Kai Kupferschmidt.
Dan Clery
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