Skeptiker-Treffen der GWUP in Berlin: Fakten gegen den groben Unsinn
Ihre Feinde sind Impfgegner, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker. Ihr Freund ist die Wissenschaft. Über das Jahrestreffen der Skeptiker.
Vielleicht ist die Welt ja doch eine Scheibe. Manches spricht dafür. Jedenfalls behaupten das die Vertreter der sogenannten „Flat Earth Theory“, und ja, es gibt sie tatsächlich. Ralf Nowotny stand mit hunderten in Kontakt, er sagt, es sei schwierig, mit ihnen zu diskutieren. Sämtliche Fotos, die je aus dem All von der Erde gemacht worden, könnten schließlich gefälscht sein! Alle Mainstream-Wissenschaftler korrupt! Die Medien sowieso. Im Übrigen befinde sich der Nordpol genau in der Mitte der Scheibe. An ihren Rändern werde die Erde durch eine hohe, weiße Mauer begrenzt, bewacht von US-Soldaten. Und Gravitation? Die existiere gar nicht. Allerdings bewege sich die Erdscheibe stetig aufwärts. So werde jeder Mensch, der in die Luft springe, bald vom Boden eingeholt.
Wenn Ralf Nowotny in der Schöneberger Urania von seinen Erfahrungen mit den Flacherdlern spricht, erntet er Schmunzeln und Mitgefühl. Viele im Saal haben Ähnliches erlebt. Es ist das Jahrestreffen der Skeptiker, der Mitglieder der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“, kurz GWUP. Seit 30 Jahren versucht dieser Verein, mit Logik und wissenschaftlicher Evidenz gegen den groben Unsinn in der Welt anzugehen. Heute, in Zeiten von „fake news“ und „alternativen Fakten“, scheint dieser Einsatz besonders dringlich.
Früher ärgerten sie sich über Uri Geller, heute über Impfgegner
1500 Mitglieder hat die GWUP inzwischen. Es sind Physiker, Psychologen und Mediziner, Apotheker, Ingenieure und Lehrer. Es gibt Studenten und emeritierte Professoren. In der Urania erinnert ihr Vorsitzender Amardeo Sarma an die Anfangstage, als sich Skeptiker mit den Sumpfblüten der New-Age-Bewegung herumschlagen mussten. Konnte einer wie Uri Geller tatsächlich Löffel verbiegen? Waren Ufos real? Heute arbeiten sich die Vereinsmitglieder eher an Impfgegnern, esoterischen Heilern und den Leugnern des Klimawandels ab. Aktueller Lieblingsfeind, das wird an diesem Wochenende deutlich, ist Donald Trump. Immer wieder fällt sein Name. Weil eben keiner sonst bei solcher Machtfülle so viele Unwahrheiten verbreite.
Star der weltweiten Skeptikerbewegung ist der Kanadier James Randi. Der mittlerweile 88-Jährige bietet jedem, der überzeugt ist, paranormale Fähigkeiten zu besitzen, eine Wette an. Gelinge es dem Kandidaten, seine Kräfte in einem Test unter wissenschaftlichen Bedingungen vorzuführen, erhalte er eine Million US-Dollar. Etliche Wünschelrutengänger und Gedankenleser haben es probiert, Randi musste nie zahlen. Dafür konnte er sich an den herrlichsten Ausreden erfreuen. Schlechte Energien im Raum! Mies geschlafen! Vorführeffekt! Die deutschen Skeptiker bieten mittlerweile einen ähnlichen Test an, einmal im Jahr in Würzburg, 10 000 Euro sind ausgelobt. Auch hier versagen die Superkräfte reihenweise. Doch nur ein einziges Mal hatte ein Kandidat nach seinem Scheitern ein Einsehen und gab den Glauben an seine paranormalen Fähigkeiten auf. Vermutlich, weil er keine emotionale Verbindung zu ihnen hatte – weil sie ihm schlicht nichts bedeuteten.
Genau hier liegt das Problem, sagt die Medizinerin Natalie Grams: Das Ablassen vom Irrglauben falle den Betroffenen so schwer, weil sie mit dem Herzen dran hingen. „Sie wollen glauben.“ Grams hat es selbst erlebt, sie war fasziniert von Homöopathie, verschrieb ihren Patienten Globuli en masse, bis sie ins Zweifeln geriet, zu recherchieren begann und keine seriöse Studie fand, die mehr belegte als einen Placebo-Effekt.
