Sprache und Geschlechter: Beim Gendern droht eine autoritäre Gedankenpolizei
Gendern wird oft völlig gedankenlos oder hysterisch übertrieben gebraucht. Das haben selbstbewusste Frauen, sagen selbstbewusste Frauen, nicht nötig. Eine Kolumne.
Kürzlich wurde entdeckt, dass die ersten Künstler auf dieser Erde nicht unsere Vorfahren aus der Familie des Homo sapiens waren. Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts haben bei Höhlenmalereien in Spanien mittels einer Uran-Thorium-Datierung herausgefunden, dass die Werke über 64 000 Jahre alt seien. Unsere Spezies, der Homo sapiens, ist jedoch erst etwa zwanzig Jahrtausende später nach Europa eingewandert. Also waren die rotkrakeligen Frühkünstler noch Neandertaler. Denen hatte man so was bisher nicht zugetraut.
Mehr umgehauen als die prähistorische Kunstgeschichte an sich hat mich allerdings ein Radiobericht, bei dem ein Experte dauernd von den „Neandertalern und Neandertalerinnen“ sprach. Das war kein Witz. Das war öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Irgendwie greift das Gendern so mit Hilfe von Uran-Thorium auch in urälteste Sphären. Aufgrund weiterer Funde wie gefärbter, durchbohrter Muscheln schwärmen Forscher von den symbolischen und kognitiven Fähigkeiten unserer Nicht-Ahnen. Und das Leipziger Max-Planck-Institut meldet auf seiner Website gar: „Neandertaler dachten wie wir.“ Worauf man/frau ergänzen könnte: auch die Neandertalerinnen!
Ich finde, diese anthropologiegeschichtliche Wende könnte den Homo sapiens, dessen lateinischer Name sich zum Ärger aller Gender-Fans bislang noch nicht feminisieren ließ, für einen Moment doch zum Innehalten bewegen.
Gerade bei Anglizismen wird es absurd: "Userin"
Natürlich spreche und schreibe ich alle Berufskollegen seit Langem auch als -kolleginnen an, oft vereinfacht mit einem * und dann im weiblichen Plural. Doch ehrlich gesagt, es nervt manchmal. Nicht als Mann, der nicht mit dem nur lautlich ähnlichen „man“ zu verwechseln ist. Sondern als Mensch: der die „Menschin“ mit einbegreift. Zwar heißt nur Adam biblisch und hebräisch „Mensch“, doch Eva gehört hier dazu.
Ja, das Gendern nervt, wenn es inzwischen bis hinein ins Neandertal oft schon völlig gedankenlos oder hysterisch übertrieben gebraucht wird. Die Kreuzung von beidem ist dann jene funktionärshafte, bürokratische Routine, mit der beispielsweise sozialdemokratische Politiker – etwa seit ihrem honorigen Exvorsitzenden Franz Müntefering – zu Beginn von Parteitagsreden regelmäßig von den „Genossen und Genossen“ sprechen. Das „-innen“ wird dabei fast immer verschluckt. Ähnlich geschieht das andernorts bei Konsumenten. Überhaupt sind es oft scheußliche Worte, die durch das „in“ weder weiblicher noch schöner werden. Besonders absurd wirkt das bei Anglizismen, etwa der neudeutschen „Userin“.
Jüngst hat der Bundesgerichtshof eine Klage abgewiesen, mit der eine achtzigjährige Sparkassenkundin erreichen wollte, von ihrer Bank auch in Formularen mit einer explizit weiblichen Endung angesprochen zu werden. Man (siehe oben) kann die Klägerin, die ja auch in dieser Funktion eine „in“ ist, einerseits verstehen. Ich habe sie hier (ohne eigens nachzudenken) eben auch als „Kundin“ bezeichnet. In einem an sie persönlich adressierten Schreiben sollte sie als „Sehr geehrte ...“ und selbstverständlich nicht als „Sehr geehrter ...“ tituliert werden. Aber ist in allgemeinen Formularen für Kontoinhaber eine „-haberin“ so toll erstrebenswert?
Der Genderstreit ist sehr deutsch
Man (siehe oben) muss immer wieder daran erinnern, dass das generische Maskulinum nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun hat. Der Mensch oder ein Gast kann jeweils eine Frau oder ein Mann (oder beides) sein, genau wie umgekehrt „die Person“. Weil ein Plural allemal weiblich klingt, meinen Artikel und Pronomina (die, sie, ihre) trotzdem auch maskuline Mehrheiten. Und: Der ganze Genderstreit hat ohnehin etwas sehr Deutsches.
Es gibt Sprachen, angeblich die Hälfte aller menschlichen Idiome, die überhaupt kein grammatisches Geschlecht kennen. Trotzdem denkt man in ihnen deswegen nicht mehr oder weniger emanzipativ und gleichberechtigt. Wir sollten die ganze Sache also bitte endlich entkrampfen. Statt mittlerweile diskutieren zu müssen, ob Schauspielerpreise oder Schriftstellerstipendien ihre Namen ändern sollen, weil sie natürlich auch Frauen auszeichnen. Nicht nur beim Streit um das schöne, völlig harmlose Gomringer-Gedicht an einer Berliner Hochschulfassade droht die nominalistische Sprachpolizei zur autoritären Gedankenpolizei zu werden. Das haben selbstbewusste Frauen, sagen selbstbewusste Frauen, nicht nötig. Und was sagt es wohl aus, dass der Tod im Französischen weiblich und die Sonne männlich ist? Auch Frauen lieben die Sonne, auch Männer müssen sterben.
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