Studierendenvertreter in Berlin: Dutschkes Erben
Weniger Studierende als früher interessieren sich für Politik. Doch noch immer gibt es einige, die sich an ihren Unis engagieren - gegen Zwang, Rassismus und Gebühren. Hier erzählen Berliner Studierende, was sie hochschulpolitisch motiviert.
Politik? – Ach nö! So denken immer mehr Studierende. Die Zahl derer, die sich „sehr stark“ für Politik interessieren, nimmt ab und liegt nur noch bei einem knappen Drittel gegenüber 46 Prozent im Jahr 1993. So haben es Konstanzer Forscher in einer Umfrage unter 29 000 Studierenden an 15 Hochschulen ermittelt. Dass sie an Hochschulpolitik desinteressiert seien, sagten 2004 erst 30 Prozent. Inzwischen sind es 51 Prozent. Für studentische Politik interessieren sich 66 Prozent wenig oder gar nicht, nur fünf Prozent stark. Wir haben einige Aktive gefragt, warum sie sich an der Hochschule politisch engagieren.
Mathias Bartelt (32) studiert Philosophie und Geschichte an der FU – mit höherer zweistelliger Semesterzahl, genauer will er es nicht sagen. Bartelt ist seit 2011 Mitglied im Akademischen Senat der FU, in verschiedenen Initiativen, im Bildungsprotest und im SDS aktiv, allgemein hochschulpolitisch aktiv ist er seit dem Studierendenstreik 2003/2004.
Warum ich mich hochschulpolitisch engagiere? Von Anfang an ging es mir darum, anderen denselben Zugang zu Bildung zu ermöglichen, wie er mir möglich war. Mit dem fast flächendeckenden Numerus clausus und der Bachelor-und-Master-Reform sind die Freiräume immer enger geworden.
Anfangs hatte ich den naiven Glauben, man könne mit inhaltlichen Argumenten überzeugen. Inzwischen sehe ich, dass die FU ihre antidemokratischen Reformen komplett vollzogen hat. Demokratisches Engagement ist nicht gewollt, das ist gesamtgesellschaftlich so. Die Zeit, die man dazu braucht, wird auch nicht gewährt. Die Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter werden unter massiven Leistungsdruck gesetzt. Insofern war es ein Erfolg, dass sich vor zwei Jahren trotzdem so viele Studierende an der FU gegen die Rahmenstudien- und -prüfungsordnung engagiert haben, selbst wenn wir nicht durchsetzen konnten, dass die Prüfungs- und Notenbelastung gesenkt wird.
Mir ist wichtig, die herrschende Korruption des Wissenschaftsbetriebs und in der Hochschulpolitik offenzulegen, an der FU und darüber hinaus. An der FU wird es im kommenden Jahr darum gehen zu verhindern, dass die in der Exzellenzinitiative geschaffenen Strukturen ohne Diskussion und an der Kontrolle der Gremien vorbei verstetigt werden.
Sebastian Langer (Charité): Den Studiengang Medizin mitgestalten
Sebastian Langer (26) studiert im 13. Semester Medizin an der Charité und ist dort derzeit Mitglied der Ausbildungskommission, der Haushaltskommission und stellvertretendes Mitglied im Fakultätsrat.
Politisch aktiv war ich schon vor Studienbeginn: als Schülersprecher und bei den Jusos. Schon aus Neugier bin ich im ersten Semester zu einer Sitzung der Fachschaft gegangen, und ich habe dann gleich für das Studierendenparlament kandidiert. Hochschulpolitik ist ein dankbares Betätigungsfeld: Denn sie ist sehr praxisnah. Wenn man Änderungen an einer Studienordnung diskutiert, können diese drei oder vier Monate später umgesetzt sein – das motiviert, dabeizubleiben. In meiner Zeit als Studierendenvertreter – zwischenzeitlich war ich unter anderem Sprecher der Fachschaftsinitiative und Mitglied im Konzil der HU – haben wir viel erreicht. Während des Bildungsstreiks haben wir die Charité-Bibliothek besetzt und so verhindert, dass sie ab 17 Uhr schließen muss. Den Modellstudiengang Medizin konnten wir mitgestalten, das neue Lernzentrum geht auf eine studentische Initiative zurück. Meine Mitgliedschaft bei den Jusos läuft übrigens eher parallel, ich versuche das zu trennen. In der Fachschaftsinitiative wird parteipolitische Einflussnahme nicht so gerne gesehen.
