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Dreh- und Angelpunkt. Nach einem Tag am Strand trifft man sich in San Sebastián auf der Plaza de la Constitución in der Altstadt.
© mauritius images

Spanien: Es leuchten die Sterne

San Sebastián im Baskenland wird 2016 zur Kulturhauptstadt Europas gekrönt. Als Hort der Feinschmecker hat das mondäne Seebad schon lange einen guten Ruf.

Manche nennen sie „die Wundertüte an der Biskaya“. Nicht zu Unrecht. Denn San Sebastián ist seit vielen Jahren ein Ort, der Besucher überrascht. Die ausladende Bucht lockt Heerscharen von Surfern an, die knapp 200 000 Einwohner zählende Stadt selbst zieht mit diversen Festivals Jazz- und Filmfreunde in ihren Bann, und nicht zuletzt gilt sie als Mekka von Feinschmeckern, die nicht nur, doch vor allem auch der baskischen Küche zugetan sind. Als Krönung gewissermaßen trägt Donostia, so der baskische Name, im kommenden Jahr den Titel „Kulturhauptstadt Europas“, eine Ehre, die sie sich mit dem polnischen Wroclaw (Breslau) teilen wird.

Selbst Einheimische geraten ins Schwärmen, wenn sie über San Sebastián sprechen. Schnell begreift auch der Besucher, warum das Unternehmen von Fremdenführerin Jone Karres Azurmendi „ Adorebasque“ heißt. Das bedeutet so viel wie „Liebe für das Baskische“. Jone erzählt von der baskischen Sprache, der eigenen Kultur – und von Hautproblemen. Es waren nämlich Hautreizungen, die dazu führten, dass die Stadt zu einem der attraktivsten Seebäder und Urlaubsziele Spaniens wurde, versichert die Deutsch-Baskin.

Bereits Isabella II. und ihr gesamter Hofstaat wussten das Seeklima und Meerwasser zu schätzen. Denn die Königin plagten durchaus bürgerliche Nöte: Sie litt an Herpes. Doch sie hörte auf einen aufgeschlossenen Arzt. Und der empfahl ihr Salzwasser, ein Bad im Meer gar, man denke nur! So ließ sich die 63-Jährige 1845 tatsächlich zum ersten Mal im Badekarren von zwei Ochsen ans Wasser ziehen und tauchte prustend ein.

Was aber einer Herrscherin genehm ist, steht dem Adel allemal gut an: Bald kam ein Badeaufenthalt in San Sebastián in Mode. Ende des 19. Jahrhunderts fanden die Reichen und Schönen Europas sich ein, lustwandelten und ließen im Casino, das heute das Rathaus ist, die 1869 eingeführten Pesetas rollen. Ihre Anwendungen nahmen die Noblen im Strandbad La Perla – das immer noch in seiner ganzen historischen Pracht von 1912 Thalasso-Therapien anbietet, mit direktem Zugang zum Meer.

Später verbrachte auch General Franco Jahr für Jahr seinen Sommerurlaub hier – ein Gast, an den die Stadt sich eher mit Abscheu erinnert: Am Denkmal für die Opfer des Diktators stecken immer frische Nelken.

Lange wurde die Stadt wegen der Attentate der Eta gemieden

Heute besteht die Prominenz hauptsächlich aus Hollywood-Stars, die im September zum Internationalen Filmfestival nach San Sebastián kommen. Julia Roberts, Brad Pitt, Meryl Streep, Robert de Niro: Sie alle mögen diese Stadt. Aber natürlich nicht nur die: „Unsere Einwohner halten San Sebastián für eine der schönsten Städte der Welt, und wissenschaftliche Umfragen belegen, dass sich dies tatsächlich auch auf die Zufriedenheit der Menschen hier auswirkt“, erzählt Bürgermeister Eneko Goia.

Von ausländischen Urlaubern wurde die Stadt wegen der Attentate der Terrororganisation Eta allerdings lange gemieden. Vor vier Jahren beendeten die Separatisten dann ihren militanten Kampf für die Unabhängigkeit des Baskenlandes. Seitdem kommen wieder mehr Touristen.

Spätestens mit der internationalen Aufmerksamkeit des Europäischen Kulturhauptstadtjahres dürfte es mit dem Geheimtipp-Status vorbei sein. Mit mehr als 60 Kulturveranstaltungen – von Antikriegsfestivals bis zu baskisch-kulinarischen Interpretationen von Shakespeares „Sommernachtstraum“ – sollen Einheimische und Besucher überrascht werden. Die Leitmotive der Veranstaltungen: Menschenrechte, besseres Zusammenleben und Wellen bürgerlicher Energie.

