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Die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop ist offiziell noch in Betrieb. Die Steinkohleförderung aber ist bereits beendet.
© picture alliance / dpa

Ende des Steinkohle-Bergbaus am 21. Dezember: "Ewigkeit heißt, so lange, wie Menschen dort leben"

Schicht im Schacht, Deckel drauf und gut? Eher nicht. Der sehr teure "Nachbergbau" wird deutlich länger dauern als die Steinkohleförderung. Ein Interview.

Christian Melchers leitet das "Forschungszentrum Nachbergbau" an der "Technischen Hochschule Georg Agricola" in Bochum. Wir sprachen mit ihm über die Zeit, nachdem die letzte Lore gefahren, das letzte Förderband abgeschaltet und das letzte Grubenlicht ausgegangen ist. (Dieses Interview erschien im Tagesspiegel erstmals bereits im November auf einer Spezial-Doppelseite zum Thema "Strukturwandel im Ruhrgebiet".)

Herr Professor Melchers, was passiert am 21.12. dieses Jahres, wenn die letzte deutsche Zeche schließt, in dem Bergwerk?

An dem Tag selbst passiert nicht Besonderes. Die Förderung ist bereits eingestellt, weil das Kontingent für dieses Jahr schon erreicht war. Es wird unspektakulär, aber es wird emotional sein. Wir verabschieden uns an diesem Tag schließlich komplett vom deutschen Steinkohlebergbau, der diese Region über 200 Jahre geprägt hat.

Jenseits des Symbolischen dieses Tages also: Wie läuft der Prozess einer Zechenschließung ab, wie ist der Übergang vom Bergbau zu dem, was Sie „Nachbergbau“ nennen?

Nachdem die Förderung gestoppt ist, muss fast alles, was der Mensch dort nach unter Tage gebracht hat, raus. Das ist das sogenannte „Rauben“. Und da geht es um sehr viel Material, Unmengen von Neonröhren zum Beispiel. Es müssen Tagesöffnungen (sämtliche Zugänge zu Schächten und Stollen, Anm. d. Red.) dauerhaft verfüllt werden, das geschieht meist mit Beton. Dann gibt es viele behördliche Abnahmen, ob alles vorschriftsmäßig umgesetzt wurde. Und dann macht der Letzte im wahrsten Sinne des Wortes das Licht aus.

Und das wird bei der letzten Zeche in Bottrop, die offiziell jetzt geschlossen wird, wann soweit sein?

Das wird noch bis 2020 dauern. Diese nachlaufenden Prozesse brauchen erfahrungsgemäß etwa ein bis zwei Jahre.

Bleiben die Schächte und Stollen trotzdem, für den Fall der Fälle, zugänglich?

Nein, gar nicht. Es wird keinen Zugang zur Lagerstätte mehr geben.

Man hält sich also die Option, dort irgendwann, ausgehend von vorhandener Infrastruktur untertage, vielleicht doch wieder zu fördern, nicht offen?

Nein. Das wurde zwar lange diskutiert. Das Problem ist aber, dass es sehr kostspielig wäre, das Grubengebäude (Schächte und Stollen samt Sicherung und Technik, Anm. d. Red.) zu erhalten. Wir sind da sehr tief in der Lagerstätte, da herrschen hohe Gebirgsdrücke, es gibt Grubenwasser, das abgepumpt werden muss. Und es können sich entzündliche Gemische aus Methan und Luft bilden. Man müsste also eine aufwändige Lüftung aufrechterhalten. In Summe ist das extrem kostspielig. Außerdem haben wir folgendes Problem: Um ein Grubengebäude aufrechtzuerhalten, bräuchte ich Bergleute, und die werden nicht mehr ausgebildet, und ganz schnell ist so dann auch das bergbauliche Wissen nicht mehr verfügbar.

Christian Melchers.
Christian Melchers.
© THGA

Wann wurde denn der letzte Bergmann ausgebildet?

Das weiß ich nicht genau, aber ich glaube mit dem endgültigen Beschluss 2012, dass 2018 Schluss ist, hat man aufgehört auszubilden.