Bei uns engagieren sich 50 bis 60 Leute in der Fachschaft, über mangelndes Interesse können wir uns nicht beklagen. Das sechsjährige Studium der Mediziner ist da von Vorteil. Wir haben mehr Zeit für den Wissenstransfer untereinander. In den Fachschaften der Bachelor-Studiengänge ist der Durchlauf dagegen enorm. Die Studienordnungen lassen einfach keine Zeit für ein Engagement neben dem Lernen. Oft werde ich gefragt, ob ich Nachteile befürchte, wenn ich in Gremien mit Professoren streite. Ich kann alle beruhigen. Die Professoren der Charité verhalten sich in dieser Frage sehr professionell.
Jana Küchler (TU): Gegen versteckte Studiengebühren vorgehen
Jana Küchler (25) studiert im 3. Semester Physik an der TU sowie Biologie und Chemie an der HU. Sie ist hochschulpolitische Referentin im TU-Asta.
Der Streit über eine wichtige Prüfung hat mich zur Hochschulpolitik gebracht. Wir Studierende hatten das Gefühl, wir sollten durch eine Doppelklausur systematisch aus dem Studium geprüft werden. Die Fachschaft hat mich angesprochen, ob ich mich dagegen engagieren wolle. Wir konnten dann erreichen, dass die Bedingungen für die Klausur entschärft wurden. In der Folge wurde die gesamte Studienordnung überarbeitet. Das war für mich ein Aha-Moment: Die Uni lässt sich verändern. Seitdem bin ich auch im Studierendenparlament aktiv, und bundesweit beim Freien Zusammenschluss der StudentInnenschaften.
Ich finde es wichtig, sich einzusetzen – gerade weil viele Studierende Probleme haben, diese aber oft nicht äußern. Sie trauen sich nicht, sich neben der Uni zu engagieren, weil sie große Angst vor einer Überschreitung der Regelstudienzeit haben. Dabei gibt es so viele wichtige Themen. Die allgemeinen Studiengebühren sind zwar abgeschafft, aber die Hochschulen nehmen immer noch so viele versteckte Gebühren. Man denke an Pflichtexkursionen, wo Kosten von mehreren hundert Euro an die Studierenden abgewälzt werden. Ein großer Erfolg für die Studierendenvertreter an der TU war, dass auf unsere Initiative hin ein „Code of Conduct“ für die Verwendung von Forschungsmitteln eingeführt wurde. Derzeit setzen wir uns dafür ein, dass die Frist für Prüfungswiederholungen von einem Jahr gelockert wird. Früher dachte ich, für Politik müsse man geboren sein, das könnten nur Überflieger. Als Studierendenvertreterin habe ich gelernt: Alle können mitmachen, und man sollte das auch. Mitbestimmen macht schließlich Spaß.
Melanie Grupe (FU): Das Stupa ist oft weit von der Realität entfernt
Melanie Grupe (22) studiert im 5. Semester Jura an der Freien Universität und ist seit einem Semester Mitglied im Studierendenparlament (StuPa).
Bereits im ersten Semester habe ich mich erkundigt, wo man sich an der FU hochschulpolitisch betätigen kann. Ich konnte mir auch vorstellen, mich im StuPa zu engagieren. Mir ist es wichtig, die Uni durch eigene Anträge mitgestalten zu können und zu sehen, wie sich die anderen Hochschulgruppen verhalten. Da der RCDS gerne Frauen nach vorne bringt, wurde ich vorne auf der Wahlliste platziert und gewählt.
Im Stupa sind wir zusammen mit den Liberalen die Opposition, etwa 80 Prozent der Mitglieder sind links. Überhaupt steht die FU im Ruf, stark links orientiert zu sein. Beim RCDS setzen wir uns für eine ideologiefreie Politik ein. Uns geht es darum, Politik für jeden Studenten zu machen. Meistens stoßen wir jedoch bei den linken Gruppierungen auf eine stetige und teilweise schon feindselige Abwehrhaltung. Nur einen Antrag haben wir durchbringen können, zur Verlängerung der Mensa-Zeiten.
