Historiker erhebt schwere Vorwürfe: Jörg Baberowski legt sich mit Humboldt-Uni an
Kein Zentrum für Diktaturforschung: Der umstrittene Geschichtsprofessor Jörg Baberowski wirft seiner Uni vor, die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken.
Schränkt die Humboldt-Universität zu Berlin die Freiheit der Wissenschaft ein? Das wirft Jörg Baberowski seiner Uni vor, an der er seit 2002 Professor für die Geschichte Osteuropas ist. Der Historiker wird seit Jahren von linken Studierendengruppen für seine politischen Beiträge kritisiert, in denen er sich unter anderem gegen Merkels Flüchtlingspolitik und das „Gerede von der Willkommenskultur“ aussprach. Jetzt hatte Baberowski vor, ein interdisziplinäres Zentrum für vergleichende Diktaturforschung an der HU aufzubauen. Historiker und Juristen sollten gemeinsam daran forschen, wie Diktaturen entstehen. Doch die juristische Fakultät der HU zog ihre Unterstützung für das Projekt zurück, der Antrag scheint vorerst gescheitert.
Baberowski wirft der HU nun vor, sich dem Druck von Studierendenvertretern und Medien gebeugt zu haben. Da sich die Uni für die Exzellenzstrategie beworben hatte, wolle man jede negative Öffentlichkeit vermeiden, sagte Baberowski dem „Deutschlandfunk“ (DLF). Wissenschaftsfreiheit sei der Uni nicht so wichtig wie „die Ruhe, die sie gerne haben möchte“. Die HU habe sich längst vom Prinzip der Wissenschaftsfreiheit verabschiedet, wurde Baberowski bereits Anfang August in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitiert. Gegenüber dem Tagesspiegel wollte Baberowski sich auf Anfrage nicht äußern.
„Unserer Universität wurde ein Vorwurf gemacht, der ins Mark zielt“, sagt Gabriele Metzler, Dekanin der Philosophischen Fakultät der HU und Mitglied des Akademischen Senats, dem Tagesspiegel. Man könne der Humboldt-Uni vieles nachsagen, aber dass die Wissenschaftsfreiheit geachtet werde, stehe außer Frage. „Das hat mich sehr geärgert“, sagt Metzler. Es sei ein leichtfertig erhobener Vorwurf, der gravierende Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit wie etwa in Ungarn bagatellisiere.
Studierende veröffentlichten interne Dokumente zum Zentrum
Ihre Kritik an dem „FAZ“-Artikel und den dort erhobenen Vorwürfen artikulierte Metzler in einem Leserbrief. „Von einer Gefährdung oder gar Preisgabe der Wissenschaftsfreiheit an der Humboldt-Universität zu sprechen, entbehrt jeglicher Grundlage“, heißt es in dem Schreiben, das von der HU-Präsidentin (Sabine Kunst) und dem Vize-Präsidenten für Forschung (Peter Frensch) mitgezeichnet ist. Baberowski nannte den Leserbrief auf seiner Facebook-Seite „schamlos“, was Metzler wiederum als „schade“ bezeichnet.
Baberowskis Vorwurf, die HU habe in der Bewerbungsphase der Exzellenzstrategie negative Presse vermeiden wollen, weist Metzler entschieden zurück. Die HU sei die am meisten beobachtete Universität Deutschlands, öffentliche Kritik sei völlig normal. Der „FAZ“ sagte Baberowski, er habe trotz mehrfacher Nachfragen keine Mitteilung darüber erhalten, dass der Antrag auf das Zentrum nicht mehr verhandelt werden sollte. „Das ist schlicht nicht richtig“, sagt Metzler. Der Antrag sei nicht zurückgezogen, sondern auf Wunsch Baberowskis von der Tagesordnung genommen worden. Über sämtliche Abläufe seien alle Beteiligten fristgerecht informiert worden. „Das war ein völlig normaler Vorgang“, sagt Metzler.
Der eigentliche „Skandal“ hat sich aus Metzlers Sicht im Februar ereignet. Damals veröffentlichten Studierende vertraulich behandelte Dokumente zum Zentrum für Diktaturforschung. Es ging um Gutachten von Professoren, die das Vorhaben sehr kritisch beurteilten. Unter anderem stand in den Gutachten, dass das Zentrum zu wenig interdisziplinär sei, die Diktaturdefinition wurde als eurozentristisch kritisiert. Die Studierenden wollten mit dem Publikmachen der Gutachten offenbar die Errichtung des Zentrums verhindern. Insgesamt gab es vier Gutachten, von denen zwei eher positiv und zwei eher negativ ausfielen. „Ich habe das scharf verurteilt“, sagt Metzler über diesen Vertrauensbruch. Das Vorgehen sei im Akademischen Senat ausführlich diskutiert worden, man wolle nun die Geschäftsordnung entsprechend anpassen.
Baberowski bezeichnete Studentinnen als „unfassbar dumm“
„Die Wissenschaftsfreiheit ist für mich das höchste Gut, für das ich immer eintreten werde“, sagt Metzler. Daneben gebe es aber auch die Meinungsfreiheit der Gremienvertreter. So argumentiert auch Jule Specht, Professorin für Psychologie an der HU. „Wissenschaftsfreiheit bedeutet nicht, dass alle Anträge widerspruchslos durchgewunken werden“, schreibt sie auf Twitter. „Es bedeutet übrigens auch nicht, dass man sich gegenüber anderen Mitgliedern der Humboldt-Universität beleidigend verhalten darf“, so die Professorin weiter. Sie bezieht sich hier auf einen Facebook-Post von Baberowski, in dem er studentische Mitglieder des akademischen Senats, die im „DLF“ Kritik an Baberowski und seinem Zentrum übten, als „linksextremistische Fanatiker“ und „unfassbar dumm“ bezeichnet.
