Debatte um den Gender-Stern: Finger weg vom generischen Maskulinum!
Nichts gegen eine geschlechtergerechte Sprache, doch das generische Maskulinum darf nicht angetastet werden. Ein Gastbeitrag.
Seit mehr als vierzig Jahren gibt es bei uns einen öffentlichen Diskurs über Notwendigkeit und Möglichkeit einer geschlechtergerechten Sprache, aber selten war er so intensiv wie in diesem Sommer. Und die vertretenen Positionen erweisen sich als kaum vereinbar, echte Kompromisse sind selten. Das gilt weitgehend auch für die beteiligten Sprachwissenschaftler, besonders bei der zu ihrer Domäne gehörenden Frage nach dem Verhältnis von Genus und Sexus, dem grammatischen und dem natürlichen Geschlecht.
Zugespitzt hat sich der Streit am sogenannten generischen Maskulinum, das bei Personenbezeichnungen wie Lehrer, Schlosser, Soldat, Spion in Erscheinung tritt. Dienen sie in der Grundbedeutung der Bezeichnung von Männern oder sind sie geschlechtsneutral in dem Sinn, dass sie gar keinen Bezug zum natürlichen Geschlecht haben, also weder auf männlich oder weiblich noch auf inter, trans, queer und so weiter fixierbar sind? Ist es so, dann wäre durch das generische Maskulinum auch niemand diskriminiert, gleichgültig, welche Geschlechtsidentität er persönlich hat.
Das generische Maskulinum ist in der Sprache tief verankert
Um es deutlich zu sagen: Die hier vorgelegte Verteidigung des generischen Maskulinums richtet sich nicht gegen die Verwendung des Deutschen als geschlechtergerechte Sprache, sondern gegen seine Misshandlung und Manipulierung in vermeintlich guter Absicht. Denn gerade das generische Maskulinum ist eine in der Sprache tief verankerte, elegante und leistungsstarke Möglichkeit zur Vermeidung von Diskriminierung.
Am Diskurs beteiligte Sprachwissenschaftler sind geteilter Meinung, einige haben sich in letzter Zeit vom generischen Maskulinum distanziert. So schreiben die Kolleginnen Gabriele Diewald und Anja Steinhauer in der Dudenbroschüre „Richtig Gendern“ (Berlin 2017), man solle das Maskulinum vermeiden. Es mache Frauen unsichtbar und sei nicht der Grammatik eingeschrieben, sondern lediglich eine Gebrauchsgewohnheit, die man ändern könne. Dem Leser wird geraten, einmal jemanden zu fragen: Wer ist dein Lieblingsschauspieler? Als Antwort würden ihm fast ausschließlich Männer genannt werden. Denn in unseren Köpfen seien solche Wörter fest mit „männlich“ verbunden. Man spricht hier auch von männlichen Stereotypen.
Solche Stereotypen gibt es, das ist keine Frage. Sie sind aus der Grundbedeutung von Lehrer (einer, der lehrt) oder Schauspieler (einer, der schauspielert) und so weiter abgeleitet, sie ändern aber an der Grundbedeutung nichts. Die von den Autorinnen gegebene semantische Charakterisierung des generischen Maskulinums „Frauen sind mitgemeint“ ist inkorrekt. Frauen sind gar nicht gemeint, ebenso wenig wie Männer oder Geschlechtsidentitäten jenseits der binären Norm. Darin liegt gerade das Spezifische des generischen Maskulinums. Ein Wort wie Lehrer hat genau zwei Bausteine, nämlich den Verbstamm lehr und das Substantivierungssuffix er, das zu Bezeichnungen von Personen führt, die das tun, was der Verbstamm besagt. Solche Substantive können eine ganze Reihe von daraus abgeleiteten Bedeutungen haben, die alle nichts an der Grundbedeutung ändern.
Raucher ist jemand der raucht - und das Abteil im Zug
So kann Raucher nicht nur jemanden bezeichnen, der raucht, sondern auch ein Abteil, in dem geraucht werden darf. Ein Seufzer kann auch eine Lautäußerung sein, ein Träger kann ein T-Träger, ein Gepäckträger, ein Hosenträger und vieles mehr sein. Und ist ein Gesetzgeber männlich oder auch nur belebt? Solche abgeleiteten Bedeutungen sind regelhaft und gut verstanden. Sie zeigen, dass es mit der Bindung der er-Substantive an „männlich“ nicht weit her ist. An der Grundbedeutung ändern sie nichts. Sie bleibt gültig und ist jeweils vorausgesetzt.
Schon als Kinder haben wir gern jemanden gebeten, ein Möbelstück, ein Musikinstrument und eine Farbe zu nennen. Die Antwort war mit statistisch signifikanter Häufigkeit Tisch, Geige und rot. Das sind die jeweiligen Prototypen, die wir zuerst im Kopf haben, die aber wie die Stereotype nicht das Geringste an der Bedeutung von Möbelstück und so weiter ändern. Assoziationstests sind unbrauchbar, wenn es um die Frage geht, welches die Grundbedeutung von Lehrer, Spion oder Soldat ist. Das gilt sogar dann, wenn fast alle Spione und Soldaten Männer sind. Schon ein einfacher Satz wie „Unter den Grundschullehrern gibt es zu wenig Männer“ zeigt das. Der ungerechtfertigte Kampf gegen einen produktiven Mechanismus zur Bildung von Substantiven (wie die auf er) kann nicht gewonnen werden. Er kann jedoch erheblichen Schaden anrichten.