Stattdessen befasst man sich mit Dingen, die die Mehrheit der Studenten gar nicht interessieren, da sie meist Theorie und weit von der Realität entfernt sind: In der letzten Sitzung wurde beschlossen, dass Anträge nur noch behandelt werden, wenn sie sprachlich durchgängig in männlicher und weiblicher Form und mit Sternchen für die „übrigen Geschlechter“ gehalten sind. Das ist der pure Genderwahnsinn! Aber selbst wenn wir uns als Minderheit nicht durchsetzen können: Schon der Versuch zählt. Ein weiteres Ziel des RCDS ist, dass der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) endlich seine Ausgaben transparent macht. Immerhin muss jeder Student jedes Semester knapp neun Euro zahlen – da sollte jedem Studenten aufgezeigt werden, für welche Zwecke der Asta dieses Geld verwendet.
Tahleun Chamberlin Wandji (HU): Rassismus an der Uni bekämpfen
Tahleun Chamberlin Wandji (37) studiert im 2. Semester im Masterstudiengang Prozess- und Qualitätsmanagement in Landwirtschaft und Gartenbau an der Humboldt-Universität und ist Referent für Antirassismus und AusländerInnen im Refrat.
Ein rassistischer Kommilitone hat mich veranlasst, an der HU politisch aktiv zu werden. Wir standen gerade mit anderen Studierenden zusammen. Er sagte auf einmal: „Was die Intelligenz angeht, kommen erst die Amerikaner, dann die Europäer, dann die Asiaten.“ Ich fragte: „Und wo stehen wir Afrikaner?“ Er antwortete: „Irgendwo dahinter.“ Ich war geschockt. Kurz darauf habe ich fürs Studierendenparlament kandidiert und bin später in den Refrat, die Studierendenvertretung der HU, gewählt worden. Das war 2010, in meinem zweiten Studienjahr. Ursprünglich habe ich schon in Kamerun ein Studium abgeschlossen. Nachdem ich 2004 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen bin, wurde mein Abschluss aber nicht anerkannt – ein Problem, das viele Ausländer hier betrifft!
Wir beraten alle nicht deutschen Studierenden zu Wohnungssuche, Aufenthalt, Krankenversicherung, Arbeit usw. Daneben berate ich auch Studierende, die Rassismus-Erfahrungen gemacht haben, etwa indem Dozenten oder Kommilitonen sich rassistisch geäußert oder verhalten haben, oder wenn sie Lehrinhalte als diskriminierend empfinden. Wöchentlich erhalten wir durchschnittliche sechs bis acht Meldungen zu rassistischem Verhalten/Angriffen/Äußerungen oder Beratungsanfragen aufgrund von Rassismus oder Diskriminierungerlebnissen. Wir vermitteln Kontakt mit den „Tätern“ und versuchen, diesen ihr Verhalten bewusst zu machen. Ich gebe zudem für Professoren, Studierende, Schüler und Lehrer ein Seminar über Rassismus im deutschen Bildungswesen, das präventiv wirken soll. Ein Beispiel für Rassismus an der Uni: Die ausländischen Bewerbungen werden aufgrund diskriminierender Strukturen oder Institutionen wie Uni-Assist massiv benachteiligt und ungleich gegenüber den europäischen und deutschen BewerberInnen behandelt. Die Professorenschaft der Humboldt-Universität bildet die Vielfalt der Berliner Gesellschaft nicht ab. Wir haben schon beim Präsidium einen schwarzen Professor für das Thema Rassismus und Kolonialismus gefordert – vergebens. Ich würde gerne eine ständige Antidiskriminierungsberatungsstelle an der HU etablieren. Leider stoßen wir seit mehren Monaten auf mangelndes Interesse der Studierenschaft. Diese hat zur Folge, dass wir keinen ständigen Raum für die Beratungen haben.
- Die Protokolle wurden aufgezeichnet von Anja Kühne und Tilmann Warnecke.