Medikamente gegen Alzheimer: Kein Durchbruch, aber Fortschritte
Antikörper können den Verlauf von Alzheimer möglicherweise verlangsamen. Doch damit die Therapie wirken kann, muss die Krankheit sehr frühzeitig erkannt werden.
Ungläubig schaute sie auf die Uhr an der Wand des Hörsaals. Die Vorlesung sollte längst angefangen haben, ihre Kommilitonen wurden unruhig. Einige suchten die hinteren Reihen ab, berieten mit ihren Freunden. „Vielleicht haben wir heute einen Gastdozenten“, hörte sie eine junge Frau sagen. Sie blätterte in ihren Unterlagen. „Stress, Hilflosigkeit und Kontrolle – Kapitel 12 & 14“. Kein Wort von einem Gastdozenten. Jetzt waren 20 Minuten vergangen, noch immer stand niemand am Pult. Es reichte. „Ich habe Besseres zu tun“, verkündete sie, stand auf und ging. Sie hatte vergessen, dass sie die Psychologie-Professorin war, auf die alle warteten.
Der unaufhaltsame geistige Verfall, den Lisa Genova in ihrem Buch „Still Alice“ an einem fiktiven Beispiel beschreibt, ist allein in Deutschland für 1,5 Millionen Menschen bittere Realität. Ein Drittel von ihnen leidet an Alzheimer. Die Patienten verlieren nicht nur ihre Erinnerungen. Nach und nach verändert sich die Persönlichkeit, am Ende siechen sie dahin. Ein Mittel, das diesen Prozess stoppt, ist der „Heilige Gral“ der Alzheimerforschung. Mehr als 120 Wirkstoffkandidaten sind gescheitert. Die Pharmaindustrie hat Milliarden versenkt. Einzelne Medikamente können die Symptome mildern, an den Ursachen ändern sie nichts.
Umso gespannter erwarteten Forscher, Analysten und Betroffene die Daten zweier Studien, die die Firmen Eli Lilly und Biogen auf einem internationalen Alzheimer-Kongress in Washington vorstellten. Dieses Mal sei der Durchbruch gelungen, munkelte man vorab. Die Aktienkurse beider Unternehmen schossen in die Höhe. Nun ist die Blase geplatzt. „Die Ergebnisse sind eine kleine Ermutigung, nicht aufzugeben. Schrittchen auf einem langen Weg“, sagt Hans Förstl, Direktor der Klinik für Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar der TU München. Der Hype um die vage formulierten Erfolge sei den Investoren geschuldet, vermutet Eckhard Mandelkow vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Obgleich der Forschungsansatz interessant sei.
Solanezumab galt bereits als gescheitert
Es geht um zwei biotechnisch hergestellte Antikörper – Solanezumab und Adumanucab –, die im Gehirn ein Eiweiß namens Amyloid-beta (Abeta) beziehungsweise seine Vorläufer erkennen und abbauen sollen. Eine verklumpte Version dieses Eiweißes lagert sich bei Alzheimer-Patienten vermehrt an den Nervenzellen ab. Die Plaques lassen die Neuronen absterben, so lautet eine These. Verdächtig sind auch Knäuel des Eiweißes Tau, die sich in den Zellen sammeln.
Solanezumab galt eigentlich als gescheitert. Anderthalb Jahre bekamen mehr als 2000 Menschen mit mildem oder moderatem Alzheimer entweder eine Infusion mit den Antikörpern oder ein Placebo. Am Ende schnitten beide Gruppen in Tests gleich ab, berichteten die Forscher im Fachblatt „New England Journal of Medicine“. Trotz der Niederlage sahen sie einen Hoffnungsschimmer. Wenn sie bei der Analyse dieser und einer anderen Studie nur Teilnehmer mit Alzheimer im Frühstadium berücksichtigten, verlangsamte die Substanz den kognitiven Verfall um 34 Prozent.
