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Krebs durch Crispr? Bernhard Schmierer hat einen Nebeneffekt der neuen Methode zur Erbgutveränderung entdeckt.
© Karolinska Institut/Ulf Sirborn

Genom-Editierung: Genschere Crispr könnte "versehentlich das Krebsrisiko erhöhen"

Zellen, deren Erbgut mit Crispr verändert wird, haben häufig Defekte in einem Notfallprogramm, das vor Krebs schützen soll.

Mit der Genschere Crispr/Cas9 verbinden Patienten mit Erbkrankheiten, aber auch mit bislang unheilbaren Krebserkrankungen große Hoffnungen. Tatsächlich vermag das molekulare Werkzeug defekte, krankmachende Gene aus dem Erbgut zu schneiden oder zu korrigieren. Milliarden Dollar werden derzeit in Firmen wie Crispr Therapeutics, gegründet von der Crispr-Entdeckerin und Berliner Forscherin Emmanuelle Charpentier, gesteckt, die etwa die Blutarmutserkrankung Sichelzellenanämie behandeln wollen. Die eventuellen Nebenwirkungen der Technik, die gerade mal fünf Jahre alt ist, sind bislang allerdings noch kaum erforscht. Nun melden Forscher des Karolinska Institutet in Stockholm und unabhängig davon Wissenschaftler der Pharmakonzerne Novartis und Abbvie im Fachblatt „Nature Medicine“, dass Crispr „versehentlich das Krebsrisiko erhöhen könnte“.

Erste Hilfe für zerrissene Erbgutfäden

In Zellen kann es immer wieder einmal passieren, dass der Erbgutfaden, die berühmte Doppelhelix, durchreißt. Solche „Doppelstrangbrüche“ lösen für gewöhnlich ein ganzes Arsenal von Notfallmaßnahmen in der Zelle aus, angeführt von dem Protein „p53“. Dieser „Erste-Hilfe-Sanitäter“ wird auch durch die Crispr-Genschere alarmiert - schließlich zerschneidet auch sie den Erbgutfaden. Der Sanitäter unterscheidet nicht, ob der Schnitt in der DNS nun ein zufälliger Fehler oder mit dem Ziel einer Korrektur und Heilung verbunden ist.

Zu den Notfallmaßnahmen, die p53 einleitet, gehört auch, das Erbgut vor weiteren Schnitten oder Brüchen zu schützen. Das bedeutet, dass die Wirksamkeit der Crispr-Genschere nachlässt, sobald p53 aktiviert ist. Oder anders herum ausgedrückt: In Zellen, in denen der Sanitäter p53 aus irgendwelchen Gründen verhindert ist, funktioniert Crispr besonders gut. Und eben das kann gefährlich werden für gentherapeutische Anwendungen mit der Crispr-Genschere. Weil Crispr vor allem in den Zellen gut funktioniert, in denen p53 defekt ist, reichern die Gentherapeuten ohne es zu wollen solche Zellen an, deren defektes Gen zwar repariert ist, denen aber der p53-Sanitäter abhanden gekommen ist. Und der ist vor allem dann nötig, wenn es darum geht, die Entstehung von Krebs zu verhindern.

Defekte Zellen könnten vermehrt werden

Für eine Gentherapie der Sichelzellenanämie, die die Firma Crispr Therapeutics noch in diesem Jahr an Patienten erstmals erproben will, könnten diese Forschungsergebnisse durchaus Relevanz haben. Dazu werden den Patienten zunächst Blutzellen entnommen, deren Erbgut mit Crispr zunächst korrigiert wird. Dann werden nur jene Zellen extrem vermehrt, bei denen die Genveränderung funktioniert hat – also möglicherweise gerade jene, die einen p53-Defekt haben.

Bernhard Schmierer, Leiter der Untersuchung am Karolinska-Institut, will allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass die klinischen Studien nun verschoben oder gar abgesagt werden sollten. „Diese Patienten sind in der Regel ohnehin schon sehr krank und haben nur wenige Behandlungsoptionen.“ Die Forschungsergebnisse würden zwar zur Vorsicht mahnen, aber nicht ausreichen, um Studien zu stoppen, sagte er dem Tagesspiegel. „Die theoretische Chance, dass es langfristig Krebserkrankungen geben könnte, muss gegen die unmittelbaren Vorteile einer Behandlung abgewogen werden.“ Außerdem seien noch Untersuchungen nötig, um nachzuweisen, ob die im Labor entdeckte Veränderung des Krebsrisikos überhaupt relevant für die klinische Anwendung ist. So seien die Untersuchungen an Zellen durchgeführt worden, die für Therapien nicht in Frage kämen. „Wir müssen erst noch überprüfen, ob der Effekt auch in therapeutischen Zelllinien zu beobachten ist“, sagt Schmierer. Allerdings sei das „sehr wahrscheinlich“. Forscher der Pharmafirmen Novartis und Abbvie kamen bei ähnlichen Experimenten mit menschlichen Stammzellen zu vergleichbaren Ergebnissen.

Forscher rät zur Vorsicht

„Die beiden Studien bestätigen, was bislang nur angenommen wurde“, sagt Toni Cathomen, Gentherapie-Forscher an der Universität Freiburg. Der Befund sei „weder überraschend noch alarmierend.“ Man müsse abwarten, ob das Ergebnis auch in klinisch relevanten Zelltypen auftrete. Zwar hätten alle bisherigen Tests an Mäusen oder Affen keinen Anhaltspunkt für erhöhte Krebsrisiken ergeben. Dennoch müsse man nun „ein besonderes Augenmerk“ auf p53-Mutationen haben. Das ist allerdings alles andere als trivial: Es gibt keine Methode, mit der sich bei den Millionen von Zellen, die bei Gentherapien eingesetzt werden, zuvor das p53-Notfallprogramm auf Mutationen durchforsten ließe.

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