Nobelpreis für Chemie: Drei Forscher für Entschlüsselung der DNA-Reparatur ausgezeichnet
Für grundlegende Arbeiten zur Entwicklung neuer Krebstherapien erhalten der Schwede Tomas Lindahl, der Amerikaner Paul Modrich und der US-Türken Aziz Sancar den Chemie-Nobelpreis.
Den Nobelpreis für Chemie bekommen in diesem Jahr der Schwede Tomas Lindahl vom Francis Crick Institute und dem Clare Hall Laboratory im britischen Hertfordshire, Paul Modrich vom Howard Hughes Medical Institute und der Duke University School of Medicine in Durham, USA, und Aziz Sancar, von der University of North Carolina, Chapel Hill, USA. Sie haben den Mechanismus aufgeklärt, mit dem die Zelle Erbgutschäden repariert.
Eine Hilfe gegen Krebs
Der Preis werde vergeben für die "mechanistische Untersuchung der DNA-Reparatur", teilte die Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm am Mittwoch mit. Die drei Forscher hätten "auf molekularer Ebene entschlüsselt, wie Zellen beschädigte DNA reparieren und die genetischen Informationen erhalten können", hieß es in der Begründung. Die Arbeit dieser Forscher habe "grundlegendes Wissen über das Funktionieren lebender Zellen" geliefert und sei beispielsweise nützlich für die Entwicklung neuer Krebstherapien.
Häufen sich im Erbgut Schäden, können Krankheiten wie beispielsweise Hautkrebs entstehen. Und solche fatalen Gendefekte entstehen ununterbrochen. Sei es durch UV-Strahlung beim Sonnenbad, durch Chemikalien aus der Nahrung oder Umwelt oder einfach durch Stoffwechselprozesse der Zelle, wenn zum Beispiel aggressive Chemikalien (wie freie Radikale) entstehen oder die Zelle selbst beim Kopieren des Erbguts bei der täglich millionenfach stattfindenden Zellteilung Fehler macht. Krank werden Menschen, Tiere und Pflanzen aber dennoch nur selten - weil es ein effektives Reparatursystem gibt, das das Erbgut ständig nach Fehlern absucht und korrigiert.
Mittel gegen Eierstockkrebs greift in DNS-Reparatur ein
Die Nobelpreisträger haben entschlüsselt, wie dieses System funktioniert und tragen damit dazu bei, dass dieses Wissen für die Entwicklung neuer Krebstherapien genutzt werden kann, schreibt das Nobelkomitee in einer Stellungnahme. Denn im Grunde ist bei jedem Krebstyp zumindest eines der drei von den Nobelpreisträgern entschlüsselten Reparatursystemen defekt. Das destablisiert die Tumorzellen und sorgt für weitere Mutationen, die dem Krebs Vorschub leisten, ihn zum Beispiel resistent werden lassen gegen bestimmte Medikamente.
Allerdings ist diese erhöhte Mutationsrate auch eine Chance für die Behandlung. Denn wenn es Forschern gelingt, nur in Krebszellen alle Reparatursysteme auszuschalten, dann sterben die Zellen, weil zu viele Genfehler auch eine Krebszelle nicht überleben kann. Ein Krebsmedikament, das ein Reparatursystem blockiert, ist beispielsweise Olaparib, das gegen Eierstockkrebs eingesetzt wird.
Die Forschungen reichen bis in die Siebziger Jahre zurück. Damals hielten Molekularbiologen das Erbgutmolekül DNS noch für sehr stabil, doch Tomas Lindahls Experimente zeigten ((Video), dass das nicht der Fall ist. Er entdeckte einen Mechanismus, bei dem sich ein DNS-Baustein plötzlich chemisch verändert. So kann der DNS-Baustein Cytosin ein chemisches Anhängsel (Aminogruppe) verlieren und zu einem Uracil-Baustein werden. Weil der nichts in der DNS zu suchen hat, wird der Baustein von einem Enzym (Glycolase) aus der DNS-Doppelhelix buchstäblich herausgeklappt und weggeschnitten und eine Reihe anderer Enzyme wiederum bastelt den korrekten Baustein hinein.
Verklebte DNS-Bausteine
Aziz Sancar hat sich vor allem mit DNS-Schäden beschäftigt, die durch UV-Strahlung oder bestimmte chemische Mutagenzien ausgelöst werden - was auch ohne längeres Sonnenbaden ständig passiert, nur eben nicht so häufig, dass die Reparaturmechanismen nicht mehr hinterherkommen. Die Strahlung "verklebt" dabei oft nebeneinander liegende DNS-Bausteine, vor allem wenn es sich um zwei Thymin-Bausteine handelt. Das korrigiert die Zelle, indem sie eine ganzes Stück des betroffenen DNS-Strangs ausschneidet und verwirft (Nukleotid Excisions-Reparatur). Dabei geht aber keine Geninformation verloren, denn die Zelle bildet das fehlende Stück mit Hilfe des gegenüberliegenden Strangs der Doppelhelix nach.
Paul Modrich hat den Reparaturmechanismus entschlüsselt, der die Fehler repariert, die beim Kopieren von DNS kurz vor der Teilung einer Zelle auftreten. Dabei wird die Bausteinabfolge des einen Strangs der Doppelhelix benutzt, um eine komplementäre Kopie davon aufzubauen. Doch auch dieser Prozess ist nicht perfekt, mitunter entstehen "Fehlpaarungen" in der Doppelhelix - wenn also nicht der DNS-Baustein Adenin mit Thymin oder Cytosin mit Guanin (A-T, G-C) aneinander binden ("paaren"). Also wenn der Kopiermechanismus zum Beispiel einem Cytosin plötzlich ein Thymin (statt einem Guanin) in der Doppelhelix gegenüberstellt.
Für das Reparatursystem, das diese Fehler korrigiert, besteht das Problem darin zu erkennen, ob das Cytosin oder das Thymin der korrekte Baustein ist. Das löst die Zelle, indem der ursprüngliche DNS-Strang mit einem chemischen Anhängsel (Methylgruppe) markiert wird, das der neue Strang nicht hat. Dann schneiden Enzyme die falsche (in diesem Fall das Thymin) heraus und ersetzen es durch das korrekte Guanin.
Preisverleihung am 10. Dezember
Am Dienstag war der Physik-Nobelpreis dem Japaner Takaaki Kajita und dem Kanadier Arthur McDonald für den Nachweis zuerkannt worden, dass Neutrinos eine Masse besitzen. Einen Tag zuvor hatte das Medizin-Nobelpreiskomitee die Chinesin Youyou Tu, den gebürtigen Iren William Campbell und den Japaner Satoshi Omura gekürt. Die drei Forscher haben effektive Wirkstoffe gegen Parasiten-Infektionen wie Malaria und Flussblindheit entdeckt.
Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen (rund 850.000 Euro, 8 Millionen Schwedischen Kronen) findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.
Im vergangenen Jahr erhielten der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner den Chemie-Nobelpreis für die Erfindung superauflösender Mikroskope, die das Innere lebender Zellen und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson abbilden können. (mit AFP/dpa)