Also gaben die Forscher denen, die es wünschten, weitere zwei Jahre die Antikörper. Die Kontrollgruppe waren nun Patienten, die erst zu diesem Zeitpunkt mit der Therapie begannen. Können sie nicht aufholen, greift das Mittel die Wurzel des Übels an. Sind letztlich alle gleich gut oder schlecht, lindern die Antikörper nur Symptome, sagen die Forscher. Tatsächlich war der Vorsprung der ersten Gruppe nach einem halben Jahr so groß wie zuvor, berichtete Eli Lilly. Auch nach etwa einem Jahr sei der Unterschied „statistisch signifikant“. Die Firma legte jedoch keine Hirnscans vor. Genauere Daten soll eine Studie mit mehr als 2000 Probanden liefern. Sie läuft bis 2016.
Wegen möglicher Nebenwirkungen darf die Dosis nicht zu hoch sein
„Klinisch relevant sind die Verbesserungen nicht“, sagt die Alzheimer-Forscherin Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie der Charité auf dem Campus Benjamin Franklin. Skeptisch stimmen sie die statistischen Methoden. „Aber da die Antikörper-Strategien auf einer im Tiermodell überzeugenden These zur Krankheitsentstehung basieren, erhoffe ich mir schon, dass wir damit weiterkommen.“ Die bisherigen Ergebnisse könnten praktische Gründe haben: dass nicht genug Antikörper im Hirn ankommen, dass sie zu spät oder in zu geringer Dosis gegeben wurden.
Das Dosis-Problem plagt auch Biogen. Die Firma erregte im Frühjahr dieses Jahres Aufsehen mit der Nachricht, dass Adumanucab bei 27 Patienten mit Alzheimer im Frühstadium nicht nur die Gedächtnisleistung verbesserte, sondern sich zusätzlich weniger Abeta ablagerte. Allerdings wurden die Alzheimer-Patienten mit der höchstmöglichen Dosis von zehn Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht behandelt – das verursachte Nebenwirkungen wie kleine Hirnblutungen. Nun habe Biogen die ideale Dosis gefunden, die Wirkung und Nebenwirkung ausbalanciert, hofften viele. Sie wurden enttäuscht. Biogen teilte mit, dass die Gabe von sechs Milligramm zwar nach 54 Wochen die Abeta-Ablagerungen verringerte. Das hatte jedoch keine Auswirkungen auf die Denkfähigkeit der Probanden. Trotzdem plant die Firma eine Studie mit 2700 Teilnehmern.
Alzheimer früh zu erkennen, ist keine Routine
Mandelkow vom DZNE sieht ein weiteres Problem: Alzheimerpatienten verlässlich sehr früh zu erkennen und die Krankheit gleichzeitig von anderen Formen der Demenz zu unterscheiden, ist nicht selbstverständlich. Die Bildgebung wie die Positronen-Emissions-Tomografie habe zwar große Fortschritte gemacht. Mit ihrer Hilfe wird zum Beispiel nach den typischen Ablagerungen im Gehirn gefahndet. Doch das ist teuer und taugt nicht für eine Reihenuntersuchung. Außerdem muss nachgewiesen werden, ob Bildgebung, bestimmte Werte in Blut oder Hirnwasser, subjektives Befinden und Testergebnisse sich parallel verändern. „Leider ist das noch nicht überzeugend gelungen“, sagt Heuser.
Wenn Alzheimer deutlich erkennbar ausgebrochen ist, werden die etablierten Mittel ihren Stellenwert behalten – davon ist Förstl überzeugt. Diese Anti-Demenz-Mittel richten sich gegen die Symptome der Krankheit. Die Wirkstoffe Donepezil oder Galantamin hemmen das Enzym Acetylcholinersterase und sorgen so für bessere Übertragung von Signalen von Nervenzelle zu Nervenzelle. Memantin schützt Nervenzellen vor dem Einströmen des Botenstoffes Glutamat, dessen Übermaß sie absterben lassen kann.
Es bleibt der Wettlauf zwischen steigender Lebenserwartung und Neurodegeneration. Förstl bezweifelt, dass Antikörper und andere Medikamente seinen Ausgang in den nächsten Jahren beeinflussen können. „Doch es zeichnet sich ab, dass eine klügere, gesündere Lebensführung etwas schützt“, sagt er. „Jedenfalls sinkt derzeit die altersbezogene Demenzrate.“
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