ZDF-Film „Die Wannsee-Konferenz“: Der Tod ist ein Meister am Wannsee
Ein herausragender ZDF-Film rekonstruiert die Nazi-Konferenz zur „Endlösung der Judenfrage“.
Vor 80 Jahren informierte der neu ernannte oberste Judenverfolger der Nazis, Reinhard Heydrich, die Verwaltungsspitzen des Reichs über die geplante „Endlösung der Judenfrage“: die Ermordung von europaweit elf Millionen Menschen durch Gas. Die ZDF-Verfilmung der „Wannseekonferenz“ von Regisseur Matti Geschonneck und Drehbuchautor Magnus Vattrodt ist unerbittliche Zuschaueranstrengung, Erschütterung und Muss zugleich.
Die Villa, heute ein Museum, steht elegant am Großen Wannsee. In der neuen Verfilmung ist sie nur in Außenaufnahmen zu sehen. Ihre Innenräume sind im Studio nachgebaut: Kamera und Ton wollen ungehindert arbeiten, um zu zeigen, was am 20. Januar 1942, in der amoralischsten Stunde der deutschen Geschichte, geschieht. Der Zuschauer weiß es noch nicht, das Medium liefert ihm 104 Minuten lang keine orientierende Effekte. Kein Fenster öffnet sich zu historischen „Wochenschau“-Aufnahmen. Musik, diese ewige Stimmungskanone des Fernsehens: Generalpause.
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Auch das Casting hält Distanz zu Erwartungen. Eine Nazivisagen-Revue aufgrund historischer Ähnlichkeit wird verweigert. Eichmann-Darsteller Johannes Allmayer entspricht nicht dem raffinierten Unschuldslamm, wie man es aus dem Prozess in Jerusalem von 1961 in Erinnerung hat. Der Heydrich-Helfer im neuen Film agiert als gläubiger Aufsteiger, noch rangnieder und von den andern belächelt wegen seines Zahleneifers, seiner Schaubildern und der wohl echten Enttäuschung, dass er die Juden nicht auf „legale“ Weise in das Ausland (zum Beispiel nach Madagaskar) hat loswerden (im Nazijargon „evakuieren“) können.
Ein Volltreffer klischeewidrigen Castings ist Heydrich-Darsteller Philipp Hochmair als Heydrich. Er spielt, als käme am Wannsee die Operette „Land des Lächelns“ zur Aufführung. Keine Spur vom humorlosen Schafsgesicht des Originals, auch keiner blonden Bestie. Stattdessen: ein nach außen samtener, aber gelegentlich auch kackfrecher Beschwichtiger, wenn es Einwände gibt.
[„Die Wannseekonferenz“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15. Das „Morgenmagazin“ meldet sich um sechs Uhr live aus dem Haus der Wannsee-Konferenz]
Es existiert die 16. Ausfertigung einer Geheimen Reichssache: ein Besprechungsprotokoll „über die Endlösung der Judenfrage“. Autor dieses einzig gefundenen Dokuments: Eichmann. Einlader zu dieser „Besprechung mit anschließendem Frühstück“: Reinhard Heydrich. Eingeladen: 14 Vertreter der SS, der NSDAP sowie der Ministerialbürokratie. Dem Protokoll folgt der Film.
Die Quelle ist Gerüst, aber noch kein Film. Das Atmosphärische, auf das es ankommt, ist historisch nicht belegt oder belegbar. Hier hat sich das Autorenteam aus ästhetischen Gründen für theatralische Zurückhaltung entschieden.
Paul Celans "Todesfuge"
Kommt da an den Wannsee das, was der Dichter Paul Celan in dem Vers ohne Satzzeichen in seiner „Todesfuge“ bezeichnet? „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng.“ Das ist eine Dimension poetischer Verzweiflung, die Geschonneck und Vattrodt nicht betreten wollen oder können. Ihr Film handelt von Mördern und lässt das Leid der Opfer nur als Schatten erahnen, wenn die Täter die Maske der Förmlichkeit fallen lassen.
Zum Beispiel vor Beginn der Konferenz auf der Terrasse der Villa. Hier plauschen zwei hohe Chargen des Mörderapparats und es entspinnt sich folgender Dialog: „Kaum bist du mit den eigenen Juden fertig, kommen schon die nächsten. Gestern wieder 900 Figuren, Tschechen.“ Der andere fragt: „Wo stecken Sie die alle hin? Riga? Ghetto?“ Antwort: „Na, soweit kommt es noch. Kleiner Waldspaziergang, und das war's.“
Zeitströmung im Dialog
Autor Vattrodt („Ein großer Aufbruch“) ist kein melancholischer Betrachter, sondern ein Könner im Fach Entwicklung eines Rollencharakters und Analyse einer Zeitströmung im Dialog. An ihren Worten sollt ihr alles erkennen.
Heiter und siegessicher rauscht der neue Todesgott Heydrich in die Wannseevilla. Seinen engsten Erfüllungsgehilfen erläutert er vorab: Der Kampf gilt den „Weihnachtsmännern“, den Bedenkenträgern, den Kompetenzkleingärtnern aus der staatlichen Verwaltung.
