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Studierende vor einem Gebäude der TU Chemnitz.
© picture alliance / dpa

Chemnitz: „Internationale Studierende sind Attacken ausgesetzt“

Der Studierendenrat der TU Chemnitz widerspricht dem Rektor. Auch Lehrende sehen internationale Gäste gefährdet – und fordern klarere Botschaften der Uni.

Ist die TU Chemnitz ein sicherer Ort für internationale Studierende? Der Student_innen-Rat (Stura) widerspricht dem Rektor der TU, Gerd Strohmeier, der dies versichert hatte. „Internationale Studierende sind in Chemnitz verbalen und körperlichen Attacken ausgesetzt“, sagt Stura-Sprecher Sebastian Cedel. „Das ist an der Uni jedermann bekannt. Wer das nicht kennt, verschließt die Augen.“

Rektor Strohmeier hatte sich im Interview mit dem Tagesspiegel auf eine Aussage von Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) berufen: Auch nach den rassistischen Ausschreitungen seien internationale Studierende an der TU Chemnitz ebenso wie an anderen sächsischen Hochschulen „gut aufgehoben“. Rektor Strohmeier erklärte, es sei ihm „kein einziger Fall bekannt, in dem es zu fremdenfeindlich oder rassistisch motivierten Gewalttaten gegen unsere Studierenden und Beschäftigten gekommen ist“.

Stura: Internationale Studierende wollen Rückreise verschieben

Angestarrt, angepöbelt und angespuckt zu werden, gehöre zum Alltag vieler nicht deutsch oder „alternativ aussehender“ Einwohner, sagt dagegen Cedel. Nach den Ausschreitungen vor drei Wochen wollten Studierende ihre Rückreise beispielsweise aus Indien verschieben, um die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Schon früher hätten es Gaststudenten vermieden, nachts allein durch die Stadt zu gehen. „Und wenn doch, dann nur in größeren Gruppen.“ Alltagsrassismus sei weit verbreitet. Einige indische Studierende hätten dem Stura berichtet, beim Bäcker harsch zum Deutschsprechen aufgefordert oder von Türstehern im Club abgewiesen zu werden, sagt Cedel.

Ähnliches schildern auch Lehrende der TU: Ein Teil der Studierenden habe „andere Erfahrungen gemacht als das, was die offizielle Version besagt“, heißt es. Zum alltäglichen Rassismus gehöre es etwa, dass Busfahrer dunkelhäutige Studierende an der Haltestelle ignorieren und vorbeifahren. Namentlich will sich allerdings niemand äußern, dazu fehle die Solidarität unter den Uniangehörigen. Andere aus der Professorenschaft versichern wie der Rektor, dass ihnen kein Fall von Rassismus gegen Studierende bekannt sei. Nachts alleine auf die Straße zu gehen, sei in Chemnitz nicht gefährlicher als in München, sagt einer.

Einem indischen Studenten wurde 2016 in den Kopf gestochen

Aktenkundig sind indes zwei Fälle von 2016: Einem indischen Studenten wurde nachts im Park von einem Deutschen in den Kopf gestochen. Drei marokkanische Studenten wurden nach dem Disco-Besuch mit ihrer deutschen Kommilitonin von einem Vermummten geschlagen und anschließend von einer Gruppe gejagt. Die vier Studierenden konnten sich in eine Polizeiwache retten. Der Täter des Messerangriffs wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Er war zur Tatzeit stark alkoholisiert, eine „rechte Gesinnung“ konnte ihm nach Medienberichten nicht nachgewiesen werden.

Der Stura-Vertreter spricht aber auch von Alltagsrassismus auf dem Campus. Mehrere internationale Studierende hätten „abwertende Kommentare“ von Professoren beklagt, fühlten sich in Prüfungen wegen ihrer Herkunft benachteiligt. Ein aus Ägypten stammender Student, den die „FAZ“ kürzlich auf dem Campus befragt hat, sah die TU dagegen als „geschützten Raum“. Wer Lehrende beschuldige, diskriminiert zu werden, schiebe womöglich eigene Fehler auf andere.

Gibt es Hochschulangehörige, die mit Rechtsradikalen sympathisieren? Rektor Strohmeier hatte eine entsprechende Interview-Frage mit einem klaren „Nein“ beantwortet. In zwei offenen Briefen an die Unileitung haben zwei Referate des Stura jetzt kritisiert, dass die Hochschule „Wissenschaftler_innen einen Raum (biete), die menschenverachtendes Gedankengut bagatellisieren“. Zwei Beispiele: Ein Psychologe sei mit „biologistischen Thesen“ – etwa zur Intelligenzentwicklung von Migrantenkindern, wie an an der Uni zu hören ist – aufgefallen. Ein Mitglied des Hochschulrats habe nach Trumps Wahlsieg „zur Disziplinierung“ der schwarzen US-Amerikaner aufgerufen. Lehrende, die wiederum namentlich nicht genannt werden wollen, bestätigen, dass solche „Einzelfälle“ bekannt seien.

"Ich bin Chemnitz": Imagefilm der TU

Die Haltung der Unileitung, den Vorbildcharakter der TU als internationalster Uni in Sachsen hervorzuheben, trifft auf großes Verständnis bei kritischen Studierenden und Lehrenden. Die vielen Aktivitäten auf dem Campus, mit denen internationale Studierende integriert werden, seien ebenso positiv wie der Imagefilm, den die TU nach den Ausschreitungen veröffentlichte. Darin stellen sich Uniangehörige aller Nationen in ihren Heimatsprachen vor und sagen dann auf Deutsch „Ich bin Chemnitz“. Ehrlicher wäre es aber, heißt es an der TU, als Uni zu sagen: „Ja, unsere Studierenden sind in der Stadt Rassismus ausgesetzt, aber wir tun etwas dagegen.“

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