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Neuronale Netzwerke kommunizieren über elektrische Impulse.
© Getty Images/iStockphoto

Tiefe Hirnstimulation als Therapie: Sonden für die Seele

Bei der Tiefen Hirnstimulation werden kleine Elektroden ins Gehirn eingeführt. Bei manchen Krankheiten wird das mit Erfolg eingesetzt. Doch Experten mahnen jetzt zur Vorsicht.

Es mag zunächst unheimlich klingen, was bei der Tiefen Hirnstimulation (THS) passiert: Kleine Kabel (Elektroden) werden durch Bohrlöcher ins Gehirn eingeführt, ein mit ihnen durch Kabel verbundener „Hirnschrittmacher“ wird unter dem Schlüsselbein eingesetzt. So sollen bestimmte Netzwerke von Nervenzellen des Gehirns ausgebremst oder aktiviert werden. Netzwerke, die über elektrische Impulse miteinander kommunizieren.

Was wie Science-Fiction wirken mag, ist schon seit einiger Zeit Versorgungsalltag, nachdem die Methode sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen hat. Bei Parkinson-Kranken, deren Bewegungsstörungen nicht mit den üblichen Medikamenten in den Griff zu bekommen sind, wird die THS schon seit rund 20 Jahren mit Erfolg eingesetzt. Auch bei psychischen Leiden ist die Kommunikation der Nervenzellen oft nachhaltig gestört. Gegen sie helfen in vielen Fällen die einschlägigen Medikamente nicht. Was spricht also dagegen, bei solchen Leiden, etwa schweren Depressionen, die sich allen anderen Therapien widersetzen, die Hirnstimulation zum Einsatz zu bringen? Zumal der Eingriff, anders als eine Operation, später wieder rückgängig gemacht werden kann und sich die Wirkung dosieren lässt.

Prinzipiell spricht nichts dagegen, so sagt eine Expertenrunde der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme zur Tiefen Hirnstimulation in der Psychiatrie. Doch die Autoren mahnen zur Vorsicht. „Im Spannungsfeld zwischen dem ethischen Gebot des Nicht-Schadens und dem Gebot, dem Patienten Hilfe zu leisten, stellt sich mit Blick auf den hohen Leidensdruck der Patienten und den Mangel an therapeutischen Optionen nicht die Frage, ob, sondern in welchem Rahmen die THS bei psychiatrischen Indikationen angewendet werden kann.“

Behandlungen sollten nur in zugelassenen Zentren stattfinden

Der Frankfurter Hirnforscher Wolf Singer, die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert von der Uni Münster und die beiden Strafrechtler Jan Joerden und Reinhard Merkel plädieren dafür, die Methode vorzugsweise im Rahmen klinischer Studien einzusetzen und ein Register einzurichten, in dem alle THS-Eingriffe dokumentiert werden. Wichtig sei zudem, dass man das Schicksal der Patienten über einen längeren Zeitraum nachverfolgen könne. Die Wissenschaftler fordern, auch Misserfolge und Therapieabbrüche in den Dokumentationen festzuhalten.

Die Behandlungen selbst sollten nur in zugelassenen Zentren mit einer festzulegenden Mindestzahl von Patienten stattfinden. Die Erfahrung der Neurochirurgen sei bei dem Eingriff besonders wichtig, weil immer die Gefahr von Infektionen, Blutungen, epileptischen Anfällen und sogar Schlaganfällen bestehe. Patienten sollten außerdem vor einer Behandlung eine zweite Meinung einholen. In bestimmten Fällen könne eine Ethikkommission befragt werden.

Was der Laie möglicherweise am meisten fürchtet, wenn von Eingriffen am Gehirn die Rede ist, sind wohl Veränderungen der Persönlichkeit. Ohne diese Gefahr herunterzuspielen, sagen die Leopoldina-Experten deutlich: Solche Veränderungen bringt auch die Krankheit selbst mit sich. Sie können ebenso gut aufgrund von Medikamenten auftreten.

Kaum Erfahrung mit der THS in der Psychiatrie

Mit der THS als Behandlungsmethode in der Psychiatrie gibt es kaum Erfahrung. Bei seelischen Leiden ist einstweilen noch weniger klar als bei Bewegungsstörungen, welche Regelkreise komplexer Netzwerke im Gehirn gestört sind. Mehr Forschung auf diesem Feld ist also dringend nötig. Die dort gewonnenen Erkenntnisse könnten langfristig auch der medikamentösen Behandlung nutzen.

Über ein solches Forschungsprojekt konnten Angela Merkl, Psychiaterin an der Fliedner-Klinik Berlin, und ihre Kollegen im Fachblatt „Cerebral Cortex“ berichten. In einer Pilotstudie an der Charité wurden neun Patienten mit einer schweren Depression winzige Elektroden für die Stimulationsbehandlung eingesetzt. Viele andere Behandlungsversuche waren zuvor gescheitert.

Die Behandler hatten den vorderen Bereich des Hirnrindenareals Gyrus cinguli im Visier. Es spielt bei der Bewertung von Emotionen eine Rolle. Während des Eingriffs konnten die Forscher Messungen machen, die sie darin bestärkten, einen „Treffer“ gelandet zu haben. In dem Netzwerk, das sie ansteuerten, zeigte sich bei den Patienten eine Änderung der Gehirnaktivität, sobald die Ärzte ihnen Bilder mit negativem emotionalen Gehalt zeigten. „Die Ergebnisse legen nahe, dass mit der THS in dieser Hirnregion ein neuronales Netzwerk moduliert wird“, sagt Merkl. Denn Netzwerke, die falsch kommunizieren, können eine Rolle bei Depression spielen. Sie und ihre Kollegen hoffen nun, aus diesen Mustern Rückschlüsse ziehen zu können, die Menschen mit Depression helfen.

Empfohlen: ein vorsichtiges Vorgehen

Ein vorsichtiges Vorgehen, wie es die Leopoldina empfiehlt, befürwortet auch Merkl. Einstweilen bleibe die THS in der Psychiatrie ein experimentelles Verfahren, bei dem die Auswahl geeigneter Patienten besonders sorgfältig erfolgen müsse. Während viele Menschen die Tiefe Hirnstimulation als etwas unheimlich empfinden, verbinden einige damit umgekehrt überzogene Hoffnungen, wie die Psychiaterin Angela Merkl inzwischen weiß. „Bei uns haben sich schon Patienten gemeldet, die es faszinierend fanden, Elektroden ins Gehirn gepflanzt zu bekommen. Wenn sich jemand derart euphorisch zeigt, bin ich sehr skeptisch.“

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