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In einem Schulflur wird mit einem Schild um gebeten, die "Ruhezone Abitur" zu respektieren.
© Julian Stratenschulte/dpa
Update

Kritik an Absage des Nationalen Bildungsrats: "Es geht nicht um ein Diktat aus Berlin"

Der Nationale Bildungsrat hat offenbar keine Chance auf Realisierung. Ein führender Bildungsforscher ist alarmiert: Jetzt bleibe es bei der Unverbindlichkeit.

Einer der der maßgeblichen deutschen Bildungsforscher übt scharfe Kritik an der Absage des Nationalen Bildungsrats durch Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Manfred Prenzel, inzwischen Leiter des Zentrums für LehrerInnenbildung an der Universität Wien und früherer Deutschland-Chef der Pisa-Studie, äußert sich "sehr erstaunt über diese Wendung, die ich nicht nachvollziehen kann". Die Chance, im deutschen Bildungssystem "herauszufinden aus egozentrischen Betrachtungen, die sich nur ums eigene Land drehen", drohe verspielt zu werden, sagte Prenzel am Montag dem Tagesspiegel.

Am Sonntag hatte wie berichtet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CDU) dem im Koalitionsvertrag von Union und SPD beschlossenen Nationalen Bildungsrat eine endgültige Absage erteilt. Er wolle das bayerische Abitur behalten - "und kein Zentralabitur aus Berlin" bekommen. Im Oktober hatte Söder bereits davor gewarnt, das Gremium könnte "ein bürokratisches Monster werden", mit dem der Bund "in die Klassenzimmer" hineinregieren würde.

Aus den unionsregierten Ländern kam prompt Unterstützung: Auch Baden-Württembergs Bildungsministerin Susanne Eisenmann und Hessens Kultusminister Alexander Lorz, der auch Präsident der Kultusministerkonferenz ist, distanzierten sich erneut von dem Projekt. "Der Nationale Bildungsrat ist ein komplett überflüssiges Gremium", bekräftigte Eisenmann am Montag. Die Länder seien "stark genug, um selbst verbindliche und einheitliche Standards zu entwickeln". Sie setze jetzt ganz auf einen entsprechenden "Länderstaatsvertrag für gute Bildung".

Mehr Transparenz und Evidenzbasierung

Bildungsforscher Manfred Prenzel weist Söders Argument gegen den Nationalen Bildungsrat zurück: "Es ging um Empfehlungen und darum, eine gemeinsame Linie zu finden - und nicht um ein Diktat aus Berlin." Prenzel war von 2014 bis 2017 Vorsitzender des Wissenschaftsrats, nach dessen Prinzipien auch der Bildungsrat arbeiten sollte. "Der Nationale Bildungsrat sollte die gesamte Bildungskette von der Kita bis zum lebenslangen Lernen in den Blick nehmen", sagt Prenzel, "und dabei auch durch die Beteiligung der Bildungsforschung für mehr Transparenz und Evidenzbasierung sorgen."

Baustellen, die der Bildungsrat hätte bearbeiten können, sind aus Prenzels Sicht weniger die einzelnen Abituraufgaben, als vielmehr die Frage, "inwiefern es sinnvoll ist, gemeinsame Vorgaben und Strukturen etwa für das Abitur in Deutschland zu entwerfen und wie weit die Gemeinsamkeiten gehen können und müssen". Als weitere dringende Themen für das Gremium nennt Prenzel die Digitalisierung des Bildungswesens, die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und das lebenslange Lernen.

Die Sorge Söders, mit dem Nationalen Bildungsrat würde "Berlin" in den Bildungsföderalismus hineinregieren, hält Prenzel für vorgeschoben. In Wahrheit sei doch offenbar ein Gremium nicht gewollt, "das versucht, die Politik in Bewegung zu bringen". Können die notwendigen Absprachen und Reformen auch über einen Staatsvertrag unter den 16 Ländern geregelt werden, wie Susanne Eisenmann ankündigt? Prenzel ist skeptisch, hier drohe eine ähnlich "große Unverbindlichkeit" wie bei den jetzigen Ländervereinbarungen in der KMK.

Karliczek: Bildungsrat "keine Erfindung des Bundes"

Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wirft Söder vor, "ganz bewusst einen falschen Eindruck erweckt" zu haben. Von einem "Berliner Zentralabitur" könne gar keine Rede sein, sagte Karliczek am Montagmittag vor der Presse. Auch sei der Bildungsrat "keine Erfindung des Bundes". Markus Söder und die gesamte CSU hätten "sehr aktiv am Koalitionsvertrag" und damit an der Einigung auf das Beratungsgremium mitgewirkt. Damit sei man eine Selbstverpflichtung eingegangen.

