Spitzenkandidatin der Berliner SPD: Franziska Giffey verliert ihren Doktorgrad
Jetzt ist es offiziell: Die Freie Universität entzieht Franziska Giffey den Doktortgrad. Sie bescheinigt ihr eine Täuschung „mindestens mit bedingtem Vorsatz“.
Franziska Giffey wird der Doktorgrad entzogen. Das entschied die Freie Universität Berlin am Donnerstag offiziell. Die Hochschule teilte zur Begründung mit, der Doktorgrad von Giffey sei durch „Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung“ erworben worden.
Es seien Texte und Literaturnachweise anderer Autorinnen und Autoren übernommen worden, ohne dass dies hinreichend gekennzeichnet worden sei. Auf dem Bericht der Prüfkommission ergebe sich, „Franziska Giffey habe mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt“, hieß es weiter in der Mitteilung der FU. Die Arbeit genüge aus Sicht des Prüfgremiums „nicht den Anforderungen an die Gute Wissenschaftliche Praxis“.
Dem Schlussbericht des Prüfgremiums zufolge, den die FU am Donnerstag ebenfalls auf ihrer Webseite veröffentlichte (hier als PDF), identifizierten die Prüfenden insgesamt 69 „Monita“, die sie als „eindeutige Verstöße gegen die Gute Wissenschaftlichen Praxis“ werteten.
Diese Verstöße gegen die Gute Wissenschaftliche Praxis würden die Dissertation „prägen“, „sowohl quantitativ als auch qualitativ und in der Gesamtschau“. Die „tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entziehung des Doktorgrades“ gemäß der Berliner Hochschulgesetzes würden damit „vorliegen“.
34 Fundstellen sind demnach wörtliche Übernahmen fremder Texte, ohne dass diese als Zitat kenntlichgemacht wurden. Hinzu kommen 35 Fundstellen, bei denen Giffey fremde Texte paraphrasierte, ohne dass sie die zugrundeliegenden Quellen eindeutig zuordnete. Fast 40 weitere Stellen sind aufgeführt, an denen Giffey ebenfalls unsauber arbeitete. Die Befunde des zweiten Prüfgremiums sind demnach noch einmal deutlich schwerwiegender als die des ersten Prüfgremiums.
Giffey: "Diese Entscheidung akzeptiere ich"
Giffey, die sich bei der Berlin-Wahl am 26. September als Spitzenkandidatin der SPD um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin bewirbt, erklärte umgehend nach dem Entzug ihres Titels: "Diese Entscheidung akzeptiere ich." Sie blieb allerdings bei ihrer Verteidigungslinie. "Nach wie vor stehe ich zu meiner Aussage, dass ich die im Jahr 2009 eingereichte Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst habe", teilte die Sozialdemokratin mit. "Fehler, die mir bei der Anfertigung der Arbeit unterlaufen sind, bedaure ich. Diese waren weder beabsichtigt noch geplant."
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Zugleich sprach Giffey vom "Ergebnis der dritten Überprüfung meiner Doktorarbeit": Damit meinte sie die ursprüngliche Begutachtung ihrer Arbeit im Jahr 2010, aus der die Note "magna cum laude" resultierte, die erste Prüfung nach dem Bekanntwerden von Plagiatsvorwürfen, die 2019 mit einer Rüge durch die FU endete, und nun die erneute Bewertung.
SPD hält zu ihrer Spitzenkandidatin Giffey
Giffeys Ko-Vorsitzender an der Spitze der Hauptstadt-SPD will nun auch nicht mehr zurückblicken. "Die Berliner SPD konzentriert sich mit der Spitzenkandidatin Franziska Giffey auf den Wahlkampf und die Zukunft der Stadt", teilte Raed Saleh mit. "Nur die Berlinerinnen und Berliner werden entscheiden, wem sie das Rote Rathaus zutrauen."
Deutliche Kritik an Giffey kam dagegen vom Berliner Koalitionspartner und wahrscheinlichen Hauptkonkurrenten um die Bürgermeisterschaft nach der Wahl: den Grünen. Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin Ramona Pop erklärte auf Nachfrage: „Ich wünsche mir, dass eine künftige Regierende Bürgermeisterin mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit für die Wissensstadt Berlin eintritt, wie es in den letzten Jahren der Fall gewesen ist.“ Die international renommierte Wissenschaft sei „ein wesentlicher Berliner Standortvorteil“ für die Wirtschaft – etliche Unternehmen kämen vor allem deshalb nach Berlin.
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Die AfD forderte nach dem Entzug des Doktorgrads auch Giffeys Verzicht auf die Spitzenkandidatur. "Wer trickst und täuscht, kann nicht Regierende Bürgermeisterin werden", teilte Martin Trefzer, wissenschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, mit. "Berlin ist keine Resterampe für gescheiterte Bundespolitiker."
