Visualisierung von Antibiotikaresistenzen: Evolution im Zeitraffer
Ein lebendes Filmplakat brachte einen Forscher auf eine ungewöhnliche Idee: Er baute eine 1,2 mal 0,6 Meter große Petrischale. Damit zeigt er, wie schnell Bakterien resistent werden.
Erst waren es nur zwei Acrylschalen, 1,8 mal 0,6 Meter groß, beigefarben befüllt und nichtssagend. Der Schriftzug darunter versprach: „Am 9. September im Kino“. Irritiert schauten sich Passanten die Installation hinter Glas genauer an. Es dauerte fast zwei Wochen, bis das Rätsel gelöst war. Die Behältnisse waren Petrischalen, in denen 35 gelb, rot und grünblau leuchtende Bakterien- und Pilzarten wuchsen. Die Mikroben formten das Wort „Contagion“. So hieß der Film, der 2011 in Toronto Premiere hatte.
Auf das lebende Filmplakat, das ein schottischer Pilzforscher für Warner Bros gestaltet hatte, dürften die meisten Kinofans mit Faszination und Ekel reagiert haben. Den Biologen Roy Kishoni dagegen brachte es auf eine Idee. Mithilfe einer solch riesigen Petrischale und Zeitrafferaufnahmen könnte man Medizinstudenten intuitiv vermitteln, wie schnell Bakterien mutieren und sich an immer höhere Antibiotika-Konzentrationen anpassen, meinte der Forscher, der sowohl an der Harvard Medical School in Boston als auch am Technion in Haifa arbeitet. Ganz nebenbei wäre es eine Gelegenheit, die Mechanismen dieser Evolution zu analysieren. Die Ergebnisse stellen er und seine Kollegen nun im Fachblatt „Science“ vor.
Es war, als würde die Grenze löchrig
Die Forscher haben die Riesen-Petrischale in neun Banden unterteilt und mit schwarz gefärbten Agar, einer gelatineartigen Nährkultur aus den Zellwänden von Algen, befüllt. In die äußersten Banden gaben sie gar kein Antibiotikum, in die zweite eine Dosis, die das Bakterium E.coli gerade so abtötet. Dann erhöhten sie die Konzentration schrittweise um den Faktor zehn. In der Mitte der Acrylschale war daher 1000 Mal so viel von dem Mittel Trimethoprim enthalten, als nötig ist, um einem nicht resistenten E.coli-Keim den Garaus zu machen.
Als sie am Rand E.coli dazu gaben, verwandelten die Bakterien die äußerste Bande schnell in ein weißes Feld. In den Zeitrafferaufnahmen wirkt es nach einer kurzen Pause, als würde die Grenze zur nächsten Bande löchrig. Die Bilder zeigen die ersten Mutanten, denen eine geringe Dosis des Antibiotikums nichts ausmacht. Angesichts des reichen Nährstoffangebots verbreiten sie sich fächerförmig über die Bande, bis auch diese ganz besiedelt ist. Das Spiel wiederholt sich innerhalb von zehn Tagen bis zur Mitte, mit bloßem Auge sind regelrechte Abstammungsbäume der Mutanten erkennbar.
„Mit der Petrischale werden abstrakte Konzepte wie parallele Evolution, Selektion von Mutanten und Abstammungslinien für jeden greifbar“, sagt Kishoni. Für Experten ergeben sich unter anderem Einsichten darüber, wie die Mutanten in Zeit und Raum koexistieren und miteinander konkurrieren. Nicht immer seien es besonders resistente Varianten, die das Rennen zur nächsten Bande machen, sagt Kishoni. Oft seien schlicht Standort und Schnelligkeit entscheidend. Das bestätigten die Erbgutanalysen, die die Forscher zusätzlich machten.
Jana Schlütter