Frühkindliche Erziehung: Kluges Kind - dank Kita
Schon die Kleinsten profitieren, wenn sie die richtige Betreuung außer Haus bekommen.
Tut es einem kleinen Kind gut, wenn ein Elternteil in den ersten drei Lebensjahren ganz mit dem Job aussetzt und mit ihm zu Hause bleibt? Oder nützen ihm umgekehrt die Bildungsimpulse, die es schon in den ersten Lebensjahren in einer Kita bekommen kann? Vor allem in Deutschland ist das immer noch ein hoch emotionales Thema. Allerdings eines, zu dessen Versachlichung inzwischen Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen etwas beizutragen haben. Wirtschaftswissenschaftler gehen das brisante Thema besonders nüchtern an: Sie schauen darauf, was das eine oder andere frühkindliche Betreuungsmodell für den späteren beruflichen Erfolg bedeutet.
Vor kurzem hat eine solche Studie Schlagzeilen gemacht: Die Ökonomen Christian Dustmann und Uta Schönberg, beide Fellows am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und am University College in London tätig, haben herausgefunden, dass eine gesetzlich garantierte längere Elternzeit ohne nennenswerten Einfluss auf die schulische Karriere und die späteren Verdienstchancen der Kinder bleibt. Die Forscher nutzten Daten aus drei Bundesländern, um in einer Langzeitstudie die schulische Entwicklung von Heranwachsenden zu vergleichen, die kurz vor oder kurz nach dem Inkrafttreten einer neuen Regelung geboren wurden.
Erstmals wurde der bezahlte Mutterschaftsurlaub 1979 auf Wunsch von zwei auf sechs Monate verlängert. 1986 kam der „Erziehungsurlaub“ auf – mit relativ niedrigem Erziehungsgeld. Im Jahr 1992 wurde schließlich die Möglichkeit geschaffen, den „Erziehungsurlaub“ unbezahlt auf drei Jahre zu verlängern.
Dustmann vermutete zunächst, vor allem die Reform von 1992 ebne mehr Kindern den Weg ins Gymnasium – hatte er doch 2004 in einer Studie eine klare Beziehung zwischen dem Zuhausebleiben von jungen Müttern in den ersten drei Lebensjahren und dem späteren Schulerfolg der Kinder gefunden. Damals hatte er Daten aus dem sozio-ökonomischen Panel (SOEP) ausgewertet, einer repräsentativen Wiederholungsbefragung bundesdeutscher Haushalte. Nun lautet sein Fazit jedoch: „Unsere neuen Auswertungen stützen die Hypothese nicht, dass die Langzeitschulerfolge und der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt durch längere Elternzeit gefördert werden.“
Weder haben mehr Angehörige des Jahrgangs 1986 Abitur gemacht als die vom Jahrgang 1985, noch sind für die Zukunft statistisch größere Einkommensvorteile beim Jahrgang 1979 gegenüber dem Jahrgang 1978 zu erwarten. Und von den Youngsters der Untersuchung, denen vom Jahrgang 1992, deren Erziehungsberechtigte drei Jahre im Job pausieren durften, gehen heute nur 0,1 Prozent mehr auf ein Gymnasium. „Unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Erfolgschancen von Kindern spricht wenig dafür, eine weitere Ausdehnung der Elternzeit anzustreben“, folgert Dustmann.
Das allerdings steht in Deutschland ohnehin derzeit nicht zur Debatte. Mit der neuen, einkommensabhängig bezahlten 12- bis 14-monatigen Elternzeit und dem Ausbau der Tagesbetreuung für unter Dreijährige ist die Regierung einen anderen Weg gegangen. Ein Weg, für den eine andere wirtschaftswissenschaftliche Studie spricht, für die ebenfalls SOEP-Daten ausgewertet wurden. Charlotte Büchner und Katharina Spiess kamen im letzten Jahr zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, mit 14 Jahren eine Hauptschule zu besuchen, mit zunehmender Dauer vorschulischer Betreuungs- und Bildungserfahrungen abnimmt. Das zeigt auch eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung, für die sich Wissenschaftler anhand der SOEP-Daten Schulkarrieren von Nachwendekindern der Geburtsjahrgänge 1990 bis 1995 angeschaut haben. Das Ergebnis: Wer schon als Kleinkind zeitweise in einer Kita betreut wurde, besucht heute mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium als die Altersgenossen, die ganztägig privat betreut wurden, bis sie mit drei Jahren oder später in eine Kita kamen. Während generell 36 Prozent eines Jahrgangs aufs Gymnasium wechselten, waren es bei den Krippenkindern 50 Prozent.
Dafür, dass eine Ausdehnung der (unbezahlten) Elternzeit keine so positive Auswirkung auf den Bildungsverlauf der Kinder zeigte wie deren früher Kitabesuch, lassen sich nach Ansicht von Anette Stein, Managerin des Programms „Wirksamere Investitionen in ganzheitliche Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung, verschiedene Gründe anführen. Aus den Studienergebnissen werde immer deutlicher, dass das verfügbare Familieneinkommen „ein entscheidender Hebel für die Bildungsverläufe der Kinder“ sei. In dieser Hinsicht nützt es dem Nachwuchs, wenn er so zuverlässig betreut wird, dass beide Eltern erwerbstätig sein können. Mindestens ebenso wichtig sei aber, dass Kleinkinder ab dem zweiten Lebensjahr im Umgang mit anderen Kindern mehr lernen können. „In den Kleinfamilien ist dieses Ausmaß an Anregungen meist nicht zu bieten.“
Vertrautes Zusammensein in der Familie und Gruppenleben in der Kita ergänzen sich im besten Fall sinnvoll. Dass es hier kein „Entweder-Oder“ gibt, hat die Kölner Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert gezeigt: Mütter von Kitakindern widmen sich in der gemeinsamen Zeit ihren Kindern deutlich intensiver als Mütter, denen dafür der ganze Tag zur Verfügung steht. In der Bilanz springt gleich viel elterliche Aufmerksamkeit für die Kinder heraus. Dass die Einfühlsamkeit der Eltern und die Qualität der Beziehung zwischen ihnen und ihrem Kind der wichtigste prognostische Faktor für die Entwicklung der kindlichen Psyche ist – ob es nun in eine Kita geht oder nicht –, konnte die große amerikanische NICHD-Studie vom National Institute of Child Health and Development beweisen.
Auch wenn die Bindung zu den Eltern unter der „Fremdbetreuung“ also nicht leidet: Je jünger das Kind ist, umso wichtiger ist der Betreuungsschlüssel in der Einrichtung. „Wir müssen sehr aufpassen, dass sich durch den schnellen Ausbau des Angebots die Qualität nicht verringert“, sagt Anette Stein. Trotz dieser Sorge erkennt sie einen Mentalitätswandel in der Kitafrage: „Es rückt immer mehr ins allgemeine Bewusstsein, dass auch kleine Kinder in einer Krippe nicht nur betreut, sondern auch gebildet werden.“ Nun seien kompetente Erzieherinnen und eine ausreichende Unterstützung von Kitas nötig – um das Bildungsprogramm der frühen Jahre wirkungsvoll zu gestalten.
Adelheid Müller-Lissner
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