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Schnitt durch die DNS. Die Gen-Schere Crispr könnte helfen, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, sagen Forscher. Doch Europa bremse die Möglichkeiten aus.
© imago/Science Photo Library

Reaktionen auf den EuGH zur Gen-Schere Crispr: „Ein richtig schlechtes Urteil“

In Deutschland sind nach dem EuGH-Urteil viele Wissenschaftler entsetzt über die Einschränkungen für die Gen-Schere Crispr. Sie fürchten weltweite Folgen.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu mit der Gen-Schere Crispr bearbeiteten Pflanzen löst unter Wissenschaftlern in Deutschland Unverständnis aus. Es wird befürchtet, Deutschland und Europa würden als Wissenschaftsstandorte nun massiv beeinträchtigt. Eine für die Welternährung wichtige Innovation werde ohne stichhaltige Gründe gebremst – mit schweren Folgen.

Für „richtig schlecht“ hält etwa Günter Stock, Vorsitzender der Berliner Einstein-Stiftung, das Urteil: „Das trennt uns von dem Rest der Welt. Das Signal ist: Good Old Europe macht sein eigenes Ding und hinkt hinter den anderen hinterher.“ Es sei ein fatales Zeichen für alle Wissenschaftler auf dem Kontinent, die sich mit Gentechnik befassen: „Ich hoffe, dass sich niemand abschrecken lässt.“ Auch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) hätte sich „ein forschungsfreundlicheres Urteil gewünscht“.

"Auch Berliner Sicht ein zweischneidiges Schwert"

Steffen Krach, Berlins Staatssekretär für Wissenschaft, sagt in einer ersten Einschätzung: „Das Urteil ist auch aus Berliner Sicht ein zweischneidiges Schwert. Es ist gut für den Verbraucherschutz und für Transparenz, könnte aber die unstrittig notwendige Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Pflanzenforschung erschweren. Beide Anliegen sind wichtig.“ Die Debatte über Chancen und Risiken grüner Gentechnik müsse darum weitergeführt werden.

Der EuGH hatte am Mittwoch entschieden, neuere molekularbiologische Verfahren wie etwa die Gen-Schere Crispr generell unter die strenge Gentechnik-Gesetzgebung zu stellen. Mit der Gen-Schere Crispr und ähnlichen Verfahren ist es etwa in der landwirtschaftlichen Forschung und Entwicklung möglich, punktgenau Gene an einzelnen Stellen zu verändern, ohne wie bei der klassischen Gentechnik artfremdes („transgenes“) Material einzufügen. Die Veränderungen, die dabei entstehen, sind von althergebrachten Züchtungstechnologien, bei denen Mutationen etwa durch Bestrahlung erzeugt und günstige so entstandene Varianten dann ausgewählt werden, nicht zu unterscheiden. Der Europäische Gerichtshof ging nun sogar soweit, auch diese Verfahren – die älter sind als der Begriff Gentechnik selbst – grundsätzlich als Gentechnik zu kategorisieren und Mitgliedsstaaten freizustellen, auch sie vergleichbar streng zu regulieren.

Die Ersten denken über Abwanderung nach

Entsetzt von dem Urteil ist Jens Boch, Pflanzenbiotechnologe an der Uni Hannover. Er forscht an Nutzpflanzen wie Reis, Kartoffeln und Gerste, seine Arbeit ist direkt betroffen. „Natürlich fragt man sich, ob die Forschung jetzt noch Sinn macht, wenn man sie gar nicht mehr auf den Markt bringen kann“, sagt Boch. Womöglich bleibe nur, in ein Land wie die USA abzuwandern, wo es diese Beschränkungen nicht gibt – oder sich auf Grundlagenforschung zu beschränken, was er nur ungern täte: „Man will Produkte entwickeln, die der Bevölkerung konkret nutzen.“

So funktioniert Crispr/Cas9.
So funktioniert Crispr/Cas9.
© AFP

Mithilfe von Crispr hätte man die ganz großen Problemen angehen können, sagt Boch: Indem etwa resistentere Pflanzen entwickelt werden, dank derer man den Einsatz von Pestiziden eindämmt. Oder Pflanzen, die dem Klimawandel trotzen können. Es habe eine regelrechte „Aufbruchstimmung“ unter seinen Kollegen geherrscht: „Das hat das Gericht nun alles infrage gestellt.“ Für besonders „beunruhigend“ hält er es, dass die Richter sämtliche Einschätzungen von Forschern ignorierten, die die Gen-Schere für viel sicherer als Vorgängertechniken halten: „Das geht schon in die Richtung Populismus und Pseudo-Wissenschaft.“ Wissenschaft werde damit prinzipiell infrage gestellt – für Boch ein „fatales Zeichen“ für den Forschungsstandort Europa. Er hofft, dass die Politik die Entscheidung in Zukunft revidieren wird.

