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Ein paar falsche Genbausteine im Erbgut (blau) einer Zelle, können das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, erheblich steigern. Per Gentests lassen sich diese Mutationen nachweisen, doch damit ist längst nicht klar, was dann zu tun ist.
© picture alliance / dpa

Umgang mit Gentests: Ich habe das Brustkrebsgen – und nun?

Bist du gesund oder nur noch nicht krank? Ärzte tun sich schwer, die Langzeitrisiken von Gendefekten zu erklären.

Wenn Patientinnen wie Claudia Walter* in die Sprechstunde von Patricia Steiner kommen, bringen sie viele Sorgen mit. Eine Tante war an Brust- und Eierstockkrebs erkrankt und die 38-Jährige wollte nun wissen, ob sie ein Gen geerbt hat, das die Wahrscheinlichkeit zur Bildung eines Tumors erhöht. Eine Frage, die nicht nur für eine optimale Vorsorge und Behandlung entscheidend ist, sondern auch für die weitere Lebensplanung.

„Viele Patienten überschätzen das Risiko“, sagt Steiner. Die Psychoonkologin berät an der Medizinischen Hochschule Hannover Patienten, bei denen aufgrund einer eigenen Tumorerkrankung oder aufgrund von Krebsfällen in der Familie abgeklärt werden soll, ob eine Veränderung im Erbgut vorliegt. „Erblicher Krebs ist seltener, als die Patienten denken.“ Nur fünf bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen lassen sich auf eine erbliche Veranlagung zurückführen. Doch Patienten mit erkrankten Familienangehörigen empfinden das Risiko als viel höher. Deshalb seien offene und erklärende Gespräche zwischen Arzt und Patient sehr wichtig. Wie, das wurde kürzlich auf einer Tagung im Zentrum für Gesundheitsethik in Hannover diskutiert.

Gene sind wie ICEs

Um genetische Erkrankungen möglichst anschaulich zu erklären, vergleicht die Ärztin Gene gerne mit der Welt der Eisenbahn. „Das Gen ist wie ein ICE – vorneweg kommt eine Steuereinheit“, sagt Steiner. „Der Kontrolleur schaut, welcher Passagier auf welcher Position sitzt. An manchen sitzt ein falscher Passagier, eine Mutation.“ Genmutationen, die im Laufe des Lebens spontan auftreten, werden von den körpereigenen Kontrollmechanismen meist erkannt und entschärft. Doch Mutationen, die von den Eltern weitergegeben werden, können nicht korrigiert werden. Zusammen mit den spontanen Mutationen können sie so zur Krebsentstehung beitragen.

Bei Claudia Walter wurden Veränderungen in den Genen BRCA1 und BRCA2 gefunden. Nicht mutiert verhindern diese Gene die Bildung von krebsartigen Wucherungen. Doch ist eines dieser Gene mutiert, dann ist das Risiko, Brust- und auch Eierstockkrebs zu entwickeln, deutlich erhöht. Im Fall von BRCA2-Mutationen erkranken statistisch fünf oder sechs von zehn Frauen, bei bestimmten BRCA1-Veränderungen sind es mitunter acht von zehn Frauen, die im Verlauf ihres Lebens Brustkrebs entwickeln. Frauen mit diesen Genveränderungen wird deshalb ein besonders intensives Früherkennungsprogramm empfohlen.

Operation oder nicht?

Da bösartige Tumore auf diesem Weg jedoch nicht immer frühzeitig entdeckt werden können, bleibt auch die Möglichkeit, dass Patientinnen sich die Brustdrüsen entfernen lassen. Zu diesem einschneidenden Schritt hatte sich die Schauspielerin Angelina Jolie entschlossen, wie sie im Mai letzten Jahres bekannt gab – sie hatte die veränderten Gene von ihrer Mutter geerbt. Das prominente Vorbild führte zum „Jolie-Effekt“: Während zuvor nur fünf Prozent der Patientinnen mit erblichem Brustkrebs eine präventive Operation in Betracht zogen, waren es nach Jolies „Coming-out“ 40 Prozent, wie eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums ergab.

