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Aufbäumen. New York nahm sich Berlin zum Vorbild, um Straßen grüner und gesünder zu gestalten. Heute kämpfen beide Städte um den Erhalt der Stadtbäume.
©  Courtesy NYC Municipal Archives

Stadtdschungel: Die Wurzeln des Straßenbaums

Das Grün in die Stadt zu holen, kam Planern lange nicht in den Sinn. Und es ist bis heute mit Streit, Kosten und Mühen verbunden.

„War er im Winter dünn und kahl und hart in seinen Linien, trübe in der Farbe. Jetzt ist er leicht und voll und rund in den Formen und lieblich im Grün“, schrieb der Berliner Jugendstilarchitekt August Endell 1928 über den Frühlingsbaum. In den letzten Wochen haben zahlreiche der insgesamt etwa 431 000 Straßenbäume in Berlin ausgetrieben. Doch bevor diese luftigen Frühlingsbäume Berlins Straßen verschönern und als Sommerbäume für Schatten und kühle Erfrischung sorgen konnten, musste viel passieren. Denn nicht immer waren Berlins innerstädtische Straßen von frischem Grün gesäumt. Und anfangs waren Bäume in der Stadt auch nicht Jedem willkommen: Schließlich verdunkeln belaubte Baumkronen Wohnungen, fallende Früchte und Blätter verschmutzen die Straßen und verursachen Kosten bei der Stadtreinigung, die Wurzeln sprengen die Straßenbeläge und Leitungen und die Insekten und Vögel in den Bäumen hinterlassen Spuren auf Autos, Bänken, Gehwegen und manchmal sogar auf Passanten.

80 Bäume pro Kilometer Straße in Berlin

Erst zwischen 1870 und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Stadt zu einer der grünsten Deutschlands aufgestiegen – dank der damals systematisch vom Stadtgartendirektor Gustav Meyer geförderten Straßenbaumpflanzungen. 46 000 Straßenbäume waren auf sein Geheiß bis 1898 gepflanzt worden. 1903 verzeichnete die Parkdeputation 70 mit Bäumen bepflanzte Straßenkilometer. Heute stehen an jedem Kilometer Straße in Berlin durchschnittlich 80 Bäume, alle zwölf Meter einer.

Schon um die Jahrhundertwende war die grüne Reichshauptstadt ein weltweites Vorbild. Der amerikanische Landschaftsarchitekt John Cuyler empfahl der Stadt New York 1908 es Berlin gleichzutun. Die Bäume sollten die Stadt aller Städte nicht nur schöner sondern auch kühler machen, so das Ziel einer privaten Gesellschaft, für die Cuyler arbeitete. Bereits in den 1870er Jahren hatten Ärzte, Gesundheits- und Sozialreformer Straßenbaumpflanzungen gefordert, um etwa die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in der Stadt zu senken. Der städtische Wärmeinseleffekt war also schon damals bekannt, doch New York City war tatenlos geblieben. So machte es sich die 1897 gegründete private Baumpflanzgesellschaft zur Aufgabe, den Forderungen Taten folgen zu lassen. Zu den Mitgliedern der Gesellschaft gehörten einige der wohlhabendsten New Yorker, darunter Banker, Investoren und Unternehmer wie J. P. Morgan und William Collins Whitney. Sie finanzierten Pflanzaktionen in den übervölkerten und engen Mietskasernenvierteln der Stadt und Informationskampagnen zu geeigneten Baumarten und Pflanzweisen. Zwar fiel die Zuständigkeit für die Straßenbäume alsbald der Stadtverwaltung zu, Neupflanzungen und Pflege sind in New York City aber nach wie vor von privaten Sponsorengeldern und der Mithilfe der Bevölkerung abhängig.

Der Baumbestand geht zurück - das Geld fehlt

Im grünen Berlin ist die Situation nicht viel besser. Trotz privater und kommerzieller Spenden von 1,2 Millionen Euro in den vergangenen sechs Jahren und 9000 Neuanpflanzungen ist der Straßenbaumbestand heute in allen Bezirken stark rückläufig. Im vergangenen Sommer litten die Bäume unter der extremen Hitze und Dürre, und verstärkt auftretende Stürme in den letzten Jahren forderten ebenfalls ihren Tribut. 2018 wurden in allen Bezirken mehr Bäume gefällt als gepflanzt. Bezirke wie Wilmersdorf haben Neuanpflanzungen stoppen müssen, da das Budget nur für die Bestandspflege ausreicht.

