Ausschreitungen in Chemnitz: „Ein anderes Bild unserer Stadt zeigen“
Gerd Strohmeier, der Rektor der TU Chemnitz, über die Ausschreitungen und was sie für die Uni bedeuten.
Herr Strohmeier, wie nehmen Sie die Lage wahr?
Wir sind angesichts der Ereignisse der vergangenen Woche stark erschüttert und tief betroffen. Der gewaltsame Tod des jungen Mannes am 26. August und die darauffolgenden, durch nichts zu rechtfertigenden fremdenfeindlichen und rassistischen Übergriffe, Ausschreitungen und Randale in unserer Stadt haben uns tief bestürzt.
Befürchten Sie, dass Studierende oder Wissenschaftler der TU gefährdet sind, wenn sie aus Sicht der Angreifer nicht deutsch aussehen?
Die Übergriffe und Ausschreitungen in der jüngsten Vergangenheit dürfen nicht einmal ansatzweise heruntergespielt werden. Im Gegenteil: Sie müssen sehr ernst genommen werden und intensiv aufgearbeitet werden. Sie müssen aber auch ein Stück weit in eine angemessene Proportion gesetzt werden. Es ist uns bisher kein einziger Fall bekannt, in dem es zu fremdenfeindlich oder rassistisch motivierten Gewalttaten gegen unsere Studierenden und Beschäftigten gekommen ist. Auch die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, hat ja gerade im Tagesspiegel deutlich gemacht, dass sich ausländische Gäste in Sicherheit bewegen können und an der TU Chemnitz gut aufgehoben sind.
Der DAAD oder das Erasmus-Programm können also auch weiterhin guten Gewissens Studierende und Wissenschaftler nach Chemnitz schicken?
Ja. Die Ereignisse in Chemnitz, die die TU Chemnitz auf das Schärfste verurteilt, sind alarmierend und dürfen nicht ansatzweise verharmlost werden. Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass diese Ereignisse und das dadurch entstandene Bild nicht repräsentativ für das alltägliche Leben in Chemnitz sind. Es ist uns eben auch, wie bereits erwähnt, bisher kein einziger Fall bekannt, in dem es zu fremdenfeindlich oder rassistisch motivierten Gewalttaten gegen unsere Studierenden und Beschäftigten gekommen ist.
Wissen Sie von Studierenden oder anderen Uni-Angehörigen, die mit den Rechtsradikalen sympathisieren?
Nein.
Befürchten Sie, dass Studierende oder Wissenschaftler aus dem Ausland die Uni zukünftig meiden werden? Auch Studierende aus westlichen Bundesländern könnten abgeschreckt werden?
Welche Auswirkungen die Ereignisse der vergangenen Woche haben werden, können wir zum aktuellen Zeitpunkt natürlich nicht abschätzen. Wir versuchen auf jeden Fall, deutlich zu machen, dass sie nicht repräsentativ sind für das alltägliche Leben in Chemnitz. Mit der Imagekampagne „Wir sind Chemnitz“ zeigen wir ein anderes Bild unserer Stadt als das, welches in jüngster Zeit durch die Welt ging. Damit knüpfen wir an die übergreifende Aktion „Chemnitz ist weder grau noch braun“ engagierter Chemnitzer und Chemnitzerinnen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft an.
Die TU hat mit 25 Prozent einen hohen Anteil ausländischer Studierender. Was hat die Internationalisierung gefördert?
Wissenschaft ist ohne Internationalisierung schlichtweg undenkbar. Unsere Universität fühlt sich dem Thema Internationalisierung ganz besonders verpflichtet. So hat sie unter anderem am Audit „Internationalisierung der Hochschulen“ der Hochschulrektorenkonferenz teilgenommen, diverse internationale Kooperationen aufgebaut und englischsprachige Studiengänge eingeführt. Wissenschaft kennt keine Grenzen. So gibt es an der TU Chemnitz über 3000 internationale Studierende und Beschäftigte aus mehr als 90 Nationen, die maßgeblich zum Erfolg unserer Universität, der Stadt und der sie umgebenden Region beitragen.
Studieren bei Ihnen auch Flüchtlinge?
Ja. Wir werden dabei vom Deutschen Akademischen Austauschdienst unterstützt, um beim Einstieg in das Studium zu helfen. Allerdings können wir keine genaue Zahl nennen, da diese in der Einschreibestatistik nicht erfasst ist.
Was kann die TU Chemnitz gegen die aggressive Stimmung machen?
Die TU Chemnitz ist sich ihrer regionalen Verantwortung bewusst und wird die von ihr gelebten Grundsätze der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Weltoffenheit weiterhin selbstbewusst nach außen tragen. Dabei ist uns der Schulterschluss mit der Stadt und der Region sehr wichtig. Selbstverständlich wird es nach unserem Offenen Brief und unserer Imagekampagne noch weitere Impulse geben, die von der TU Chemnitz ausgehen. Dabei werden wir auch unsere wissenschaftliche Expertise einbringen, um die Ereignisse der vergangenen Woche aufzuarbeiten.
Auch die Unis in Cottbus und in Dresden müssen sich mit Rechtsextremismus in der Stadt auseinandersetzen. Werden Sie sich mit den beiden Unis jetzt über etwaige Gegenmaßnahmen austauschen?
Rechtsextremismus ist ein Phänomen, das nicht regional begrenzt ist. Rechtsextremismus gibt es keineswegs nur in den genannten Städten, sondern bundesweit, und wie wir wissen, auch weit darüber hinaus, wenngleich natürlich in unterschiedlichen Ausmaßen und Ausprägungen. Folglich ist der Rechtsextremismus ein Problem, mit dem man sich übergreifend auseinandersetzen muss. Dabei ist uns der Austausch mit anderen Hochschulen, ob regional, national oder international, natürlich wichtig.
Die Fragen stellte Anja Kühne. Der Rektor wollte das Interview schriftlich führen.