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Teilnehmer des March for Science im Frühjahr 2017 vor der Humboldt-Universität.
© picture alliance / Jörg Carstens

"Fake News" in der Wissenschaft: Gekapertes Wissen

In unübersichtlichen Zeiten ist das Klima für „Fake News“ besonders gut. Auch die Wissenschaft zeigt sich immer wieder anfällig.

Wohl nie zuvor in der Geschichte hat die Menschheit so umfänglich geforscht wie in der Gegenwart, so viele Wissensfelder gleichzeitig beackert. Doch je komplexer sich die Ergebnisse der Forschung ausnehmen, je größer die Menge des möglichen Wissens wird, desto weniger scheint vielen Menschen das Wort der Wissenschaft zu gelten. Ein Blick auf Twitter und den die globale Erwärmung leugnenden US-Präsidenten genügt, um zu sehen: Wissenschaftliche Fakten sind vielerorts in Bedrängnis geraten, der Mythos hat den Logos im Visier.

„Alternative Wissenssysteme“ wie Verschwörungstheorien, religiöser Fundamentalismus und völkische Einheits- und Reinheitsfantasien versprechen, die anstrengende Komplexität des Weltgeschehens einzuebnen. Die „gefühlten Wahrheiten“ haben das professionelle Wissen auf breiter Front herausgefordert. Mit den Wahlsiegen von Donald Trump, den Brexiteers und anderen Populisten, schreibt der Schweizer Historiker Caspar Hirschi in seinem aktuellen Werk „Skandalexperten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems“, hat sich der Traum einer ideologiebefreiten Wissensgesellschaft, den viele Denker kurz vor der Jahrtausendwende träumten, endgültig zerschlagen.

In manipulativer Absicht lanciert

Anders als erwartet sei die ideologische Konfrontation nach Ende des Kalten Krieges nicht durch einen „informierten Pragmatismus“ ersetzt worden. Stattdessen feiern religiöse und politische Extremisten vielerorts prächtige Erfolge, gedeihen in den Weiten des Internets Propaganda und Fehlinformationen. Nicht selten werden Wissenschaftler genau wie Journalistinnen als ideologische Zulieferer und Mitglieder einer liberalen Elite verfemt, die die bauchgefühlte Wahrheit des Volkswillens ignoriere.

Was hat es mit dem zeitgenössischen Boom von „Fake News“ und „alternativen Fakten“ auf sich? Was ist zum Thema „Fake News“ aus historischer Perspektive zu sagen? Trägt die Wissenschaftswelt womöglich eine Mitverantwortung am Auftrieb der „gefühlten Wahrheiten“ und hat sie ihm etwas entgegenzusetzen?

Ringvorlesung zu Fake News an der Humboldt-Universität

Zunächst sei festzuhalten, dass es weder inner- noch außerhalb der Forschung eine einheitliche Definition von „Fake News“ gebe, sagt die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen von der Humboldt-Universität (HU). Zwar würden damit meistens Falschmeldungen bezeichnet, die in manipulativer Absicht lanciert, von den Rezipienten aber als Tatsachen wahrgenommen werden. Das Bedeutungsspektrum des Begriffs sei aber wesentlich breiter. Ausgelotet wird es im laufenden Wintersemester in einer öffentlichen Ringvorlesung des HU-Instituts für Geschichtswissenschaften zu „Fake News“.

Aufgetaucht ist der Begriff erstmals im England des 19. Jahrhunderts – im Zusammenhang mit der Entwicklung der Tagespresse zum Massenmedium. Heute sei „Fake News“ vor allem ein politisches Schlagwort, das, je nachdem wer spricht, Verschiedenes bezeichnen könne, sagt te Heesen. „Wenn auch ein Donald Trump ihn verwendet, um Wissen, das ihm missfällt, zum Beispiel zum Klimawandel, abzuwerten, ist der analytische Gehalt des Begriffs eigentlich gleich Null.“

Die meist reaktionären Verfechter „alternativer Fakten“, wie die zeitgenössischen Klimawandelleugner, haben ein eigentlich progressives Konzept für ihre eigenen Zwecke gekapert, wie der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour konstatiert. So instrumentalisieren sie die postmoderne Einsicht, dass auch wissenschaftliches Wissen niemals vollkommen unabhängig von politischen Standpunkten, normativen Einstellungen und kulturellen Kodierungen ist. Wenn unsere Wahrheiten interessengeleitet sind, so die nietzscheanische Pointe, sind eure es genauso. Zumal die Ergebnisse der Wissenschaft ja ohnehin stets vorläufig sind und prinzipiell falsifizierbar sein müssen, um überhaupt als Wissenschaft zu gelten.