Europäische Firmen werden aus dem Markt gedrängt

„Natürlich wird in Europa niemand verhungern, wenn die Gen-Schere dort nicht zum Einsatz kommt“, sagt Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie an der Universität Göttingen, der zu Fragen der globalen Ernährungssicherung forscht. „Aber das Urteil wird mit Sicherheit große Auswirkungen auf das haben, was in Afrika und Asien passiert.“ Es sei bedenklich, dass Methoden mit so großem Potenzial für nachhaltige Entwicklung, ausgebremst werden. Die in Europa sehr teuren Zulassungsverfahren hätten kleine und mittlere Unternehmen bereits aus dem Markt gedrängt, die Folge sei eine enorme Marktkonzentration. Europa werde zu einem innovationsfeindlichen Ort und unattraktiv. Entsprechend verspiele es seine Beteiligung an der Wertschöpfung und der Schaffung von Arbeitsplätzen auf diesem Feld. Dieser Prozess sei „politikgetrieben“. Pflanzen, die alle vorgeschriebenen Prüfungen durchlaufen hätten, würden gleichwohl nicht zugelassen: „Das schürt den Eindruck in der Bevölkerung, dass die Gentechnik grundsätzlich gefährlich ist“, sagt Qaim. Die Hoffnung der Wissenschaftler auf den EuGH sei enttäuscht worden.

„Das ist ein echtes Fehlurteil“, sagt auch Martin Lohse, der Vorstandsvorsitzende des Berliner Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC). „Es ist inhaltlich nicht gut fundiert.“ Schließlich gebe es keine Möglichkeit, die mit der Gen-Schere bearbeitete Pflanzen von den durch Züchtung oder Zufall entstandenen zu unterscheiden. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie Regulierungsbehörden das Urteil umsetzen sollen“, sagt Lohse. Für die angewandte biotechnische Forschung in der Pflanzenzucht werde es aber eine Signalwirkung entfalten: „Man will das nicht in der EU haben.“ Für die biomedizinische Forschung mit Crispr-Cas9, wie sie am MDC betrieben wird, ändere sich durch das Urteil allerdings nichts. „Medizinische Anwendungen sind immer vom Gesetzgeber streng reguliert – das ist auch gut so. Und Grundlagenforschung berührt das Urteil ohnehin nicht.“

Emmanuelle Charpentier, die als Entdeckerin der Methodik inzwischen in Berlin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie forscht, bleibt gelassen: „Dieses Urteil wird Crispr nicht aufhalten“, sagte Charpentier „Zeit Online“.

Ein unlösbares Problem

Thomas Miedaner, Züchtungsforscher an der Universität Hohenheim, arbeitet selbst nicht mit den neuen Techniken, sondern eher klassisch mit Kreuzungsverfahren. Die Pflanzenzüchtung als solche werde in Deutschland schon weitergehen, sagt Miedaner. Denn für viele Züchtungsziele würden einzelne Gene gar nicht ausreichen. „Aber dieser spezielle Teil der Züchtungsforschung und Anwendung wird jetzt komplett unterbunden.“ Er geht davon aus, dass entsprechende Firmen nun abwandern. So denkt auch Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina, der deutschen Akademie der Wissenschaften. Die Erforschung vorteilhafter Pflanzen in Europa mittels Genome Editing werde unattraktiv und bleibe ganz aus – „oder die Firmen wandern ab, beispielsweise in die USA, wo solche Pflanzen schon wie konventionell gezüchtete Sorten reguliert werden“.

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Beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ist man ebenfalls überrascht. Ein großes, im Grunde unlösbares Problem sieht Detlef Bartsch, Leiter der Abteilung Gentechnik, darin, dass de facto mit Crispr erzeugte Sortenvarianten selbst nach gesetzlich vorgeschriebener strenger Sicherheitsprüfung keine Chance auf Zulassung haben werden. Grund dafür seien gerade die Genauigkeit und von natürlicher oder üblicher züchterischer Herbeiführung von Mutationen (Mutagenese) nicht zu unterscheidenden Ergebnisse der Methode.

Werden Verbraucher wirklich geschützt?

Damit weist Bartsch auf einen Widerspruch des Urteils hin. Konsequent angewandt würde es eigentlich bedeuten, dass ab jetzt jede neue Nutzpflanzenvariante, auch wenn sie in einem natürlichen Prozess durch eine kleine, an einer einzigen Base im Genom geschehene Mutation entstanden ist, verdächtig wäre. Denn es wäre nicht nachweisbar, ob der Zufall dahinter stand oder Crispr.

Die Richter gehen hingegen davon aus, dass der Verbraucherschutz durch das Urteil gesichert wird. Aber nicht einmal das sei gewährleistet, kritisiert der Züchtungsforscher Thomas Miedaner. Es werde kaum zu kontrollieren sein, dass anderswo zugelassene und nicht kennzeichnungspflichtige Sorten nicht importiert werden: „In zehn, fünfzehn Jahren kann es sein, dass fast alle wichtigen Nutzpflanzensorten, deren Produkte etwa aus den USA, Südamerika oder China zu uns kommen, Crispr-genverändert sind.“

Die pauschale Verteufelung der Gentechnik hat gesiegt: Lesen Sie hier unseren Kommentar zu dem Urteil.

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