Erfahrungen eines Pneumologen mit Covid-19: „Dieses Virus ist anders“
Covid-19 hat einen überraschend anderen Verlauf als übliche Atemwegserkrankungen, sagt Lungenarzt Michael Pfeifer. So leidet das Riechvermögen - mit Folgen.
Der Lungenarzt Michael Pfeifer macht gerade seine ersten Erfahrungen mit Covid-19. Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und in seiner Doppelrolle als Leiter des Pneumologischen Zentrums im bayrischen Donaustauf und Chefarzt einer Regensburger Klinik für Pneumologie und Intensivmedizin hat er sich bereits seit vielen Wochen auf das neue Virus vorbereitet. Jetzt überrascht es ihn - mit Eigenschaften, mit denen er so nicht gerechnet hätte.
Als wir das letzte Mal sprachen, das war vor sechs Wochen, wirkten Sie ganz entspannt angesichts eines möglichen Ausbruchs von Sars-CoV-2 in Deutschland. Wie geht es Ihnen jetzt?
Tja. Bis vor einer Woche war ich schon noch entspannt, wir haben ja alles durchgespielt, uns sorgfältig vorbereitet. Aber jetzt sehe ich immer mehr Patienten, das bayrische Epizentrum Mitterteich ist ja in unserem weiteren Einzugsbereich. Im Moment haben wir in der Umgebung etwa 30 beatmete Covidkranke. Die Intensivstationen in den verschiedenen Häusern stehen in engem Kontakt, wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Und so, vis à vis mit der neuen Krankheit, bemerken wir doch einiges, was wir so nicht erwartet haben.
Was zum Beispiel?
Zunächst ist da der Altersschnitt. Unsere Patienten passen nicht in bisher beschrieben Bild, das davon ausgeht, dass vor allem alte Menschen und Risikopatienten schwere Verläufe mit Luftnot haben. Der jüngste beatmete Patient bei uns in der Gegend ist 25, und es geht quer durch die Lebensalter.
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Was ist Ihre Erklärung? Wurde das bisher absichtlich anders dargestellt?
Nein, das denke ich nicht. Die bisherigen Daten, aus China und Südkorea, stützten das ja. Ich glaube es liegt auch daran, wie das Virus nach Deutschland kam. Viele haben sich in Skiorten oder bei Dienstreisen und Ausflügen nach Italien angesteckt. Das sind einfach Aktivitäten, die vor allem Jüngere machen. Ich denke, dass wir in der zweiten Welle, bei den Menschen, die sich hier angesteckt haben, viel mehr Risikofälle sehen werden. Trotzdem muss uns klar sein, das alle Altersgruppen betroffen sind. Schwerer verläuft aber die Erkrankung im höheren Lebensalter und wenn noch chronische Begleiterkrankungen vorliegen, wie Diabetes mellitus oder chronische Lungenerkrankungen.
Und was ist Ihnen noch aufgefallen?
Covid-19 verläuft anders als bekannte Atemwegsinfektionen. Dieses Virus ist anders, hat so seine Eigenarten. Zum Beispiel berichten Patienten, dass sie weniger riechen oder das Essen neutral schmeckt.
Dazu gibt es auch eine Studie aus Nordrhein-Westfalen. Da war der Effekt aber nur wenige Tage da und verschwand einfach wieder. Und ist das wirklich so anders, als bei einer verstopften Nase? Da schmeckt man ja auch kaum was.
Wissenschaftlich muss das noch geklärt werden. Nach dem, was ich von Patienten höre, ist das anders, deutlich stärker ausgeprägt. Wir wissen noch nicht wie wir diesen Effekt klinisch einordnen müssen. Von einem Kollegen, der selbst krank geworden ist, habe ich gehört, dass er so, ohne seinen Geschmackssinn, innerhalb weniger Tage deutlich an Gewicht verloren hat.
Wie kann man dieses Symptom denn erklären? Wandert das Virus vielleicht so wie andere Erreger auch den Riechnerv hoch? Also ins Gehirn?
Dazu kann ich gar nichts sagen, wir wissen dazu einfach nichts, es ist eine der vielen Fragen für spätere Forschungsarbeiten. Denkbar wäre, dass die Infektion die Riechzellen im Nasenraum schädigt.
Wie sieht es denn in der Lunge ihrer Patienten aus? Im Moment ist eine Studie aus Hongkong ein großes Thema: Ein Teil der beatmeten Patienten hat zwar inzwischen die Infektion überstanden, ist aber auch noch Wochen nach ihrer Entlassung nicht gut beieinander. Ihre Lungen haben deutlich Volumen verloren.
