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Trockenübung. Im Lernzentrum werden Eingriffe auch an Puppen trainiert.
© Charité

Medizinstudium: Patient statt Hörsaal

Praxisnah ist das Medizinstudium an der Charité schon länger. Jetzt eröffnete die Universitätsmedizin Berlin ein Lernzentrum, in dem die Studierenden mit anatomischen Modellen, Computersimulationen und Simulationspatienten üben können.

„Als ich nach dem Studium das erste Mal Blut abnehmen sollte und es nach dem fünften Versuch immer noch nicht klappte, bat die Patientin, doch bitte einen erfahrenen Arzt zu holen“, erzählt Ulrich Frei, ärztlicher Direktor der Charité. Ziel der Ausbildung sollten aber Mediziner sein, die Erfahrung im Umgang mit Patienten haben und bei denen jeder Handgriff sitzt. Deshalb hat die Charité 1999 einen Reformstudiengang mit mehr Praxisnähe eingeführt, der inzwischen in einen Modellstudiengang für alle Studierende eingeflossen ist. Nun wurde auf dem Campus in Mitte ein Lernzentrum eröffnet, in dem Studierende mithilfe von Tutoren, Simulationspatienten, anatomischen Modellen und Computer-Simulationen die ärztliche Anamnese einüben können.

Die Dekanin der Berliner Charité, Annette Grüters-Kieslich, sieht darin einen Meilenstein für „die Ausbildung von Arztpersönlichkeiten, die nicht nur über das nötige Fachwissen verfügen, sondern die gelernt haben, mit ihren Patienten verständlich und einfühlsam über Krankheiten zu reden“. Im Zentrum könnten jetzt 7000 Studierende lernen, was sie später im Berufsleben brauchen. Ab dem 1. Semester haben sie Patientenkontakt, können im geschützten Raum Fehler analysieren und ihr Verhalten rückkoppeln. Gerade die Kommunikation sei sehr wichtig, sagt Grüters-Kieslich. Ärzte verschanzten sich zu leicht hinter einer abstrakten Sprache.

Bei der Eröffnung führt die langjährige Tutorin Anne Jaczewski durch die Räume des Zentrums: In einem können sich die angehenden Mediziner mit einem Ultraschallgerät selbst untersuchen. In einem anderen Raum zeigt ein großer Bildschirm ein Kind mit Masern, Windpocken oder selten vorkommenden Krankheiten, die deshalb oft nicht erkannt werden. Hier können Studierende das Herz abhören, in den Rachen oder das Ohr schauen. Für die Tutorin Jaczewski schließt diese Möglichkeiten „die Lücke zwischen Theorie und Praxis. Statt Multiple-Choice-Prüfungen erfolgt hier eine lebensnahe Ausbildung.“

Seit 1999 schon engagiert die Charité zusätzlich Simulationspatienten für Lehrveranstaltungen und Tutorien. Zurzeit gibt es etwa 130, im Alter von 15 bis 80 Jahren, die 250 verschiedene Krankheiten im Repertoire haben. In Rollenspielen erlernen die Studenten so grundlegende Untersuchungstechniken wie Blutdruckmessen und Abtasten, aber auch die Gesprächsführung. Im Laufe eines Studiums untersuchen sie so etwa 90 verschiedene Fälle. Im nächsten Jahr soll das Lernzentrum noch eine Notfall-Station, einen Schockraum und eine Intensivstation dazubekommen.

Seit den 90er Jahren führten Unis verstärkt praxisnahe Medizin-Studiengänge ein. Leider seien in Deutschland die praktischen Lernziele aber noch nicht bindender Teil der Prüfung, anders als in Österreich oder der Schweiz, kritisiert Kai Schnabel von der Uni Bern, der früher auch an der Charité lehrte. Für Charité-Dekanin Grüters-Kieslich ist das Curriculum der Berliner Medizinerausbildung auf einem internationalem Niveau. Allerdings liege Deutschland in Bezug auf die technische Ausrüstung hinter den USA, Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden zurück. „Die Spendenkultur ist in Amerika stärker ausgeprägt. Bürgerschaftliches Engagement braucht Tradition und Ermutigung.“

Umso mehr freue sie sich über die Unterstützung von Sponsoren. Das Berliner Herzzentrum etwa hat einen Simulator als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt, mit dem Herz- und Lungengeräusche abgehört werden können. Für die Zukunft wünscht sich Grüters-Kieslich Kooperationen mit Krankenhäusern sowie eine Nutzung des Zentrums auch für die Weiterbildung von Ärzten und Pflegern.

Anna Bernhardt

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