Die Natur in die Stadt zu holen, hat nicht nur seinen Preis, es braucht auch Anpassungen der Baumarten an die Bedingungen der Stadt. Seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts werden dafür eigens neue, „industriefeste“ Baumsorten gezüchtet. Baumschulbesitzer und Gartenarchitekten sind auf der Suche nach dem idealen Straßenbaum, der mit wenig Raum auskommt, im verdichtetem Stadtboden wurzeln und der Luft- und Bodenverschmutzung widerstehen kann. Dafür wurden die Samen mitunter sogar radioaktiver Strahlung ausgesetzt, um das Erbgut zu verändern und so zu neuen, besser angepassten Sorten zu kommen. Ein Züchtungsprozess, der weiter gehen wird, um das für die Straßenbepflanzung zur Verfügung stehende Sortiment so anzupassen, dass trotz Klimawandel weiterhin Bäume an unseren Straßen wachsen können.

Identitätsstiftende Linden

Zwar hängt die Wahl der Baumsorte stets von den Bedingungen in den Straßen oder Parks ab, sie spiegelt aber auch die zunehmende Globalisierung wider. So wurde in den 1990er Jahren Unter den Linden am häufigsten Tilia cordata ‚Greenspire' gepflanzt. Der Baumschulbesitzer William Flemer III hatte diese Lindensorte in seiner Baumschule in Princeton, New Jersey, gezüchtet und 1961 in den USA patentiert. In den 1880er Jahren waren es hingegen umgekehrt die Lindenreihen des Berliner Prachtboulevards, die für Stadtplaner in New York und Washington ein ästhetisches Vorbild waren, dem es nicht nur nachzueifern, sondern das es zu übertrumpfen galt.

„Die Linden“ haben sich seit ihrer Anlage im 17. Jahrhundert zu einem Wahrzeichen der Stadt entwickelt. Immer wieder hatten die preußischen Könige, Einwohner und die städtische Verwaltung die Bäume vor Zerstörung geschützt und nachgepflanzt. Der öffentliche, im Sommer schattenspendende Reitweg, dann Baumgang und später Boulevard, hatte zu verschiedenen Zeiten eine räumlich vereinende Wirkung. Er förderte eine kollektive Identität innerhalb einer Bevölkerung, die bis zur Gründung Groß-Berlins 1920 sowie erneut zwischen 1949 und 1990 in unterschiedlichen Städten angesiedelt war. Zwischen 1920 und 1949 sowie erneut seit 1990 stehen „die Linden“ im Zentrum der Stadt. Bereits wenige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Bäume auf dem ehemaligen Boulevard ersetzt, und in den folgenden Jahrzehnten wurde die Straße trotz ihrer mauernahen Randlage in der Hauptstadt der DDR mehrfach Objekt von Umgestaltungsplanungen, die ihre Attraktivität steigern sollten. Obwohl alleeartige Baumpflanzungen an Großstadtstraßen im sozialistischen Deutschland eher als Relikte einer „überwundenen, feudalistisch beeinflussten Epoche“ galten, blieb der Boulevard erhalten.

Bäume sind apolitisch

Diese Kontinuität und die Aneignung „der Linden“ durch verschiedene Herrscher, Regierungen und Bürgerschaften im Laufe der Jahrhunderte steht im Gegensatz zum Abriss des kriegsgeschädigten Berliner Schlosses im Jahr 1950 auf Ministerratsbeschluss der DDR. Als Natur erschienen die Bäume apolitisch und gutartig, und sie waren ein neutraler Namensgeber für den berühmten Boulevard, der ursprünglich Neustädtische Allee und Dorotheenstädtische Allee hieß. Die Linden waren also in jeder Hinsicht formbar genug, um sie den jeweiligen Gestaltungs- und Herrschaftsideen der verschiedenen Jahrhunderte anzupassen. Paradoxerweise sind es also gerade die der Natur der Bäume inhärente Vergänglichkeit, Unbeständigkeit, Veränderlichkeit und Verwundbarkeit, die sie zu einem der dauerhaftesten und langlebigsten Elemente des Berliner Städtebaus gemacht haben.

Trotz ästhetischer und funktionaler Vorzüge regelmäßiger Straßenbaumbepflanzung, die sich leicht pflegen lässt und ein angenehmes Straßenbild mit einer durchgehenden Schattenlinie erzeugt, gab es nicht erst im sozialistischen Deutschland Zweifel an dieser Pflanzweise. Bereits im neunzehnten Jahrhundert fürchteten sogar Baumbefürworter eine gewisse Monotonie und einen „Korridoreffekt“. Argumente gegen eine Reihenpflanzung und für unregelmäßige Baumgruppen – sofern dafür Platz im Straßenraum vorhanden war – fanden insbesondere in den 1930er Jahren Anklang: Sie sparten nicht nur Pflegearbeit, sondern boten auch einen effektiveren Schutz vor Luftangriffen.

