Bertelsmann-Studie: In Krippen und Kitas gibt es zu wenige Erzieherinnen
Gerade für die kleinsten Kinder gibt es in Kitas nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher. 120 000 mehr werden in Deutschland laut einer Bertelsmann-Studie gebraucht. Berlin schneidet in einigen Bereichen der frühkindlichen Bildung überdurchschnittlich gut ab.
Über frühkindliche Bildung und Betreuung wurde in den letzten Jahren viel gestritten. Dabei sind sich Forscher aus Pädagogik und Entwicklungspsychologie in entscheidenden Punkten längst einig. Mit am wichtigsten: Der Betreuungsschlüssel muss stimmen, wenn es den ganz Kleinen in der Kita gut gehen soll. Die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert von der Universität Wien hat durch empirische Studien belegen können, dass Kinder unter drei Jahren sich deutlich besser entwickeln, wenn sie in kleinen Gruppen und von Erzieherinnen betreut werden, die zeitnah auf ihre Bedürfnisse reagieren können. So empfiehlt inzwischen eine Reihe internationaler Kommissionen, unter ihnen das Europäische Netzwerk für öffentliche Betreuung, dass Kleinkinder in einer Krippe, einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter sich zu dritt, höchstens zu viert eine erwachsene Bezugsperson „teilen“ sollten.
Im Osten betreut eine Erzieherin mehr als sechs Kinder - empfohlen sind drei
Die Wirklichkeit sieht nicht überall ganz so rosig aus, wie am Freitagmorgen veröffentlichten Zahlen der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2013 zeigen. Zwar teilen sich in den Einrichtungen der alten Bundesländer im Schnitt 3,8 Kinder unter drei Jahren eine Erzieherin. Doch in ostdeutschen Kitas und Krippen muss sich eine Erzieherin um 6,3 Kinder kümmern. Einzig in Bremen und Baden-Württemberg ist der Personalschlüssel mit eins zu 3,2 beziehungsweise eins zu 3,3 einigermaßen zufriedenstellend. In Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt ist das Verhältnis am ungünstigsten. Zieht man die Zeit ab, die Erzieherinnen und Erzieher für Aufgaben wie Elterngespräche, Teamsitzungen und Fortbildungen brauchen, dann sieht der reale Betreuungsschlüssel überall noch einmal etwas schlechter aus.
Die Zahlen, die die Bertelsmann-Stiftung in jedem Jahr veröffentlicht, errechnet ein Forschungsverbund der Technischen Universität Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München auf der Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes und aus der Kinder- und Jugendhilfe-Statistik. Dazu kommen Befragungen der zuständigen Ministerien durch die Stiftung selbst, die sich seit Jahren intensiv mit dem Thema frühkindliche Bildung und Betreuung befasst.
Was die etwas älteren Kinder zwischen drei und sechs Jahren betrifft, so empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung einen Personalschlüssel von höchstens eins zu 7,5. Tatsächlich liegt er für dieses klassische Kindergartenalter derzeit in den alten Bundesländern bei eins zu 9,1, in den neuen bei eins zu 12,7.
Fünf Milliarden Euro im Jahr wären für genügend Erzieherinnen nötig
Nach Berechnungen der Stiftung würden in Deutschland 120 000 Erzieherinnen und Erzieher mehr gebraucht, um Wunsch und Wirklichkeit in Sachen Betreuungsschlüssel zur Deckung zu bringen. Das würde in jedem Jahr rund fünf Milliarden Euro mehr kosten: Ein Anstieg der Personalkosten um rund ein Drittel. „Eine gewaltige Kraftanstrengung, die sich aber lohnt, weil die Kita-Qualität entscheidend ist für gutes Aufwachsen und faire Bildungschancen aller Kinder“, erklärt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Ohne finanzielle Anstrengungen des Bundes sei diese Aufgabe von vielen Bundesländern und Kommunen allerdings nicht zu stemmen. Die Stiftung spricht sich dafür aus, in einem Bundes-Kita-Gesetz festzulegen, für welchen bundesweit einheitlichen Standard der Bund welche Unterstützung leistet.
Für die über 2000 Kindertageseinrichtungen der Hauptstadt, deren Zahlen aufgrund der West-Ost-Geschichte besonders interessant wären, gibt es keine Statistik zum Personalschlüssel in den Kitas, da hier die Zugehörigkeit der Kinder zu festen Gruppen innerhalb der Einrichtungen nicht erfasst wird. Nach Auskunft der Stiftung soll sich das aber in absehbarer Zeit ändern.
Dafür sind deren Ländermonitor aber andere Fakten zur Situation in Berlin zu entnehmen: So tätigt das Land Berlin mit 4645 Euro pro Kind unter sechs Jahren die bundesweit höchsten Nettoausgaben (Bundesdurchschnitt: 3514 Euro). 77 Prozent der Zweijährigen besuchen hier eine Kindertageseinrichtung, das sind mehr als im Bundesdurchschnitt (51,1 Prozent), aber weniger als in den neuen Ländern (82,5 Prozent). Knapp vierzig Prozent der insgesamt 98 118 Jung-Berliner unter drei Jahren hatten im Jahr 2012 einen Migrationshintergrund. Von ihnen nutzten nur 27 Prozent das - seit August 2013 gesetzlich verbriefte - Recht auf einen Kitaplatz.
In Berlin ist das Kita-Personal überdurchschnittlich qualifiziert
Das pädagogische Personal in den Kitas der Hauptstadt ist mit 80 Prozent Fachschulabsolventen und 5,4 Prozent Mitarbeitern mit Hochschulabschluss überdurchschnittlich hoch qualifiziert. Etwas mehr als die Hälfte der Kita-Pädagogen arbeiten heute in der Hauptstadt in Teilzeit. Aus den anderen Bundesländern kommen ähnliche Zahlen. Theoretisch gibt es in dem „typischen Frauenberuf“ Erzieherin also eine stille Reserve an Arbeitsstunden, mit der die gewaltige Betreuungslücke zumindest teilweise geschlossen werden könnte.
Und es gibt andere Ideen dafür. Im Juni 2012 hat sich auf Initiative des Bundesfamilienministeriums im Rahmen des Zehn-Punkte-Programms für einen bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit dem Thema Fachkräftegewinnung für die Kindertagesbetreuung beschäftigt. Inzwischen haben die Experten, unter ihnen Bund, Länder, Verbände und andere Organisationen, in einem umfangreichen Papier ein ganzes Bündel von Strategien und konkreten kurzfristigen Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen dem Mangel zumindest teilweise abgeholfen werden kann. Sie reichen von Bemühungen, aus dem Beruf ausgestiegene Fachkräfte für die Arbeit in den Kitas zurückzugewinnen, über Anerkennungen von Ausbildungen aus dem Ausland, die Höherqualifizierung von Kinderpflegerinnen und Sozialassistenten bis hin zu berufsbegleitenden Teilzeitausbildungen für Quereinsteiger und zu Anstrengungen, die Attraktivität des Berufs zu erhöhen. Nicht zuletzt könnte dazu eine bessere Bezahlung beitragen.
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