Heute leitet sie das „Informationsnetzwerk Homöopathie“ und möchte aufklären. Sie sagt, trotz aller Anstrengungen sind die Erfolge bisher dürftig. Homöopathie wird in Frauen- und Lifestylemagazinen gefeiert, einige Krankenkassen übernehmen die Behandlungskosten. Eine Ringvorlesung zur Homöopathie an der LMU München fand trotz Protesten statt. Immerhin: Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte nehme sie inzwischen als Gegner ernst. Da gibt es Applaus im Saal.
Kommen die Gifte vom Himmel?
Ein anderer Skeptiker berichtet, die Zahl derer, die Evolution für eine Lüge halten, wachse auch in Deutschland. Ebenfalls populär ist die sogenannte Chemtrail-Theorie, wonach viele Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel Gifte enthalten, mit denen die Regierung ihre Bevölkerung dezimieren will. Wer da denkt, es gehe nicht durchgeknallter, hat noch nicht von den Reptiloiden gehört: Echsenwesen, die sich als Menschen tarnen und Böses wollen. Sie stammen angeblich aus dem Erdinneren, denn laut „Hohlwelt-Theorie“ ist auch die Innenseite des Globus bewohnbar. Dann allerdings könnte die Erde natürlich keine Scheibe sein. Aber das ist eine weitere Erkenntnis dieses Wochenendes in der Urania: Verschwörungstheoretiker sind keine homogene Masse. Ihre Vorstellungen widersprechen sich teils massiv.
Wie erkennt man überhaupt Verschwörungstheoretiker und Pseudowissenschaftler? An ihren Argumenten, sagt Nikil Mukerji, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler aus München. Er hat Kommunikationsmuster der Unvernünftigen herausgearbeitet und katalogisiert. Zum Beispiel die illegitime Umkehr der Beweislast: „Können Sie Studien vorlegen, die eine Nichtwirksamkeit von Homöopathie belegen?“ Oder anekdotische Belege statt empirischer Beweise. Vorschnelle Verallgemeinerungen, falsche Kausalschlüsse, ohne Alternativhypothesen in Betracht zu ziehen. Penetrantes Wiederholen des immergleichen, falschen Arguments. Wenn gar nichts mehr hilft, sagen sie: „Aber es gibt doch Meinungsfreiheit.“
Der tapfere Kampf der Stiftung Warentest
Wie zermürbend die Auseinandersetzung ist, weiß auch Sebastian Hirsch. Er ist bei der Stiftung Warentest für den Internetauftritt und die Kommunikation in den sozialen Netzwerken zuständig, beantwortet Nutzerkommentare. Sebastian Hirsch sagt, dass zu jedem zweiten Produkt, das die Stiftung testet, mittlerweile eine eigene Verschwörungstheorie existiert. Zahnpasta? Ist mit giftigem Fluorid durchsetzt, um Menschen zu töten. Mikrowelle? Verursacht gefährliche Strahlenschäden und zerstört spirituelle Energiefelder. Die Facebook-Seite der Stiftung wird regelmäßig von Verschwörungstheoretikern heimgesucht. Hirsch antwortet mit Logik und Fakten. Das ist mühsam. Wenn etwa ein Esoteriker behauptet, man solle sich nicht impfen lassen, weil in den gespritzten Stoffen Quecksilber stecke, und Hirsch dann auf wissenschaftliche Studien verweist und entsprechende Links setzt, bekommt er schon mal zur Antwort: „Aber die sind ja auf Englisch. Das ist doch unseriös!“
Im Laufe der Jahre hat sich Hirsch Strategien erarbeitet. Zum Beispiel: eine einfache, leicht verständliche Sprache benutzen. Vom Gegenüber mit Nachdruck valide Quellen einfordern. Überhaupt sei resolutes Auftreten wichtig. Ein „Vielen Dank für Ihre Meinung, wir werden das intern besprechen“ helfe keinem, sagt Sebastian Hirsch. Warum tut er sich das überhaupt an? Warum widerspricht er, anstatt die Verschwörungstheoretiker einfach gewähren zu lassen? „Ich tue das sicher nicht, um diese Menschen zu überzeugen“, sagt er. Das gelinge sowieso nicht. „Nein, es geht mir um die stillen Mitleser auf Facebook, die vielleicht verunsichert sind von den abwegigen Behauptungen.“ Denen möchte er helfen.
Natalie Grams, die bekehrte Homöopathin, hat eine Hoffnung. Womöglich sei das sogenannte Zeitalter des Postfaktischen ja nur ein letztes Aufbäumen der Unvernünftigen, sagt sie. Womöglich beginne danach endgültig das Zeitalter des Faktischen. Im Saal wird gejohlt. Von allen bekloppten Theorien, die an diesem Wochenende in der Urania betrachtet werden, ist diese hier die sympathischste.