Folgenreiche Verfilzung des Wissens mit der Macht

Das Argument sozialer Konstruktion, so Bruno Latour, der seit den 70er Jahren erforschte, wie wissenschaftliche Erkenntnisse produziert werden und wortmächtig die Fahne des Konstruktivismus schwang, würde heute auch von reaktionären Hardlinern verwendet, um mühsam gewonnene Beweise zur globalen Erwärmung anzuzweifeln. Die Karriere der „alternativen Fakten“ konnte demnach vielleicht erst im Fahrwasser eines eigentlich auf Machtkritik abzielenden erkenntnistheoretischen Relativismus zu voller Form auflaufen.

Doch auch vorher hatte die Autorität der Wissenschaft als vernunftgeleiteter Disziplin bereits erheblichen Schaden genommen, wie es der Zürcher Wissenschaftshistoriker Michael Hagner in seinem Aufsatz „Wissenschaft und Demokratie oder: Wie demokratisch soll die Wissenschaft sein?“ beschreibt. Schon die Technokratie-Debatte der 1960er-Jahre verwies auf die folgenreiche Verfilzung des Wissens mit der Macht: Dass Teile der Wissenschaft mit dem militärisch-industriellen Komplex verwoben waren, führte zur Entwicklung der Atombombe.

Wenn Wissenschaftler aber notwendig historisch wandelbaren Forschungskulturen entstammen und zudem in kommerzielle und politische Zusammenhänge eingebunden sind, wie kann Wissenschaft dann „Wahrheit“ produzieren? Lässt sich seriöse Forschung denn gar nicht von ausschließlich interessengeleiteter Diskursproduktion mit pseudowissenschaftlichen Mitteln unterscheiden?

Ideal der ökonomisch-politischen Freiheit der Forschung

Doch, sagt Anke te Heesen. Denn dass wissenschaftliche Ergebnisse meist vorläufig seien, dass Forscher notwendig bestimmte Perspektiven einnähmen, heiße ja nicht, dass gar nichts wahr und somit alles erlaubt sei. Wahrheit sei eben ein Konzept, das auf sich ändernden Beweismittellagen gründe – mehr Richtwert als absolute Größe. Anders als Religionen und Verschwörungstheorien, die einen totalen Wahrheitsanspruch formulieren, rechnet seriöse Wissenschaft ihre Fehlbarkeit mit ein. Sie muss, wie es der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper formulierte, „an der Erfahrung scheitern können“. Sie sollte sich außerdem an historisch gewonnenen Standards und „epistemischen Tugenden“ orientieren und immer nach bestem Wissen operieren. Auch wenn die völlige Freiheit von politisch-ökonomischen Kriterien, zumal im Kapitalismus, bloß ein hehres Ideal sei, sei eine möglichst unabhängige Grundlagenforschung essentiell. Wissenschaftliche Ergebnisse sollten nachprüfbar, Quellen weitestgehend zugänglich und Methoden und Wege zur Erkenntnisgewinnung im Wesentlichen transparent sein.

Wie manipulierbar aber die öffentliche Meinung in Hinblick auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse ist, zeigen die Wissenschaftshistoriker Naomi Orestes und Eric M. Conway in ihrem 2010 veröffentlichen Buch über die „Merchants of Doubt“. Sie legen dar, wie eine Gruppe rechtsgerichteter Wissenschaftler in den USA im Auftrag eines konservativen Think Tanks jahrelang massive Zweifel an der wissenschaftlichen Beweislage von Umweltproblemen streute.

Dieselben, von diversen Industriezweigen, unter anderem der Tabak- und Ölindustrie, finanzierten Akteure, die heute den weitgehenden Konsens zum Klimawandel attackierten, seien auch schon bei der organisierten Leugnung des sauren Regens, des Ozonlochs, und der Schädlichkeit von Tabakkonsum beteiligt gewesen. Gut vernetzte Industrielobbyisten, die im Zusammenspiel mit korrumpierter Wissenschaft eine groß angelegte Klimaskepsis schüren also? „Wenn Forschung zu eng mit politischen Ideologien verzahnt ist oder in hohem Maße kommerziellen Interessen folgt, haben wir ein Problem“, sagt Anke te Heesen.

Doch auch wenn die Wissenschaften ihrem eigenen Ideal einer weitestgehend machtbefreiten Wissensförderung folgten, wäre der Nährboden der gefühlten Wahrheiten damit keineswegs trockengelegt. Die Forschung zu Verschwörungstheorien zeigt, dass diese immer besonders gut in unübersichtlichen Zeiten gedeihen. Und zwar deshalb, weil sie simple, komplexitätsreduzierende Erzählungen aufbieten.