„Schon jetzt ist das kulturelle Angebot für eine Stadt mit nur 185 000 Einwohnern ungewöhnlich groß“, versichert Xabier Paya. Der Direktor des EU-Kulturhauptstadt-Programms erinnert vor allem an die zahlreichen Internationalen Film- und Musikfestivals, die jedes Jahr Zigtausende, hauptsächlich spanische Kultur-Urlauber anlocken.

Die meisten Urlauber kommen wegen der Gaumenfreuden

Es existiert sogar ein Surffilm-Festival. Immerhin genießt San Sebastián international den Ruf einer erstklassigen Surfdestination. „Eigentlich fing hier und im benachbarten Biarritz erst das Surfen in Europa an“, erklärt Joseba Urrutia von der Surfschule Pukas. „Die Qualität unserer Wellen ist einfach unglaublich, speziell hier am Zurriola-Strand, wo man das ganze Jahr über surfen kann.“ Bis zu 30 Prozent aller ausländischen Touristen sind jugendliche Surfer.

Die meisten Urlauber kommen jedoch wegen der Gaumenfreuden. San Sebastián gilt als die unbestrittene Gourmet- Welthauptstadt. Mit 16 Michelin-Auszeichnungen gibt es hier die größte Sterne-Dichte der Welt. Schau’n wir mal.

Vorfreude ist schon der halbe Genuss: Das Stückchen dunklen Fleisches auf der Weißbrotscheibe wird gekrönt von einem Tupfer purpurfarbener Soße, im beschlagenen Glas daneben prickelt wasserhell der Wein – so kann der Abend beginnen. Ein letzter Blick, ein erster Biss: Die zartrosa gebratene Entenleber schmilzt geradezu auf der Zunge, umspielt von der herben Süße der Waldbeeren, der unkomplizierte, spritzige Txakoli, der direkt aus den Tanks in Flaschen abgefüllt wird, ist der ideale Begleiter dazu. Zahlen, Juan!

In der nächsten Bar wartet schon Santiago mit seiner Waffel mit Käse und Anchovis, dann das geschmorte Rinderbäckchen in der Casa Gandarias, der Stockfisch, der Pulpo Gallego, die Oliven, die mit Wermut-Essenz gefüllt sind...

Ein Abend mit Pintxos ist wie eine gastronomische Reise in die Region

Abhängen bei kleinen Schweinereien in einer Tapas-Bar bleibt der Hit.
Abhängen bei kleinen Schweinereien in einer Tapas-Bar bleibt der Hit.
© Alamy

Doch es geht auch einfacher, preiswerter, dabei nicht weniger verführerisch: Pintxos, „Spießchen“, sind die baskische Variante der spanischen Tapas, und ein Abend mit Pintxos ist so etwas wie eine gastronomische Reise in die Region. Ob im La Cepa, im Mesón Martin oder in einer der hundert anderen Bars – immer geht es dabei laut und fröhlich zu, und es herrscht ein stetes Kommen und Gehen. In zwei, drei Reihen drängen sich die Gäste um die Theke, laden ihre Lieblingshäppchen auf Teller, und aus der Küche reißt der Nachschub nicht ab: gebratene Steinpilze, Nierchen in Soße, eine Creme vom Taschenkrebs...

Satt essen möchte sich hier niemand. Ein, zwei Portiönchen, dann geht es weiter. Pintxos sind die Kunst des Kleinen, aber sehr Feinen – es geht darum, den Gaumen bei Laune zu halten. Und vermutlich kommt man dem Geist von San Sebastián nie näher als bei einem Zug mit Freunden durch die Bars.

Der zweite Grund, die Stadt am Golf von Biskaya zu besuchen, heißt: Lage, Lage, Lage. Sanft schmiegt sie sich in die Concha, die türkisfarbene Bucht mit ihrem sichelförmigen Strand, die an beiden Ecken von zwei Hügeln eingefasst und zum offenen Meer hin von der Insel Santa Clara begrenzt wird. Zwar sind die sieben-, achtstöckigen Blocks aus den 60er und 70er-Jahren in vorderster Reihe wenig attraktiv, bilden jedoch gemeinsam mit den Villen vom Anfang des Jahrhunderts eine so geschlossene Einheit, dass sie als einzelne nicht mehr ins Auge fallen – zumindest aus der Ferne.

Vor allem nachts, wenn die funkelnden Lichter sich im schwarzen Wasser spiegeln wie ein Geschmeide, wird San Sebastián zu einer geradezu festlichen Erscheinung.

Drei Liter Apfelwein standen jedem Besatzungsmitglied pro Tag zu

Das Interesse an der eigenen, der baskischen Geschichte ist bei den Basken nach wie vor groß. Das Museum San Telmo, aus dessen durchlöcherter, moderner Fassade Pflanzen wachsen, greift diese Historie auf fünf Stockwerken auf. Eine Multivisionsschau stellt die Frage, wie so etwas wie baskische Identität mit den Anforderungen einer modernen Welt in Einklang zu bringen sei.