Ohnehin erwiesen sich Straßenbäume im Zweiten Weltkrieges als vielseitig nützlich, trotz ihrer Unbeständigkeit, Veränderlichkeit und Verwundbarkeit. In den letzten Wochen der Schlacht um Berlin wurden sie als Panzersperren eingesetzt. Ebereschen, die insbesondere Wohnstraßen zierten, wurden gezählt, um die Fruchtmenge zu schätzen, die sie für die Vitaminversorgung der Bevölkerung liefern könnten. Im Zuge weiterer, teils notgedrungener Autarkiebestrebungen boten Straßenbäume während und nach dem Krieg nicht nur Teeersatz – Lindenblüten waren eine gefragte Ressource. Sie waren auch eine lebensnotwendige Quelle für Feuerholz, etwa im Hungerwinter 1947.

Wer pflanzt besser? Kalter Krieg der Aufforstung

All das führte dazu, dass der Straßenbaumbestand von etwa 415 600 vor dem Krieg auf 160 900 zurück ging. Und darüber hinaus wurde während der Berlin-Blockade jeder zweite Straßenbaum für Feuerholz gefällt – die Proteste der Bevölkerung aller Sektoren an der Aktion wusste die ostdeutsche Presse für die Propaganda des Kalten Krieges zu nutzen.

Die Konkurrenz zwischen West- und Ostberlin zeigte sich wenige Jahre danach auch in den Neupflanzungen. Die staubbindende Kapazität der Bäume, ihre klimaverbessernde, ästhetische sowie ihre schalldämpfende Wirkung, die im Zuge der zunehmenden Motorisierung immer wichtiger wurde, führte dazu, dass ihnen in Ost und West beim Wiederaufbau eine große Bedeutung beigemessen wurde. In der DDR wurde das in den 1950er Jahren begonnene Pappelanbauprogramm, mit dem Holz und Zellstoff produziert werden sollte, in den 1960er Jahren auch auf Ostberlin ausgedehnt, um innerstädtische Brachen und Trümmerflächen zu verschönern und Staub zu binden. Schnellwüchsige Pappeln gehörten auch in den Ostberliner Neubaugebieten zum standardisierten Pflanzmaterial. 20 Prozent der in den Gebieten verwendeten Bäume sollten Pappeljungbäume sein.

Landschaftsarchitekten in Westdeutschland waren erstaunt als sie feststellten, mit welchem Eifer und mit welcher Kreativität ihre ostdeutschen Kollegen Baumbepflanzungskonzeptionen insbesondere für die Straßen in neuen Stadtteilen erstellt hatten. Wegen fehlender und schlechter Baumschulware (hochwertige Bäume wurden in den Westen verkauft) wurden die Projekte zwar selten vollständig umgesetzt. Aber es wurde getüftelt an der Verbesserung von Pflanz- und Hackmaschinen, der Rationalisierung der Pflanzenproduktion, Baumpflanzung und -pflege.

Als in den 1970er Jahren Tausalz und Autoabgase Bäume in Ost und West zunehmend schädigten, traten beiderseits der Mauer Umweltaktivisten auf den Plan. Zudem entwickelte sich ein neues umwelt- und sozialpolitisches Kunstgenre – die Straßenbaumkunst. Künstler wie Ben Wargin im Westen und Manfred Butzmann im Osten Berlins kritisierten mit ihrer Arbeit die Untätigkeit der jeweiligen städtischen Verwaltung. Es waren vor allem diese bereits vor dem Fall der Mauer bestehenden Bürgerinitiativen und Kunstaktionen, die für die vielfältigen städtischen und basisdemokratischen Pflanzinitiativen nach der Wende einen fruchtbaren Boden bereiteten. Als die Mauer dann fiel, kamen die Menschen aus Ost und West zusammen und pflanzten entlang des ehemaligen Mauerstreifens, an Straßen und in Parks Bäume für eine grünere Zukunft.

Die Autorin ist Professorin für Landschaftsarchitektur an der Harvard Universität und erzählt die Geschichte der Straßenbäume in Berlin und New York in dem Buch „Seeing Trees“, Yale University Press, Januar 2019, 336 Seiten, 32,62 Euro.

Sonja Dümpelmann

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