Dann geht es los. Ohne viel Heil-Hitler-Pathos. Die Dienerschaft trägt weiße Handschuh und männlich enge Livreen. Das Geschlecht Frau vertritt die Sekretärin Fräulein Werlemann (Lilli Fichtner), die für die Bürohengste so unerreichbar ist, wie ihr Vorname Ingeburg signalisiert.
Der Nazistreber Eichmann präsentiert Zahlen und weist mit dem Zeigestock auf Graphiken der Judenjagd. Eine Skizze mit beschrifteten Särgen aus dem Baltikum wird herbeigeholt. Beifall für die Meldung „judenfrei“. Ärger mach Frost: Steinharter Boden führt zu Leichenentsorgungsstau.
Wie die Leichen lagern?
Wie kann man Leichen platzsparend lagern? Senkrecht oder waagerecht. Und die Tötungen im Gaswagen? Sind sie nicht eine „größere Schweinerei“ als die Tötung mit der Kugel?
Weitere Beschwerden: Wie kommt es, dass Berliner Juden vor solchen aus andern Ländern sogleich ohne Prüfung ihrer Kriegsnützlichkeit „sonderbehandelt“ werden? Was ist mit den Soldaten der Wehrmacht, die durch die Mitwirkung an Massenerschießungen psychisch belastet sind? Warum ist das restpolnische Generalgouvernement so überschwemmt von Juden? Heydrich wiegelt ab.
Bedenkenträgerstreit, wie von Heydrich vorhergesehen. Warum scheint er dennoch dauernd zu grienen? Er besitzt das finale Wort, das zum Jargon der Nazikannibalen passt, zu „Völkerbrei“ und „Mischling“, zu „Rassenschande“ und „Achteljude“, zu „Einwagonierung“ und „Umsiedlung“. Es lautet „Endlösung“, dieser Klarsichthüllen- Pleonasmus, der nach Erledigung und Vergessen klingt. Nach Endzeitparadies, nach Mathe 1 und Lehrerlob. Wie unamtlich roh hören sich nach solcher Sprachtarnung auf einmal Töten und Ermorden an.
Königsweg in die Wolken
Heydrich ist sich sicher, er habe für die Juden den Königsweg zum Grab in den Wolken gefunden. Er lässt seinen Adlatus Otto Hofmann (Markus Schleinzer), den Chef des Rasse- und Siedlungshauptamts, von der Leine. Der feiert in halbirrer Rede, wie die Welt nach der „Endlösung“ aussehen könnte. Judenkolonnen würden vor ihrer Vergasung im Osten breite Straßen gebaut haben, die deutschen Siedler brauchen würden, um den Brei niederrassiger Völker zu germanisieren. „Aufrassung“, „Umvolkung“ nennt das die Wahnseesprache. (Hat davon nicht auch der kackbraune Flügel der AfD so gesprochen?)
Die Droge einer „judenfreien“ Zukunft wirkt. Heydrich sieht für die Endlösung gute Durchsetzungschancen. Dann gibt es erst mal Lachs.
Unsägliche Fragen
Nach dem Fisch verheddert sich die Konferenz in den entsetzlichen, unsäglichen Fragen der damaligen Gegenwart: Welche „Mischlinge“ sind von der Deportation in die „Endlösungs“-Fabriken auszunehmen? Heydrich und Eichmann sind für eine brutalere Linie, als sie die Nürnberger Gesetze vorschreiben. Die „Weihnachtsmänner“, zwei Teilnehmer mit Spuren von ethischer Skepsis, murren vergeblich. Ihre Kapitulation vor den „Endlösern“ zeigt sich in ihrer ganzen Feigheit.
Einer ist Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl), Jurist und Ministerialdirektor in der Reichskanzlei. Er ist Pfarrerssohn und Teilnehmer am Ersten Weltkrieg. Träger des Eisernen Kreuzes. Er weiß aus eigener Fronterfahrung, was Gas für Menschen bedeutet, da mag Heydrich noch so verharmlosend über Zyklon B schwärmen. Er entwertet aber seine zögernd vorgetragene Kritik durch die Kapitulation vor der Hardlinerbeleidigung „Humanitätsduselei“.
Ein Störenfried
Der andere Störenfried heißt Wilhelm Stuckart (Godehard Giese) vom Innenministerium. Er hat an den Nürnberger Rassengesetze mitgearbeitet. Er sagt dem Rechtsvergewaltiger Heydrich erregt ins Gesicht: „Gesetz ist Gesetz“ und meint kein Spielzeug für den Machtapparat .
Der Anführer der Verfolgerbrutalos Heydrich bittet Stuckart in einen Nebenraum: Es herrscht Showdown-Erwartung. Als die Kontrahenten wieder erscheinen, kehrt die Wahnsee-Fröhlichkeit zurück. Giese hat in der „Mischlings“-Frage nachgegeben. Jüngere „Halbjuden“ sind vogelfrei, ältere „Mischlinge“ können zwangssterilisiert werden.
Ein Mörder wird ermordet
Der Tod kommt als Meister, diesmal mal nicht aus Deutschland. Am 27. Mai 1942, drei Monate nach dem Wannseetreffen, greifen tschechische Widerstandskämpfer den im offenen Wagen vom Prager Herrscherhügel herabfahrenden Besatzungschef an. Acht Tage später stirbt der Millionenmörder Reinhard Heydrich.
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