„Wir befinden uns in einer Dauerkrise“: Ein Drittel der Intensiv-Pflegekräfte will kündigen
Durch die Belastungen während der Coronakrise erwägen immer mehr Pflegende, ihren Beruf zu verlassen. Für das Gesundheitswesen wäre das fatal.
Frühjahr 2020. Menschen stehen an den Fenstern, auf den Balkonen und klatschen, um Pflegekräften und Krankenhauspersonal ihre Anerkennung und ihren Dank auszusprechen. Eine nette Geste – viel mehr bleibt von den Dankesbekundungen während der ersten Corona-Welle nicht.
Eine neue Onlineumfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) zeigt, dass Pflege- und Krankenhauspersonal seit der dritten Corona-Welle noch unzufriedener mit den Arbeitsbedingungen ist – ein Drittel der Intensivpflegenden plant, im kommenden Jahr zu kündigen.
Dabei sind Pflegenotstand, schlechte Arbeitsbedingungen und Rufe nach besserer Bezahlung keine Neuheiten. „Wir befinden uns in einer Dauerkrise“, sagt Uwe Janssens, Generalsekretär der DGIIN und ehemaliger Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), dem Tagesspiegel.
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Dass das knappe Personal während der Pandemie schnell an seine Belastungsgrenze kommt, ist wenig verwunderlich. 72 Prozent der nichtärztlichen Mitarbeiter gaben an, mit den Herausforderungen der dritten Corona-Welle überlastet zu sein. Über zwei Drittel der Mitarbeitenden von Intensivstationen, Notaufnahmen und vom Rettungsdienst gaben an, dass ihre Entscheidung, den Stellenanteil zu reduzieren oder gar zu kündigen, durch die Belastungen der Corona-Pandemie beeinflusst wurden.
Christian Karagiannidis, Leiter des DIVI-Intensivregisters und Präsident der DGIIN, sprach von einer „bitteren Bilanz nach einem Jahr Corona“. Über Twitter bat er die Mitarbeiter:innen zu bleiben: „Es wird die Krankenhäuser nach Corona hart treffen: Bitte bleibt!“
Die Folgen für die Gesundheitsversorgung wären katastrophal. Die Lage ist heute schon angespannt: Allein in der Langzeitpflege fehlten schon mehr als 100.000 Pflegende. 40 Prozent aller Pflegenden erreichten innerhalb von zehn Jahren das Rentenalter, berichtet Franz Wagner, Geschäftsführer des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe und Präsident des Deutschen Pflegerates gegenüber dem Ärzteblatt. Falls zusätzlich ein Drittel des aktuellen Personals kündigen würde, wäre das fatal.
Die Forderungen, die seitens des Personals gestellt werden, klingen indes alles andere als absurd. In einer Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen und des SOCIUM der Universität Bremen wurden Wiedereinstiegskriterien für „Pflexiteers“, also Pfleger:innen, die ihren Beruf verlassen haben, definiert. Darin stehen unter anderem: Zeit für qualitativ hochwertige Pflege, Zeit für menschliche Zuwendung, Garantie, an freien Tagen nicht arbeiten zu müssen.
Auch ein höheres Grundgehalt, Tarifbindung und höhere Zulagen für besondere Tätigkeiten seien wichtig. Weiterhin werden in einem gemeinsamen Papier der Divi und der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) ein am tatsächlichen Pflegebedarf orientierter Personalschlüssel und moderne Arbeitszeitmodelle gefordert. Zuletzt sei eine bessere psychische Unterstützung der oft extrem belasteten Intensivpfleger:innen wichtig.
Psychische Belastungen des Personals
Die psychischen Belastungen kämen nicht nur durch den Arbeitsalltag, berichtet Janssens. „Während sie sich in der Klinik seit nahezu 14 Monaten in einem Dauermarathonlauf befinden, werden sie von außen der Panikmache bezichtigt.“ Stattdessen solle die Gesellschaft hinter dem Personal stehen.
Aktionen wie die Netzkampagne #allesdichtmachen, bei der über 50 Schauspieler:innen sich in einem ironischen Ton über die Corona-Maßnahmenbeklagten, seien nur betrüblich. Die Pandemie hinterlasse bei allen Spuren, beim Pflegepersonal aber in besonderem Ausmaß.
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Um die geforderten Kriterien zu erfüllen, sind weitreichende Maßnahmen nötig. Fast alle Befragten sind der Meinung, es brauche eine nachhaltige Krankenhausreform mit Stärkung der Intensiv- und Notfallmedizin sowie bessere Arbeitsbedingungen, um den Beruf wieder attraktiver zu machen.
„Mit einem Prämienpflästerchen hier und einer Mindestlohnerhöhung dort ist es eben nicht getan. Wir brauchen deutlich überzeugendere Maßnahmen“ sagt Martin Dichter, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe Nordwest (DBfK). So sei beispielsweise ein Bruttoeinstiegsgehalt von 4000 Euro sinnvoll. Womöglich ist auch die Zusammenlegung von Krankenhäusern ein Weg, der Krise entgegenzutreten.
Aktuell sei das Vertrauen der Betroffenen in die Politik, der Situation angemessen entgegenzutreten, aber fast nicht vorhanden, so Janssens. Die Umfragewertebestätigen dies: 96 Prozent der Befragten sehen die Politik nicht in der Lage, effektive Lösungen für den Personalmangel herbeizuführen.
Francesco Schneider-Eicke
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