„Ich finde es unerträglich, wie beleidigend sich Herr Baberowski den Studentinnen gegenüber äußert“, sagt Specht dem Tagesspiegel. Beide hätten in dem „DLF“-Beitrag zwar deutliche Kritik geübt, diese jedoch respektvoll ausgedrückt. „Ich würde mir wünschen, dass das verbal aggressive Verhalten Herrn Baberowskis von der Unileitung stärker thematisiert wird“, sagt Specht, die selbst Mitglied im Akademischen Senat ist.
Noch vor zwei Jahren hatte die HU ihren Professor gegen öffentliche Angriffe verteidigt. Im März 2017 hatte das Landgericht Köln entschieden, dass der Asta der Uni Bremen Baberowskis Positionen „rechtsradikal“ nennen darf. Die Äußerung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Gericht begründete dies mit einer Aussage Baberowskis, in der er die Integration von Geflüchteten als „Bedrohung für den sozialen Kitt, der unsere Gesellschaft einmal zusammengehalten hat“, bezeichnet hatte.
Die HU veröffentlichte daraufhin ein Solidaritätsschreiben, gezeichnet vom Präsidium und dem Dekanat der Philosophischen Fakultät. Dort hieß es, die HU stehe für „Freiheit und Toleranz auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und Anerkennung“. Das bedeute, konkurrierende Ansichten auszuhalten. Persönliche und mediale Angriffe auf Mitglieder der HU seien „inakzeptabel“.
Auf dem Campus warnte eine trotzkistische Gruppe vor Baberowski
Wie beurteilt Metzler also die jüngsten Aussagen Baberowskis auf Facebook? „Ich würde mir wünschen, dass Professoren dieser Uni öffentlich mit mehr Souveränität reagieren“, sagt Metzler. Die betroffenen Personen seien keine „linksextremen Fanatiker“, sondern engagierte Studentinnen mit eigener Meinung. Dass die Meinung der Studierenden nicht immer mit der eigenen übereinstimmt, gelte es auszuhalten. „Wir müssen doch konfliktfähig sein“, sagt Metzler. In einer pluralistischen Gesellschaft könne nicht immer nur eine Seite gewinnen.
Gleichzeitig gelte es, Baberowskis Geschichte mit linken Studierendengruppen zu berücksichtigen, so die Dekanin. Seit Jahren hat Baberowski Konflikte mit der Hochschulgruppe International Youth and Students for Social Equality. Die trotzkistische Splittergruppe bezichtigt Baberowski auf ihrer Seite der „Flüchtlingshetze“ und „Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus“ und geht auf dem Campus aktiv gegen ihn vor. So verteilte sie vor seinen Vorlesungen Flugblätter mit Warnhinweisen und soll Baberowski auch in seinem Privatleben verfolgt haben.
Metzler versteht daher, dass Baberowski empfindlich reagiert. Die Reaktion auf den „DLF“-Beitrag sei aber nicht angemessen gewesen. „Es führt zu nichts, auf der Ebene von persönlichen Beschimpfungen zu operieren.“ Das widerspreche auch dem Geist der Universität. Das Dekanat wolle nun einen Vermittlungsversuch starten, um die Situation zu deeskalieren. Dass Studierendenvertreter teilweise nicht zwischen Baberowskis politischen Einstellungen und seiner Forschungsarbeit differenzieren würden, sei ein Kategorienfehler. „Ich bin auch mit vielen seiner politischen Positionen nicht einverstanden, trotzdem unterstützte ich sein Vorhaben“, sagt die Dekanin.
Kritik an dem Zentrum kam nicht nur von Studierenden
In dem Solidaritätsschreiben der HU von 2017 steht auch, dass Jörg Baberowski ein „hervorragender Wissenschaftler“ sei, dessen Integrität „außer Zweifel“ stehe. Diesen Satz würde Metzler sofort wieder unterschreiben. „Baberowski ist einer der originellsten, klügsten Historiker, die wir haben“, sagt sie. Seine Thesen, die er in der Forschung vertritt, können durchaus streitbar sein. „Aber davon lebt die Wissenschaft.“
HU-Professorin Jule Specht betont, dass die Skepsis gegenüber dem Zentrum für Diktaturforschung keineswegs nur von Studierenden geteilt werde. Auch andere Mitglieder des Akademischen Senats, darunter Professoren, hätten inhaltliche Bedenken gehabt, wie sie in den Gutachten formuliert wurden. „Es gab sowohl von externen Fachkollegen als auch von anderen Personen an der HU offene Fragen, die nicht adäquat adressiert werden konnten“, sagt Specht. Aufgrund der fehlenden Interdisziplinarität sei es nie zur inhaltlichen Diskussion über das Zentrum gekommen. Es sei erstaunlich, dass Herr Baberowski das vorläufige Scheitern seines Zentrums aus formalen Gründen nun als Frage der Wissenschaftsfreiheit darstelle, sagt Specht. „Seine Erzählung wird in keinster Weise durch Fakten gestützt.“