In der ehemaligen Werft Albaola im Stadtteil Pasaia San Juan bauen Schiffszimmerleute den Walfänger „San Juan“ nach, der 1563 an eben diesem Ort vom Stapel gelaufen und schon bald darauf vor Labrador gesunken war. Die Eichenplanken für den Rumpf, Eisen für die Nägel, Harz, selbst der Hanf, aus dem die Taue gedreht wurden – fast alles Nötige kam aus der Region.

Verloren gegangen aber ist das Wissen, wie damit umzugehen ist. Und deshalb durchlaufen die Schiffsbauer einen schmerzlichen Lernprozess: Der 50 Meter lange Buchenstamm etwa, der ursprünglich für den Kiel vorgesehen war, spaltete sich, weil er zu lange zu trocken gelagert wurde. Mühsam tasten sie sich von Irrtum zu Irrtum zur Erkenntnis vor. In einer Ausstellung erfährt der Besucher alles Wissenswerte über die Hebung der gesunkenen „San Juan“ vor Labrador 1978, die Jagdtechnik und die damalige Ausstattung eines Walfängerschiffs – drei Liter Apfelwein etwa standen jedem Besatzungsmitglied pro Tag vertraglich zu.

Ein Ort für die Hautevolee ist die Stadt längst nicht mehr

Einem ganz anderen Stück alltäglicher Geschichte, das bis in die Gegenwart reicht, begegnet man gegenüber im Pasaia Donibane: An den Fassaden der schmucken Fischrestaurants hängen Plakate, die fordern: „Etxera“ – sie sollen nach Hause! Nach dem von der Eta ausgesprochenen Waffenstillstand sollen jetzt die Gefangenen, die in Gefängnisse über ganz Spanien verteilt sind, zurück ins Baskenland.

Unser Fazit: Ein Ort für die Hautevolee ist die Stadt längst nicht mehr. Sie ist ein sehr grünes, sehr entspanntes Fleckchen Erde geworden, mit breiten Boulevards, kleinen Geschäften und leicht französischem Flair: Die Nachbarn decken sich hier gern mit Wein und Zigaretten, Benzin und Klamotten ein. Die Stadtväter spendieren viele Blumen und Bänke, und wenn die Sonne durchkommt – leider regnet es an gut 190 Tagen des Jahres – scheint Jung und Alt auf den Beinen. Fröhliche Lässigkeit herrscht, und es hat den Anschein, die ganze Stadt hat unendlich viel zu bereden.

Natürlich gibt es, neben Politik, Ruderregatta und dem jüngsten Sieg der Fußballer von Real Sociedad ein Lieblingsthema in Bars und Restaurants: Schon gehört, Antonio versucht wieder mal was Neues? Anchovis auf karamelisierten Zwiebeln, mit einem Wachtelei und Chili-Confit. Was meint Ihr, sollten wir nicht gleich mal...

Tipps fürs Baskenland

ANREISE

Von Berlin-Tegel aus beispielsweise mit Germanwings nach Barcelona und weiter mit Vueling ab 210 Euro. Alternativ: Tegel–Bilbao und zurück für rund 200 Euro. 90-minütige Busfahrt nach San Sebastián: 15 Euro.

ÜBERNACHTEN

Hotel Niza: Das Haus liegt direkt an der Promenade, hat teilweise eher kleinere, aber saubere Zimmer, eine Lobby mit Stilmöbeln und das empfehlenswerte moderne Restaurant „Narru“. Zugreifen, wenn ein Zimmer frei ist (Telefon: 00 34 / 943 / 42 66 63); Doppelzimmer ohne Frühstück ab etwa 107 Euro

Hotel Zaragoza Plaza: Lage und Preis-Leistungs-Verhältnis okay. Zentral, zweite Reihe zur Concha, fünf Minuten vom Zentrum, ordentliche Zimmer (Telefon: 00 34 / 943 / 45 21 03); Doppelzimmer mit Frühstück ab 70 Euro

ESSEN UND TRINKEN

Akelarre, Arzak, Martín Beratsegui und Mugaritz heißen die Drei- und Zwei-Sterne-Restaurants – wer dort einen Platz ergattern will, sollte sehr rechtzeitig reservieren. Doch es gibt auch viele andere gute Restaurants und mehr als 100 Pintxo- Bars. Die meisten finden sich in der Altstadt in den Straßen Fermín Calbeton und 31 de Agosto. Ein „Spießchen“ kostet zwischen 1,50 und 3 Euro. Das Tourismusamt vertreibt einen gedruckten gastronomischen Führer und organisiert auch geführte Pintxo-Touren.

AUSKUNFT

San Sebastián Turismo, Boulevard 8, Telefon: 00 34 / 943 / 48 11 66.

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