Warum muss das Grubenwasser, obwohl es dort unten keinen Bergmann mehr bei der Arbeit stört, weiterhin abgepumpt werden? Und wie wird das gemacht, wenn es keinen Zugang mehr gibt?

Zurzeit läuft das noch durch große Kreiselpumpen, die unter Tage verbaut sind. Auch die müssen aber alle raus. Mit der Schießung des Bergwerkes wird das komplett umgebaut, von untertägig auf übertägig. Da gibt es überdimensional große Tauchpumpen, und die werden durch große Hüllrohre in den Schächten eingelassen. Derzeit gibt es noch dreizehn sogenannte Wasserhaltungsstandorte im Ruhrgebiet, sechs davon werden dauerhaft mit solchen Pumpen ausgestattet. Die anderen sieben werden als Reservestandorte umgebaut, bei denen man in der Zukunft, wenn es nötig würde, einen Zugriff auf das Grubenwasser hätte.

Warum ist das Grubenwasser überhaupt ein Problem?

Das Grubenwasser ist mineralisiert. Je tiefer man kommt, desto mehr. Das ist hier im Ruhrgebiet nichts anderes als Salz. Und wenn das mit Trinkwasser in Berührung käme, könnte das Trinkwasser dadurch beeinträchtigt werden.

Wie tief muss man die Spiegel dann halten, damit das nicht passiert?

Das ist die spannende Frage. Das weiß nämlich niemand. Die RAG (RAG Aktiengesellschaft, ehemals Ruhrkohle AG, Anm. d. Red.) hat jetzt in ihrem Konzept eine erste Lösung vorgelegt, mit sehr, sehr hohem Sicherheitsstandard. Auf Zeche Lohberg, wo mit 35 Millionen Kubikmetern das meiste Grubenwasser gepumpt wird, soll es auf 600 Metern Tiefe gehalten werden. Dort wird das Grubenwasser dann nach oben und in den Niederrhein gepumpt.

Sie nennen dieses Management des Grubenwassers eine Ewigkeitsaufgabe. Wie lange dauert diese Ewigkeit?

Nach heutigem Kenntnisstand so lange, wie Menschen in der Region leben werden. Die RAG geht davon aus, dass sie pro Jahr etwa 80 Millionen Kubikmeter Grubenwasser pumpen wird, bis in alle Ewigkeit.

Wieviel kostet das pro Jahr?

Die Ewigkeitsaufgaben kosten nach 2018 jedes Jahr 220 Millionen Euro. Das Grubenwasser-Management macht dabei etwa zwei Drittel aus. Dazu kommt die Grundwasserreinigung auf ehemaligen belasteten Bergbaustandorten, etwa dort, wo Kokereien standen, und die Wasserwirtschaft in Bergesenkungsgebieten.

Bergsenkungsgebiete?

Wir haben ja Bruchbergbau betrieben: Kohle raus, Stollen zusammengefallen. Großteile des Ruhrgebietes sind also auf diese Weise abgesenkt und in diesen Senkungen findet kein natürlicher Abfluss mehr statt. Deswegen müssen diese Wässer gepumpt werden. Das sind jedes Jahr 850 Millionen Kubikmeter. Wenn wir die Pumpen an der Oberfläche - die rein gar nichts mit dem Grubenwasser zu tun haben - ausschalten würden, hätten wir relativ schnell eine westfälische Seenplatte.

Wer bezahlt die 220 Millionen pro Jahr?

Die RAG-Stiftung. Sie wurde 2007 gegründet und entstand aus Unternehmensbereichen der RAG. Das ist insofern schon eine Erfolgsgeschichte, als dass der ehemalige Betreiber tatsächlich für die Folgekosten aufkommt. Die Stiftung hat derzeit ein Vermögen von fast 18 Milliarden Euro.

Wie ist es anderswo?

