Bericht zum Artensterben: Es sieht nicht gut aus – für den Menschen
Der Biodiversitätsbericht zeigt mehr als die Bedrohung der Artenvielfalt. Er ist ein Weckruf für die Menschheit.
Im Juli wird ein älterer Herr Geburtstag feiern. Er heißt James Lovelock und es wird sein hundertster sein. Lovelock ist Mitbegründer der Gaia-Hypothese, der zufolge alle Lebewesen global gemeinsam wie ein großer Organismus funktionieren. Gaia ist in der griechischen Mythologie die personifizierte Erde. Auch wenn das für manchen vielleicht esoterisch klingt, die Gaia-Hypothese ist wissenschaftlich anerkannt: Die Erde ist ein großes Ökosystem, in dem alles mit allem zusammenhängt.
Dass dieses System aus dem Gleichgewicht ist, zeigt der am Montag vorgelegte Bericht des Weltbiodiversitätsrates. Etwa eine Million Arten seien akut bedroht, heißt es darin. Das war eigentlich auch schon bekannt. Der Bericht sagt aber aber vor allem eins: Zu den bedrohten Spezies gehört auch der Mensch, weil er seine eigene Lebensgrundlage zerstört.
Die Erde hat "Mensch"
Als Lovelock einmal bei einer Diskussion gefragt wurde, wie Gaia - also das Gesamtökosystem Erde - denn am Ende des 21. Jahrhunderts mit dann zehn oder zwölf Milliarden Menschen funktionieren werde, antwortete er nicht, dass Menschen dann ökologischer würden leben müssen. Er sprach auch nicht von neuen Technologien oder Arten des Wirtschaftens. Er sagte, am Ende des Jahrhunderts würden wohl eher nur noch um die eine Milliarde Menschen auf der Erde leben.
Niemand kennt die Zukunft. Was man einigermaßen kennen kann, ist die Gegenwart. Und aus deren Zustandsdiagnose kann man Prognosen ableiten. Das geht heute aufgrund immer ausgereifter werdender wissenschaftlicher Methoden, Datenerfassung und -auswertung auch besser als noch vor ein paar Jahren. Einen solchen Gesundheits-Check für die Erde haben die Teilnehmer der Vollversammlung des Weltbiodiversitätsrates in Paris nun also vorgelegt. Diagnose: Es geht ihr nicht gut.
Und weil der Patient wirklich ernsthaft angeschlagen zu sein scheint, wird auch noch eine Zweitmeinung eingeholt, von Experten des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Auch sie wird noch dieses Jahr erscheinen. Vorab wurde bekannt, dass auch hier die Diagnose ähnlich ausfallen wird.
"Transformative Veränderungen"
Folgt man Lovelock, so hat das Leben auf der Erde in seinen 3,8 Milliarden Jahren sich immer wieder ins Gleichgewicht gebracht. Selbst nach schwerem Beschuss durch Asteroiden etwa vor 65 Millionen Jahren. Lovelock meint, das werde ihr auch diesmal gelingen - indem sie sich ein paar Milliarden Menschen entledigt. Und auch der Bericht des Biodiversitätsrats und der des UN-Umweltprogramms sagen im Grunde dasselbe: Es geht nicht um "die Natur" – oder einzelne ikonische Arten. Es geht darum, ob und wie Menschen auf der Erde in Zukunft werden leben können.
Beide Berichte sehen dafür massive, "transformative" Veränderungen als notwendig an. Nicht um irgendeine Natur zu schützen oder um drei oder auch 1000 Arten vor dem Aussterben zu retten, sondern um den einen zur Verfügung stehenden Planeten für nicht eine, sondern erst einmal für ein Dutzend Milliarden Menschen nachhaltig und lebenswert bewohnbar zu erhalten.
Die Mittel dafür hat Homo sapiens. Technologisch – und hoffentlich auch emotional und intellektuell. Denn es wird auch um Verzicht gehen müssen. Und – von der Mobilität über die Ernährung bis hin zur Fortpflanzung – um Kompromisse. Um Einsicht. Die Menschen können sich entscheiden. Sonst entscheidet vielleicht wirklich Gaia.