CDU wirft dem Otto-Suhr-Institut "Vetternwirtschaft" vor
Auch die CDU verlangte Konsequenzen - aber nicht für Giffey, sondern für die FU. Adrian Grasse, forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, sprach vom "größten Skandal in der deutschen Wissenschaft". Die Hochschule habe zunächst zu einer "Verschleierung der Vorgänge" beigetragen. Grasse äußerte den Verdacht, dass im ersten Verfahren durch das Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politikwissenschaft "gezielt" versucht worden sei, einen Entzug des Doktorgrads abzuwenden. "Damit hat das OSI den Ruf der FU aufs Spiel gesetzt und der Exzellenzuniversität schweren Schaden zugefügt."
Die Beratungen im ersten Prüfverfahren seien "offenbar nicht sachgerecht, sondern interessengeleitet" erfolgt, monierte der CDU-Politiker. "Die Freie Universität muss klären, welche Verantwortung der Doktormutter von Frau Giffey zukommt und ob sie als Vorsitzende des Promotionsausschusses noch länger tragbar ist", teilte Grasse mit. "Der Verdacht der Vetternwirtschaft wiegt jedenfalls schwer und wirft einen dunklen Schatten auf das OSI."
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Der Politikwissenschaftler Hajo Funke, ein ehemaliger Professor des OSI, hält den Entzug des Doktorgrads für richtig. „Dies ist nun endlich eine Entscheidung der Freien Universität, die den Verfehlungen der Arbeit angemessen ist“, sagte er dem Tagesspiegel. „Ihre Arbeit war offenkundig unter hohem Druck entstanden.“ Giffey habe in den reflektierenden Teilen etwa am Ende ungenau oder falsch zitiert.
Funke hält es für legitim, dass Giffey trotz der Aberkennung nun an der Kandidatur zur Regierenden Bürgermeisterin festhält: „Schließlich haben die Wählerinnen die Chance, ihr Verhalten am 26. September zu beurteilen.“
FU zum Giffey-Verfahren: Fairness war der Anspruch
Die FU hatte das Plagiatsverfahren im November neu aufgerollt und damit eine Rüge zurückgezogen, die das Präsidium nach dem Prüfbericht einer ersten Kommission ausgesprochen hatte. Das FU-Präsidium entschied nun auf der Basis des Gutachtens der zweiten Prüfungskommission und berücksichtigte dabei auch eine Stellungnahme Giffeys, die Anfang Juni bei der FU eingegangen war.
Das FU-Präsidium bezeichnete das Verfahren als „Herausforderung“ für alle an der Hochschule beteiligten Personen. Man bedauere die „besonderen Belastungen“ für die Mitglieder sowohl des ersten als auch des zweiten Prüfgremiums. „Unser Anspruch war es, Fairness gegenüber allen Beteiligten im Verfahren zu gewährleisten.“
Mitglieder im ersten Gremium mit Nähe zur Doktormutter
Aus dem neuen Bericht wird auch deutlich, dass die Prüfenden noch einmal eigene Recherchen anstrengten, unter anderem durch den Einsatz der Plagiatssoftware „PlagScan“. Die Dokumentation der Plattform „VroniPlag Wiki“, die den Fall als erste öffentlich gemacht hatte, sei ebenso wie der Bericht des ersten Prüfgremiums zusätzlich „detailliert diskutiert und genutzt“ worden. Insgesamt habe es sechs Sitzungen des Prüfgremiums gegeben. Diesem gehörten sieben Mitglieder an. Sechs waren Professorinnen und Professoren aus dem Bereichen Politikwissenschaften und Jura der FU, einer auswärtig, sowie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter aus den Politikwissenschaften der FU.
Eines der ursprünglich nominierten Mitglieder war, wie berichtet, aus dem Prüfgremium nach der ersten Sitzung zurückgetreten, weil es eine Verwaltungsfunktion in einem Ortsverband einer Partei übernommen hatte. „Die Besorgnis einer Befangenheit wurde im Fall aller weiteren Mitglieder des Prüfgremiums überprüft und ausgeschlossen“, heißt es – nachdem es an der teilweise engen Arbeitsverbindung von Mitgliedern des ersten Prüfgremiums zur Doktormutter noch Kritik gegeben hatte.
Rüge ist im Berliner Hochschulgesetz nicht vorgesehen
Verschiedene externe Gutachter waren zuvor zum Schluss gekommen, dass eine Rüge nicht im Berliner Hochschulgesetz vorgesehen ist beziehungsweise nur in einem "minderschweren Fall" zulässig wäre. Aufgrund dieser Aussage in einem von der FU veranlassten Gutachten beauftragte die Universität eine erneute Prüfung der Arbeit.
Im Mai war bereits durchgesickert, dass das Prüfgremium in dem neuen Verfahren auf Aberkennung plädiert hatte. Giffey war daraufhin von ihrem Amt als Familienministerin zurückgetreten, sie tritt aber weiterhin als Spitzenkandidatin der SPD fürs Rote Rathaus in Berlin an.