„Dasselbe Diagnoseergebnis kann für unterschiedliche Menschen aber ganz unterschiedliche Bedeutungen haben“, sagt Kathrin Pötschick, Fachärztin für Humangenetik aus Berlin. „Worte sollten durchaus auf die Goldwaage gelegt werden.“ Um herauszufinden, welche Vorstellungen und Erfahrungen die Patienten haben, lässt sie sich von ihnen zu Beginn des Gesprächs schildern, was ihr persönliches Anliegen ist. „Da gibt es oft eine große Abweichung zur Intention des Überweisungsscheins“, sagt Pötschick.

4 von 5 Frauen mit Mutationen im BRCA1-Gen entwickeln Brustkrebs

Die Aufgabe der genetischen Beratung ist es, die Patienten darauf vorzubereiten, sich für eine von verschiedenen Optionen zu entscheiden. „Dies ist zum Großteil damit verbunden, wie kommuniziert wird“, sagt die Genetikerin. Um ihren Patienten eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, versucht sie, sich auf ihre Lebenswelt einzulassen und ihnen möglichst anschaulich den Nutzen sowie die Risiken der verschiedenen Möglichkeiten zu erklären. „Dabei male ich sehr viel – Patienten nehmen die Informationen visuell oft besser auf.“ Außerdem habe es sich bewährt, Risiken nicht als Wahrscheinlichkeiten, sondern in Form von Häufigkeiten anzugeben. So kann man auch verständlicher davon sprechen, dass vier von fünf Frauen mit Mutationen im BRCA1-Gen einen Tumor entwickeln – statt von einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent.

Allgemeinverständliche Faktenboxen

Diese Konzepte zur verbesserten Kommunikation werden auch am Berliner Harding-Zentrum für Risikokompetenz untersucht. In Faktenboxen werden Informationen für Patienten allgemeinverständlich zusammengestellt. Ein kritischer Blick auf das Mammografie-Screening, welches in Deutschland als Kassenleistung für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren angeboten wird, zeigt, dass es nicht unbedingt nur mit Vorteilen verbunden ist: In der Gruppe von Frauen, die regelmäßig untersucht wurden, starben im Durchschnitt vier von tausend an Brustkrebs, während ohne Screening fünf von tausend starben. Doch wenn auch andere Tumorarten betrachtet werden, starben in beiden Gruppen je 21 von tausend Frauen innerhalb von zehn Jahren an Krebs. Das Screening verbesserte also nicht die allgemeine Krebssterblichkeit. Gleichzeitig wurden hundert von tausend Frauen nach dem Screening aufgrund eines Befundes alarmiert, der sich später als falsch oder unproblematisch herausstellte. Bei fünf von tausend dieser Patientinnen wurde sogar eine unnötige Behandlung durchgeführt – wie beispielsweise eine Operation.

Roman Prinz, Forscher am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, sieht es kritisch, wenn beispielsweise in Aufklärungsbroschüren behauptet wird, dass durch eine regelmäßige Mammografie das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, um 20 Prozent reduziert wird. Anders als die meisten Patienten vermuten, bezieht sich die Angabe dieses relativen Risikos nämlich nicht auf alle Personen, die untersucht werden, sondern nur auf jene, die später einen Tumor entwickeln. Stattdessen solle das absolute Risiko kommuniziert werden – dass also die Mammografie bei tausend Patientinnen ungefähr einen Brustkrebs-Todesfall verhindern kann. „Laut einer Studie erlaubt die Angabe von solchen absoluten Häufigkeiten sogar zehnjährigen Kindern, Risiken korrekt abzuschätzen“, sagt Prinz.

Risikokommunikation im Medizinstudium

Der Forscher fordert, dass die Risikokommunikation verpflichtend ins Medizinstudium aufgenommen werden solle. Und auch in der medizinischen Forschung müsse sich einiges ändern, da in wissenschaftlichen Studien fast immer relative Risiken angegeben werden, um mit großen Zahlen die Vorteile von Behandlungen zu betonen.

Die meisten Patienten können all die Informationen in der ersten Beratung ohnehin nur bedingt aufnehmen, da sie in der Regel psychisch stark belastet sind, so Patricia Steiner. Ein zweites Gespräch sei hier oft hilfreich. Ihr ginge es dann darum, Druck rauszunehmen – und den Patienten Raum für Hoffnung zu geben.

(*=Name geändert)

Hinnerk Feldwisch-Dentrup

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