Noteninflation: Immer bessere Abiturnoten beeinflussen Notengebung an Unis
Forscher sehen Parallelen beim Aufwärtstrend von Schule und Hochschule und fordern Gegenmaßnahmen
Die Abiturnoten sind in den vergangenen zehn Jahren besser geworden, das ist bekannt und lässt sich aus der Statistik der Kultusministerkonferenz ablesen. So hatten die Abiturientinnen und Abiturienten in Berlin im Jahr 2006 noch einen Schnitt von 2,7. Inzwischen liegen sie seit Jahren bei 2,4. In Nordrhein-Westfalen lag der Schnitt früher ebenfalls bei 2,7. Nun liegt er bei 2,5. Bayern arbeitete sich von einer 2,4 auf eine 2,3 nach vorn. In den anderen Bundesländern ist der Trend ähnlich.
Wie die Entwicklung in den Jahrzehnten davor verlief, lässt sich aus der Notenstatistik der KMK aber nicht ersehen, warnen deren Statistiker. Schließlich flössen seit dem Jahr 2006 auch die Noten der Berufsschüler ein. Ein Vergleich mit früheren Jahren sei darum „nicht sinnvoll“.
Diese Statistiklücke versuchen nun zwei Bildungsforscher zu schließen. Gerd Grözinger, Professor für Sozial- und Bildungsökonomik an der Europa- Universität Flensburg, und Florence Baillet, Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, haben die Abiturnoten in der Bundesrepublik in den Jahren von 1972 bis 2008 untersucht und dabei Daten aus dem „Konstanzer Studierendensurvey“ verwendet, wie sie in der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ berichten. Sie stellen zwar ein Auf und Ab bei den Abinoten fest. Doch der Trend zeige über die Jahrzehnte klar: „An den Hochschulen kommen Studierende mit immer besseren Noten an.“
Der um sich greifende Numerus clausus kann das Phänomen bestenfalls teilweise erklären
Demografische Ursachen scheiden nach Ansicht der Forscher aus. Die Kurven von Frauen und Männern, Fachhochschulabsolventen und Gymnasiasten sowie von Akademiker- und Nicht-Akademiker-Kindern verlaufen in die gleiche Richtung: Die Noten, mit denen die Studierenden laut der Konstanzer Befragung an die Hochschule kamen, verbessern sich im Zeitverlauf. Könnte es also sein, dass die Hochschulen wegen eines sich ausbreitenden Numerus clausus zunehmend Studierende mit besseren Noten aufgenommen haben? Für einen großen Überblick fehlen Daten. Doch die Forscher betrachten hilfsweise die Zugangsnoten im stark zulassungsbeschränkten Medizinstudium und vergleichen sie mit denen in technik- und naturwissenschaftlichen Fächern, die meist keine oder niedrige NCs aufweisen. Demnach werden die Noten der Medizinstudierenden nach dem Jahr 2000 deutlich besser, während die der anderen Studierenden auf einem ähnlichen Niveau bleiben. Der NC könne also eine Ursache für die besseren Abiturnoten der Studierenden sein. Aber vollends erkläre er sie nicht.
"Studierende kommen mit einer Erwartungshaltung an die Hochschulen"
Infrage kämen eher Veränderungen in der Abiturprüfung, etwa die zugestandene Wahlfreiheit, die Fächerkombination aber auch „der Wechsel in der Altersstruktur der Lehrer und damit vielleicht von Bewertungsstandards“ sowie vor allem Veränderungen in der Schüler-Lehrer-Relation, mit der die Forscher die zeitweilige Verschlechterung des bundesweiten Abischnitts um die Jahrtausendwende erklären.
Die besser werdenden Abinoten beeinflussen auch die Noten an den Hochschulen, meinen die Forscher: „Studierende kommen mit einer gewissen Erwartungshaltung von angemessener Benotung an die Hochschulen.“ Wenn an der Schule eine Zwei „der neue Durchschnitt ist, wird schon eine hochschulische 2,3 zum Problem“. Außerdem seien die Erfahrungen der Prüfenden selbst zunehmend von guten Schulnoten geprägt. Nicht zuletzt würden diese jüngeren Hochschullehrerinnen und -lehrer bei ihren eigenen Kindern sehen, „was heute als schulischer Durchschnitt gilt“.
Dass die besser werdenden Abiturnoten sich auf die Notengebung an den Hochschulen auswirkt, belegen die Forscher mit einem Blick auf die Zwischennoten der im Konstanzer Survey Befragten. Sie kommen zu dem Ergebnis: „Trend und Umfang der Bewegung sind sehr ähnlich.“ Wie beim Abitur werden die Zwischennoten an den Hochschulen immer besser. „Prüfer(innen) sollten sich dessen in Zukunft bewusst sein und Hochschulen über Gegenmaßnahmen nachdenken“, meinen Gerd Grözinger und Florence Baillet.