Gerade dort, wo die Flächen groß sind, ist es sehr häufig so: Da wird ein Zaun drum gemacht, ein Schild hingestellt: „Verlassenes Bergwerk, Betreten verboten“, und damit fertig. Das ist in großen Teilen Afrikas sehr schlimm, aber auch in großen Teilen Amerikas, Australiens oder Russlands.

Was sind die Folgen?

Die sind unvorhersehbar. Das sind offene Grubenanlagen, tickende Zeitbomben für Umwelt und Grundwasser.

Sie sind Professor für Nachbergbau, also auch Forscher. Was erforschen Sie?

Wie schon gesagt, man weiß nicht, was der sinnvolle Grubenwasserspiegel ist. Wir arbeiten daran, ein nachhaltiges Grubenwasseranstiegsniveau zu ermitteln. Es macht ja keinen Sinn, auf Dauer große Mengen Wasser aus großen Tiefen zu pumpen, so wie wir es derzeit sicherheitshalber machen, wenn es dafür keine begründete Notwendigkeit gibt.

Wann werden Sie wissen, wie hoch Sie das Grubenwasser ansteigen lassen können?

Wir haben eine Vielzahl an Forschungsvorhaben, bei denen es genau darum geht. Die akademische Ewigkeitsaufgabe ist das Monitoring. Wir müssen die Prozesse beobachten, damit wir sie verstehen. Grubenwasseranstieg wurde bis jetzt noch nie wissenschaftlich untersucht. Es gibt schon heute Hinweise, dass wir es deutlich höher als jene 600 Meter ansteigen lassen können. Beispielweise wird das Grubenwasser salz- und schadstoffärmer, je höher es steigt, weil weiter oben eben die stark mineralisierten Zuflüsse fehlen.

Ergeben sich auch Schichtungen, also physikalisch bedingte Trennungen unterschiedlich salzhaltigen Wassers, so wie im Ozean?

Ja. Es gibt Gruben, die sind schon seit 20 Jahren geflutet. In diesen Schächten gibt es eine scharfe Trennung zwischen gering mineralisierten Grundwässern und hochmineralisierten Grubenwässern. Selbst bei Kontakt gibt es kaum Vermischung. Das ist eine natürliche geochemische Barriere, die untersuchen wir.

Wie macht man da Messungen?

Wir haben Grubenwassersonden konzipiert, mit denen können wir flächendeckend Dinge wie Salzgehalt, Fließrichtung, Fließgeschwindigkeit, Grubenwasserspiegel und Temperatur messen. Dadurch bekommen wir ein vertieftes Verständnis dieses Prozesses.

Wie viele Arbeitsplätze hängen am Nachbergbau?

Im Bereich der RAG sind es etwa 500. Dazu kommen die ganzen Wasserverbände. Insgesamt sind es sicher mehrere tausend Arbeitsplätze, die an den Ewigkeitsaufgaben hängen.

Inwiefern sind ehemalige Bergwerke für neue Zwecke nutzbar, etwa als Pumpspeicherwerke?

Da sind die Überlegungen sehr weit fortgeschritten. Eine Studie, die das Land in Auftrag gegeben hat, belegt die grundsätzliche Machbarkeit. Allerdings wäre dies derzeit überhaupt nicht wirtschaftlich. Aber wir brauchen für das Projekt Energiewende Speicher. Wir haben aber keine. Angesichts dieser Tatsache spielt die reine Ökonomie irgendwann vielleicht nicht mehr die wichtigste Rolle.

Was für andere Möglichkeiten gibt es, jenseits musealer Nutzung?

Wir haben warmes Grubenwasser, 30 Grad. Uns fehlen zurzeit noch schlaue Ideen, dieses Potenzial energetisch zu nutzen. Wir haben viele Halden, die eignen sich für Windkraft und Photovoltaik. Das größte Potenzial, das der Bergbau hinterlässt, sind aber die Flächen. Er wird sukzessive zwölfeinhalbtausend Hektar freigeben, und das in einer Metropole wie dem Ruhrgebiet. Das hat keine andere Metropole auf der Welt. Hier ist auch ein Potenzial, diese Metropole ganz neu zu denken

Die Fragen stellte Richard Friebe.

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