Angelina Jolie und der Krebs: Das Schicksal in den Genen
Angelina Jolies Mut, ihre Geschichte öffentlich zu machen, verdient Bewunderung, meint Hartmut Wewetzer: Denn er macht auf das Problem der genetischen Wurzeln von Brustkrebs aufmerksam.
Ein Webfehler im Erbgut hat Angelina Jolies Mutter umgebracht. Sie starb mit 56 Jahren an Brustkrebs, ausgelöst durch eine angeborene genetische Veränderung, das Brustkrebsgen BRCA1. Offen, klar und schonungslos schreibt Angelina Jolie in der „New York Times“, was diese biologische Hypothek für sie bedeutete und welche Konsequenzen sie zog. Ihr Entschluss, sich die Brüste vorsorglich amputieren zu lassen, wird hierzulande vielleicht als übertrieben, ja brutal wahrgenommen werden. Aber sie kommt damit dem Krebs zuvor, dem ihre Mutter erlag.
Jolies Mut, ihre Geschichte öffentlich zu machen, verdient Bewunderung. Und das auch deshalb, weil sie auf das Problem der genetischen Wurzeln von Brustkrebs aufmerksam gemacht hat. Gut möglich, dass ihr Appell an möglicherweise betroffene Frauen, sich auf das Brustkrebsgen testen zu lassen, tatsächlich Leben retten wird.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Trägerin des BRCA1-Gens im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt, liegt bei rund 90 Prozent. Damit ist diese Erbanlage ein beeindruckendes Beispiel dafür, was das Genom über Gesundheitsrisiken aussagen kann. Schon heute zeichnet sich ab, dass es zu einer wesentlichen Quelle medizinischer Information werden wird. In wenigen Jahren wird es vermutlich möglich sein, das komplette Erbgut für 1000 Euro zu entziffern und als Datei mit nach zu Hause zu nehmen.
Die Erbinformation, das sind rund drei Milliarden biochemische Buchstaben in Form von DNS, genau genommen sogar sechs Milliarden, denn in jeder Körperzelle findet sich ein doppelter Satz. Ein gewaltiger Datenwust, in dem, so die Hoffnung, der Schlüssel zu körperlichen Stärken und Schwächen verborgen liegt. Und damit die Möglichkeit, bestimmten Krankheiten mit Vorbeugung oder früher Therapie ein Schnippchen zu schlagen – wie etwa dem vererbten Brustkrebs.
Bisher allerdings hat die Fahndung wenig wirklich Ergiebiges zutage gefördert. Gerade bei Volkskrankheiten wie Krebs, Herzleiden und Demenz erweist sich das Genom als Buch mit sieben Siegeln, das Brustkrebsgen mit seiner eindeutigen Botschaft ist da eher die Ausnahme. Der Mensch ist kein Modell, das nach einem genetischen Plan Bauteil für Bauteil zusammengesetzt wird, sondern ein Wesen, das Gene wie Umwelt gestalten. Und, nicht zu vergessen, er selbst. So wie Angelina Jolie, die einem vererbten Verhängnis den Kampf ansagt.
Trotzdem wird das Wissen um das Genom und seine Folgen rasch größer werden. Die Frage ist, ob wir ihm gewachsen sind. Vermutlich wird das meiste, was wir aus ihm erfahren werden, in der Sprache der Statistik verfasst sein. Etwa: Sie haben eine 20-prozentige Wahrscheinlichkeit, jenseits der 70 an Alzheimer zu erkranken. Oder: Wenn Sie starker Raucher sind, liegt Ihre Herzinfarktgefahr bei 80 Prozent. Willkommen in der Moderne, in der man es statt mit absoluten Wahrheiten mit Wahrscheinlichkeiten zu tun hat, sei es in der Medizin, der Klimaforschung oder auf den Finanzmärkten. Willkommen in der Welt der Risiken – aber auch der Möglichkeiten. Denn das Wissen kann helfen, Problemen vorzubeugen.
Um in dieser Welt zu bestehen, hilft es, sich ein gewisses Handwerkszeug zuzulegen. Risikokompetenz nennt das der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer. Dem allzu menschlichen Hang, in allem, was die Zukunft angeht, 100-prozentige Sicherheit zu erlangen, kontert er mit einem jüdischen Witz: „Wir bringt man Gott zum Lachen? Erzähl ihm von deinen Plänen.“
Gigerenzer empfiehlt, schon in der Schule statistisches Denken und Faustregeln für gute Entscheidungen im alltäglichen Leben zu unterrichten. Und natürlich die Psychologie des Risikos. Warum es falsch ist, im Angesicht einer Gefahr kopflos zu werden, statt kühl zu kalkulieren. Aufklärung hilft gegen Panikattacken. So gesehen braucht einem vor dem Genom nicht bange zu sein. Auch wenn der Blick in seine Tiefen den Mut zu unangenehmen Entscheidungen erfordern kann.