Generation Z und Nationalsozialismus: Junge Menschen interessieren sich mehr für die NS-Zeit als ihre Eltern
Zwei neue Studien zeigen: Die 16-25-Jährigen beschäftigen sich viel mit dem Nationalsozialismus. Sie stellen oft Bezüge zur Gegenwart her - und selten zu ihren Familien.
Wie sehr interessieren sich junge Menschen 80 Jahre nach der „Wannseekonferenz“ und 77 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz noch für die NS-Zeit und für die Shoah? Zumindest mehr als ihre Eltern. Das legen zwei Studien nahe, die von den verantwortlichen Forscher:innen jeweils am Dienstag präsentiert wurden.
So bekunden die 16-25-Jährigen nicht nur ein größeres Interesse am Thema NS-Verfolgung als die 40- bis 60-jährige Vergleichsgruppe (75 zu 66 Prozent). Sie stimmen auch häufiger der Aussage zu, dass sich die eigene Generation verstärkt mit dem Thema beschäftigen sollte (73 zu 68 Prozent) und dieses für Gegenwart und Zukunft von Belang sei (78 zu 71 Prozent). Laut der vom rheingold Institut im Auftrag der Arlosen Archives durchgeführten qualitativ-psychologischen sowie quantitativ-repräsentativen Untersuchung ist die Generation Z für die NS-Diktatur so auf hohe Weise sensibilisiert.
Gleichzeitig übe der Nationalsozialismus auf junge Menschen oft eine unheimliche Faszination aus, erklärt der Psychologe Stephan Grünewald. Nicht wenige würden sich dem Holocaust wie einem True-Crime-Format nähern. Bedeutsam sei für junge Leute auch die Frage, wie sie sich selber verhalten hätten.
Das überraschend hohe Interesse erkläre sich nicht zuletzt durch die spezifische Lebenssituation der Generation Z, so die beteiligten Wissenschaftler:innen. Demnach wird die NS-Zeit mit ihren völkisch festgelegten Kategorien als Gegenbild zum eigenen Leben in einer „multioptionalen Bereitstellungskultur“ erachtet.
Parallelen zur Gegenwart
Doch nicht nur der Gegensatz von damals und heute wird von den Befragten in den Blick genommen. Auch würden oft Parallelen zur Gegenwart gesucht – zu Rassismus, Ausgrenzung und Fake News. „Heute erlebt diese Generation, dass Demokratien in Gefahr geraten können. Ich finde es sehr gut nachvollziehbar, dass Erinnerung für sie mit dem Blick in ihre eigene Lebenswelt verbunden ist, in der populistische, autoritäre und intolerante Stimmen immer lauter zu hören sind“, kommentiert die Direktorin der Arolsen Archives, Floriane Azoulay.
Die meisten würden dabei aber nicht erkennen, dass Antisemitismus das Kernelement des NS-Systems war. Mit Blick auf die Spezifika des Judenhasses bestehe pädagogischer Nachholbedarf. Zu begrüßen sei jedoch, dass Alltagsrassismus von der Generation Z viel stärker problematisiert werde, als von der älteren Vergleichsgruppe. Für 39 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gehört Rassismus zu den wichtigsten Themen, gegenüber lediglich 14 Prozent in der Alterskohorte zwischen 40 und 60.
Unbefangenerer Zugang
Ein zentraler Grund für die junge Generation, sich stärker mit dem Thema NS zu befassen, ist, so widersprüchlich es klingt, die zunehmende Historizität. Denn je mehr sich das Ereignis aus der Gegenwart entferne, desto weniger befangen sei der Blick. „Man fühlt sich befreit, von persönlicher Schuld. Fast niemand kennt noch jemanden, der selber verwickelt war, es gibt kein direktes Verhältnis mehr zur Generation der Täter“, sagt Stephan Grünewald. Das Grundgefühl sei, das man für gestern nichts könne, aber für Morgen die Verantwortung trage.
Auch die zweite am Dienstag präsentierte Untersuchung, die repräsentative Memo-Jugendstudie der Stiftung Erinnerung, Vergangenheit, Zukunft (EVZ), kommt zu dem Ergebnis, dass persönliche Bezüge in der Auseinandersetzung mit dem NS eine untergeordnete Rolle spielen.
Zwar konstatiert auch die gemeinsam mit der Uni Bielefeld an 3485 repräsentativ ausgewählten jungen Menschen durchgeführte Befragung, dass unter den heute 16- bis 25-Jährigen ein hohes Interesse an einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit besteht. Über drei Viertel der Befragten (76,5 Prozent), und damit mehr als in der deutschen Allgemeinbevölkerung, finden den Blick in die Vergangenheit sinnvoll. Gleichzeitig erklärt etwa die Hälfte, sich „eher wenig“ oder „überhaupt nicht“ mit Familienbezügen zu befassen. Entsprechend könnten viele die Rolle ihrer Vorfahren bei den Verbrechen nicht einordnen.
Gefahr des Revisionismus
Der Wert wird allerdings dadurch verzerrt, dass unter den Befragten wohl nicht wenige Personen eine Migrationsgeschichte haben. Deren Ahnen sind eher selten als Täter im NS-Staat in Erscheinung getreten. Als besorgniserregend werteten die Verantwortlichen der Studie, dass mehr als 20 Prozent der Teilnehmenden undifferenzierte Vergleiche zwischen den Repressionen des NS und der Einschränkung von Grundrechten in der Corona-Pandemie zogen.
So habe die historisch-politische Bildung noch einiges zu leisten, erklärte Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung EVZ. Junge Menschen müssten vermehrt für geschichtsrevisionistische Erzählungen sensibilisiert werden.
So wurde am Dienstag zusammen mit der Memo-Studie auch die neue vom Bundesfinanzministerium geförderte „Bildungsagenda NS-Unrecht“ vorgestellt. Mit einem Etat von neun Millionen Euro sollen in den kommenden Jahren ausgewählte Projekte für „geschichtsbewusstes und lebendiges Erinnern“ gefördert werden.
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