Über diese Studie wissen wir noch zu wenig. Nach meinem Wissen ist die Untersuchung noch nicht publiziert, auch handelt es sich um eine wirklich geringe Zahl von Patienten. Wir werden bald mehr Daten bekommen, insbesondere aus China, wo ja inzwischen die meisten Patienten wieder geheilt sind. So lange gehen wir davon aus, dass sich die Lunge bei Gesunden nach der Entzündung wieder erholt – zumindest wissen wir das von anderen Formen der akuten Lungenentzündung.
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Aber es ist ja nicht wie bei einer der üblichen Lungenentzündungen. Auf Schnittbildern sind ungewöhnliche weiße Strukturen zu sehen, sie erinnern an weiße Kumuluswolken.
Ja, das ist spannend. In der Computertomographie dieses auffällige und typische Muster. Bei anderen viralen Pneumonien sind die weißen Flecken diffus über die ganze Lunge verteilt. Dass sich das an wenigen großen Herden konzentriert, das ist sehr ungewöhnlich. Deswegen kann ein CT für die Diagnose sehr wichtig sein, wenn zum Beispiel der Test auf die Virus-RNA in einem Rachenanstrich negativ ist, aber klinisch die Atemnot oder andere Umstände für eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 spricht.
Weiß man denn, was das ist?
Tatsächlich ist das noch nicht bekannt, und es ist auch ein wenig rätselhaft, weil wir auch Patienten haben, die trotz solcher typischen Veränderungen auf dem Röntgenbild relativ wenig Beschwerden haben.
Was könnte das medizinisch bedeuten? Müssen Sie anders behandeln?
Grundsätzlich verlaufen 80 Prozent der Infektionen milde, zum Glück. Bei schweren Komplikationen können wir auf den aktuellen Wissensstand zurückgreifen. Aber mit anderen technischen Parametern, als wir sie von Lungenentzündungen gewohnt sind. Wenn es die Lunge nicht schafft, genug Sauerstoff für den Körper bereitzustellen, nennen wir das ADRS, akutes Atemnotsyndrom. Typischerweise verliert die Lunge ihre Dehnbarkeit, wir sagen, sie wird „steifer“. Bei Covid ist die Art der Atemnot anders, als wir das kennen, die Lungen der Kranken sind „weicher“ zu beatmen, gegen geringeren mechanischen Widerstand. Dagegen zeigen die Lungen bei dieser Infektion eine so genannte Verteilungsstörung. Es gibt in den Lungenbläschen ein Ungleichgewicht zwischen Durchblutung und Belüftung, das führt dazu, dass das Blut nur sehr ineffektiv mit Sauerstoff aufgeladen wird.
Was ist aber, wenn sich Bakterien auf das geschädigte Gewebe setzen? Mischen sich dann beide Phänomene? Risikopatienten sollen sich ja jetzt angesichts der Pandemie noch schnell gegen Pneumokokken impfen lassen, bei Influenza ist oft so eine sekundäre Infektion die Todesursache …
Ich habe nicht den Eindruck, dass das hier eine große Rolle spielt. Zum einen gibt es auch bei den Schwerkranken nur ganz selten Sekundärinfektionen – das wurde so jedenfalls in China dokumentiert. Und zum anderen ist auch dann, wenn sich doch einmal zusätzlich Bakterien im geschädigten Gewebe vermehren, das nicht unbedingt die Todesursache. Anscheinend ist es bei Covid-19 das Virus selbst, das das Lungengewebe so schwer schädigt und damit eine lebensgefährliche Entzündungsreaktion in Gang bringen kann. Die Impfung ist jetzt aber trotzdem wichtig für die Risikogruppe, die Pneumokokken können für sie auch so gefährlich sein.
Können Sie ausschließen, dass die beatmeten Patienten dauerhafte Schäden zurückbehalten?
Grundsätzlich gilt immer die Vorgabe, die Beatmung möglichst schonend durchzuführen. Sie ist in manchen Situationen unumgänglich - aber auch ein zusätzlicher mechanischer Stress für die Lunge. Bei vorerkrankten Patienten, die zum Beispiel schon eine Fibrose in den Lungen haben, muss man tatsächlich mit Befunden wie in Hongkong rechnen. Aber: Der Ausbruch ist gerade einmal drei Monate alt – eine sehr kurze Zeit, um sich vollständig von einer schweren Lungenschädigung zu erholen. Lassen Sie uns einfach noch ein bisschen Geduld haben, und auf mehr und bessere Daten warten.
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