"Protokolle der Weisen von Zion" als Musterfall

Eines der berüchtigtsten Beispiele wirkmächtiger „Fake News“ ist das antisemitische Pamphlet „Protokolle der Weisen von Zion“ aus dem 19. Jahrhundert. Es hat den Mythos einer jüdischen Weltverschwörung einst stark popularisiert – und ist bis heute nicht von den Büchertischen der fliegenden Händler in Nahost und aus den Köpfen vieler Menschen verschwunden. Der dezidierte Nachweis, dass der Inhalt der „Protokolle“ frei erfunden oder aus Romanen übernommen wurde, konnte die lange Karriere der Propagandaschrift kaum eindämmen, sagt der HU-Historiker Thomas Mergel, der wie Anke te Heesen an der Ringvorlesung mitwirkt.

Das antisemitische Verschwörungsnarrativ kann an tradierte Vorurteilsstrukturen andocken, die latent oder explizit in Teilen der Gesellschaft vorhanden sind. Mit der typischen Vorstellung von der sichtbaren Vorder- und der unsichtbaren Hinterbühne würden die Widersprüche des Weltgeschehens auf eine greifbare Formel gebracht, sagt Mergel. Sämtliche Konflikte, wie jener zwischen den Großsystemen Kapitalismus und Kommunismus zum Beispiel, ließen sich so als perfide Inszenierung eines im Hintergrund die Fäden ziehenden allmächtigen jüdischen Puppenspielers lesen. Auch und gerade die Widerlegung der Protokolle werden hier als Beweis für ihre Richtigkeit erachtet. Jedes Argument gegen den Verschwörungsmythos ist letztlich eines dafür. „Verschwörungstheorien sind nicht falsifizierbar.“

Fake News adressieren Gefühle, sie arbeiten mit bestehenden Annahmen und dem, was die Kognitionspsychologie als Verfügbarkeitsheuristik oder Bestätigungsfehler bezeichnet. Menschen neigen in der Regel dazu, eben jene Informationen als richtig auszuwählen, die ihre eigenen Annahmen bekräftigen. Wenn bei der Auswahl – wie im digitalen Zeitalter üblich – zusätzlich ein Algorithmus hilft, schließt sich die Echokammer vollständig.

Demnach ist es für einen Verschwörungstheoretiker laut Mergel beinahe egal, ob sich eine Quelle als Fälschung erweist. NS-Ideologen und andere Antisemiten seien häufig der Auffassung gewesen, ob die „Protokolle“ nun echt seien oder nicht, spiele letztlich keine Rolle – die Verhältnisse die sie beschrieben, seien ohnehin wahr. So gehört der handwerklich und inhaltlich in jeder Hinsicht unterirdische Text bei Hardcore-Antisemiten in aller Welt bis heute gleichsam zum Standardrepertoire.

Forschende müssen permanent Ad hoc-Expertisen liefern

Auch wenn seriöse Wissenschaften Fake News nicht aus der Welt schaffen können und die objektive Wissensgesellschaft ein Phantasma der 90er-Jahre darstellt, sollten Forschende gerade heute darauf achten, sich möglichst unangreifbar zu machen. Mit halbgaren, bei Raubverlagen veröffentlichen Studien zum Beispiel ist der Wissenschaftswelt kein Gefallen getan. Und wenn ein deutscher Mediziner, der die Leitlinien für Diabetes-Behandlung schreibt, gleichzeitig Anteilseigner einer Firma ist, die die Software für Diabetespumpen herstellt, bewirkt das ein starkes Glaubwürdigkeitsproblem.

Natürlich ist es gleichfalls problematisch, dass Forschende im Zeitalter der Beschleunigung permanent zu Ad-Hoc-Expertisen genötigt werden, bevor sie valide Ergebnisse haben. Caspar Hirschi zufolge wäre es sinnvoll, wenn Wissenschaftler – statt für Politik und Wirtschaft die „Experten“ zu geben – wieder häufiger die Rolle des Kritikers einnähmen.

Die Ringvorlesung der Humboldt-Uni zu "Fake News" findet noch bis zum 11. Februar montags von 16 bis 18 Uhr im Hörsaal 3038 des Hauptgebäudes (Unter den Linden 6) statt. Am heutigen Montag, 10. Dezember, spricht Thomas Mergel über: Die schier endlose Karriere der „Protokolle der Weisen von Zion“.

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