Die Verwaltungsvereinbarung zum Nationalen Bildungsrat war denn auch von Bund und Ländern bereits ausgehandelt worden. Sie umfasst im Kern kaum mehr als zehn Punkte - und sei schon dadurch "kein bürokratisches Monstrum", sagt Karliczek. Gescheitert ist das Gremium offenbar an der Stimmverteilung zwischen Bund und Ländern. Wie berichtet, hatte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) vorgeschlagen, dass die Länder 16 Stimmen, der Bund 13 Stimmen und die Kommunen drei Stimmen im Nationalen Bildungsrat bekommen sollten - mit Karliczeks Einverständnis.

Damit niemand Angst haben müsste, überstimmt zu werden, sollte es eine verpflichtende Zweidrittel-Mehrheit sowie ein Länderquorum von 13 Stimmen für alle Beschlüsse geben. Doch das reichte Söder, Eisenmann und ihren Mitstreitern offensichtlich nicht.

"CSU und Grün-Schwarz für Durcheinander verantwortlich"

Karliczek erklärte jetzt eine unabhängige Expertise auch "anlässlich des deutschen Abschneidens bei nationalen und internationalen Bildungsvergleichsstudien" für unerlässlich. Deutschland "steht überall im Mittelfeld - und damit können wir nicht zufrieden sein". Ob auch ein Bildungsstaatsvertrag hohe Qualitätsstandards und eine hohe Vergleichbarkeit der Schulsysteme und -abschlüsse, Transparenz und Mobilität gewährleisten könne, müssten die Länder jetzt unter Beweis stellen.

Ties Rabe, der die SPD-regierten Länder in der KMK koordiniert, bekräftigte, dass der Nationale Bildungsrat "auf Wunsch der CSU in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, um mehr Gemeinsamkeit in der Schulpolitik durchzusetzen". Wer sich über die unterschiedlichen Schulsysteme, Noten und Prüfungen in Deutschland ärgere, "weiß jetzt wenigstens ganz genau, wer für dieses Durcheinander verantwortlich ist: die CSU und das Grün-Schwarz-regierte Baden-Württemberg", teilte Rabe am Montag mit.

"Taktieren auf dem Rücken der Bildungsqualität"

Der Ausstieg Bayerns und Baden-Württembergs aus dem geplanten Nationalen Bildungsrat wurde am Montag auch von der SPD-Bundestagsfraktion kritisiert. Der bildungspolitische Sprecher Oliver Kaczmarek sagte am Montag im "Südwestrundfunk", es handele sich hier um ein "Taktieren auf dem Rücken der Qualität des Bildungswesens". Für das künftige Bildungsniveau in Deutschland sei das "wirklich eine fatale Entwicklung".

In den vergangenen Monaten habe der Süden die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Bildungsrates blockiert, kritisierte Kaczmarek. "Offensichtlich gibt es in der Union keine gemeinsame Haltung zu zentralen Fragen des Koalitionsvertrages", in dem der Nationale Bildungsrat verabredet worden war.

Katja Suding, stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und im Bundestag eine der Bildungsexpertinnen ihrer Fraktion, kritisierte am Montag Bayern und Baden-Württemberg. Beide Länder "enttäuschen die Hoffnungen der großen Mehrheit der Bürger, die deutschlandweit einheitliche und hochwertige Standards in der Bildung wollen", sagte Suding dem Tagesspiegel. Bundesweit habe "fast niemand mehr" Verständnis für den Flickenteppich in der Bildung, Umzüge mit schulpflichtigen Kindern seien noch immer eine Zumutung.

"Bildungsföderalismus macht sich überflüssig"

Nicht mehr länger hinnehmbar sei es, dass die Abiturnoten aus den einzelnen Bundesländern nicht vergleichbar sind, "obwohl sie über Studienplätze und Lebenschancen entscheiden", so Suding. Auch voll ausgebildete Lehrkräfte seien nicht in allen Bundesländern einsetzbar. "Deutschland braucht dringend eine Reform des Bildungsföderalismus, damit die Bildungschancen von Kindern nicht länger von ihrem Wohnort abhängen", forderte Suding.

Wenn sich die Länder nicht endlich auf die Nutzung der lange vereinbarten Bildungsstandards und der vom IQB entwickelten gemeinsamen Aufgaben für ein Kernabitur einigten, "macht sich der Bildungsföderalismus überflüssig".

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, bedauerte das Aus für den Bildungsrat ebenfalls. Dieser hätte die Chance geboten, „das deutsche Bildungswesen im europäischen und internationalen Vergleich zu stärken“. Nun aber "obsiegen Kleinstaaterei und der kleinliche Blick auf das eigene Bildungswesen“, so Zimmermann. Jetzt seien die anderen Länder und die Bundesbildungsministerin aufgerufen, "mit dem Scherbenhaufen, den Bayern und Baden-Württemberg angerichtet haben, konstruktiv umzugehen. Für den SPD-Bildungsexperten Ernst Dieter Rossmann sind die Einwände Bayerns und Baden-Württembergs "so absurd, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es nicht doch zu einer Einigung unter vernünftigen Menschen kommt“. (mit AFP/KNA)

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