Was sollten wir bloß ohne das generische Maskulinum anfangen?
In der genannten Dudenbroschüre (Seite 114) findet sich ein bemerkenswertes Zitat aus einem Text von Antje Baumann, die im Sprachbüro des Bundesjustizministeriums tätig ist: „Denn die spezielle Textsorte ‚Gesetz‘ hat Merkmale, die mit dem geschlechtergerechten Formulieren kollidieren: Abstraktion von allen Merkmalen einer Person, die für das zu regelnde Rechtsverhältnis irrelevant sind (wie z. B. vom natürlichen Geschlecht eines Schuldners, Täters etc.).“ Genau. Warum sollen wir bei Rechtstexten, bei wissenschaftlichen und anderen Textsorten dauernd das natürliche Geschlecht vor uns hertragen? Das kann gut, notwendig und richtig sein, darf aber niemals zum Zwang werden.
Eine weitere Attacke auf die Maskulina wird in einer Reportage der Wochenzeitung „Die Zeit“ (30. Mai) geritten. Sie zitiert den Berliner Anglisten Anatol Stefanowitsch mit der Äußerung, es gebe auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes keine einzige linguistisch fundierte Verteidigung des generischen Maskulinums. Im Tagesspiegel (6. Juni) erklärt der Kollege, was er damit meint: Wieder sind es Assoziationstests des Typs Nennen Sie Ihren Lieblingsmusiker. Wir brauchen ihn nach den Ausführungen zur Duden-Broschüre nicht weiter zu kommentieren.
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Eine linguistisch fundierte Verteidigung der in der „Zeit“ geäußerten diffamierenden Äußerung des Kollegen ist das nicht. Und immerhin sollte man zur Kenntnis nehmen, dass die Seite der Zeitung, auf der Stefanowitschs Text steht, voll von generischen Maskulina ist. Da ist die Rede vom Fortschrittsbringer, vom Kämpfer, vom Syrer, vom Vertreter des syrischen Volkes, von den Kurden, den Sunniten und so weiter und so fort. Was sollten wir bloß ohne das generische Maskulinum anfangen?
Jagd auf eine unschuldige grammatische Kategorie
Auch die „Süddeutsche“ beteiligt sich an der Jagd auf die unschuldige grammatische Kategorie generisches Maskulinum. Prominente Autoren sind der neue Direktor des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim, Henning Lobin, und die Mainzer Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling. Unter dem Titel „Genus, Sexus, Nexus“ („SZ“ vom 7. Juni) stellen sie fest, die Idee des generischen Maskulinums sei falsch. Grundlegend für ihre Behauptung ist, „dass Personenbezeichnungen wie Terrorist, Spion, Physiker, Lehrer, Erzieher, Florist oder Kosmetiker ein sogenanntes soziales Geschlecht aufweisen, das unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Es leitet sich aus dem realen Geschlechteranteil ab und aus Stereotypen, die man der jeweiligen Personengruppe zuschreibt.“
Erneut wird dann von einem Assoziationstest erzählt, der deutlich macht, dass beim Wort Spion das soziale Geschlecht „männlich“ ausgeprägt ist. Und wieder zeigen einfache Sätze wie „Der BND stellt heute vermehrt Frauen als Spione ein“ ein Maskulinum, dessen Grundbedeutung generisch ist. Man kann das für alle von Lobin/Nübling genannten Wörter ebenso zeigen. Und wie eben ist der Artikel auf der Zeitungsseite und auf ihrer Rückseite von generischen Maskulina umgeben: Manager, Philharmoniker, Ex-Knackis, Flüchtlinge, Betreuer, junge Polen, Amerikaner und so weiter und so fort.
Wir sollten unsere Sensibilität für offene und besonders für versteckte sprachliche Diskriminierung von Frauen weiter schärfen. Genauso rücksichtsvoll haben wir mit Geschlechteridentitäten umzugehen, die nicht ins binäre Schema passen.
In Zukunft für mehr Dirigentinnen, Richterinnen und Pfarrerinnen sorgen
Das Deutsche ist in dieser Hinsicht sehr ausdrucksstark. Ein geschlechtergerechtes Durchregeln, das Eingriffe in die Sprache einschließt und uns ein permanent schlechtes Sprachgewissen macht, lehnen wir ab. Wo die Normalsprecherin und der Normalsprecher nicht mehr reden und schreiben können, wie ihnen Hand, Kopf und Schnabel gewachsen sind, vergehen wir uns an ihnen und an der Sprache.
Wenn wir dafür sorgen, dass es in Zukunft mehr Dirigentinnen, Richterinnen, Pfarrerinnen und Filmemacherinnen gibt als jetzt, tun wir etwas für die Gleichstellung aller in der Gesellschaft. Das soziale Geschlecht vieler Personengruppen wird sich dann verändern, und falsch bewertete Assoziationstests werden überflüssig. Über einen Krieg gegen das generische Maskulinum erreichen wir das mit Sicherheit nicht.
Der Autor ist Professor für Deutsche Sprache der Gegenwart i. R. an der Universität Potsdam.
Peter Eisenberg